TQW Magazin

„Reden über Schreiben“ zu Claudia Bosse / theatercombinat: 168 stunden (a tribute to everyday life and franz erhard walther)

 

„Reden über Schreiben“ zu Claudia Bosse / theatercombinat: 168 stunden (a tribute to everyday life and franz erhard walther)

Folgende Texte zu Claudia Bosse/theatercombinat: 168 stunden sind auf Initiative der Teilnehmer_innen im Labor „Reden über Schreiben“ des Tanzquartier Wien (Juni 2018, Leitung: Franz Anton Cramer) entstanden. Unter den dort verhandelten Textformen wurde auch das Format des Blogs Viereinhalb Sätze ausprobiert, einer von Journalist_innen, Autor_innen, Dramaturg_innen und Performer_innen gegründeten Plattform für experimentelles Schreiben über Tanz. Die Redaktion des Blogs wurde in den Feedbackprozess eingeschlossen und veröffentlichte die Texte parallel.

 

1

Die Mollardgasse 14 ist eine Ecke, eine Baulücke, dort hat sich die Botanik mittlerweile mit dem Schutt arrangiert. Dazu arrangiert wurden zwei Wohnungsgrundrisse, auf denen zwei Menschen in aller Öffentlichkeit privater Tagesablauf spielen. Vom Nachbarhaus guckt einer mit Bart, die Passantin mit Hund sucht die Versuchspersonen, ach so, versteckt unter rosa und roten Bettüberzügen, ach so, im Gras, neben den Feuerschutzwänden, und währenddessen klicken die Fotograf_innen große Skulpturen: die Straße, die Sonne. Und was macht der Hund? Bellt

 

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Wir wohnen einer auf 168 Stunden beschränkten Obdachlosigkeit bei, einer minimalistisch inszenierten Ausgrabungsstätte für „behutsame Beobachtungen“ und „poetische Begegnungen“, einer einwöchigen „Live-Installation“, von der experimentellen Theatermacherin Claudia Bosse gemeinsam mit der Architektin Bettina Vismann in einer verwilderten Baulücke öffentlich als „tribute to everyday life and franz erhard walther“ inszeniert. Vielleicht ist ein zwar aus dem Kontext gerissenes und schon mehrere Jahre altes Statement Claudia Bosses ein probates Mittel, um die schleierhaften Vorgänge rund um das exhibitionistische Freiluft-(Selbst-) Experiment im Bezirk Mariahilf zu ergründen: „Es geht mir nicht um ein investigatives Theater, sondern um den Versuch, mit diesen Bewusstseins- und Haltungsinstrumenten andere Zusammenhänge herzustellen, damit man nicht nur degradiert ist zum Konsumenten von scheinbar fixierten Verhältnissen, Gedankenwelten und Wirklichkeitszusammenhängen. Man ist produzierender Teil der Wirklichkeit, man ist verantwortlich für seine Wirklichkeit. Das ist die Einsatzfläche von Theater.“

 

3

Die architektonischen Grundzüge der Mollardgasse 14 zeichnen sich am Rand des Grundstücks, im Nachbarhaus, noch immer ab in Form zementgebundener Holzwolle- Dämmplatten des Typs Heraklith. Die Präsenz der 168 Stunden von Claudia Bosse und Bettina Vismann, ihr täglich voyeuristisches Widerspiel, ereignet sich wohl ebenso nur im Kontakt mit dem an den Rändern Stehenden/ Stehendem: „they will put all their daily acts and activities on show while at the same time observing and recording their surroundings in writing“. Die interaktionistischen Aufzeichnungen und fragmentarischen Überlieferungen von Dritten erinnern vielleicht auch deshalb an den referenzierten Griechen. Doch „dunkel“ wie die jenem zugeschriebenen Praktiken sind die der zwei Akteurinnen nicht zu nennen – ausgeleuchtet und unter Bewachung in der Nacht scheinen die Prozesse der Beobachtung und deren körperliche Ein- und Auswirkungen in ihrem Status quo garantiert zu bleiben. Unabgeschlossene Isolation, panta rhei …

 

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Es ist still, nicht geräuschlos oder gar lärmfrei, sondern still auf eine Art, die mich einnimmt, wenn ich nur sitze und schaue, höre, fühle, allein oder, wie hier, gemeinsam mit anderen Beobachtenden. Auf einem wildgrünen Stück städtischen Brachlands markieren zwei raumgroße Kiesflächen, bespannt mit weißen Planen und ausgestattet mit Dingen der Lebensnotwendigkeit, einen Ort der Aufmerksamkeit. Zwei Frauen in vier imaginierten Wänden, ihre rege Umgebung beobachtend, tippen und kritzeln, als würden sie in papierweißer Ästhetik (Kleidung, Bettdecke, Wasserkanister, Stuhl … alles weiß) den Akt des Schreibens selbst symbolisieren: als Blick ins Eigene und aus ihm heraus aufs Andere, bis beides, ineinander fließend und sich als Wortbild an die Hauswand projizierend, nicht mehr verborgen bleiben kann. Beide folgen einem synchronen Tagesablauf, schlüpfen nachmittags, pünktlich nach Zeitplan, aus dem Privaten heraus, hinein in das Rosa-Pink vaginaler Textur – um als organische Bewegungsskulpturen in aller Gemächlichkeit im Gras zu verschwinden oder den Raum tastend zu erwandeln, so lange, bis schließlich ihr „poetic encounter“, von einem irritierend wirksamen Vogelgesang begleitet, wiederum simultan endet, sie zu den alltäglichen Routinen des Exponiert-Privaten zurückkehren und der Eindruck bleibt, ihre Formationen ritualisierten Handelns seien gleichsam rhythmische Markierungen mediatisierter (Selbst-) Verortung. Zwischen zeitlicher Aushandlung und Gegebenheit, zwischen vermeintlichem Innen und Außen, Poesie und Banalität.

 

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Die Füße stecken bereits in kaltem Wasser, trotzdem sind die Wangen stark gerötet – kein Wunder bei 35 Grad, aber das schreckt die Nachbarin nicht ab, die kurz vor fünf aus Haus Nummer 12 kommt, um das, was sie zuvor schon vom Fenstersims aus beobachtete, aus der Nähe zu sehen: Den beiden Einzimmerwohnungen, bemerkenswert ausgestattet mit Nachttischlampe, Schminkspiegel, Kochlöffel und Käsereibe – aber wer möchte in dieser sengenden Hitze noch Käsenudeln essen? –, wird nun der letzte Schutz vor der Außenwelt genommen, ihre Häuserdächer verschwinden. Vollständige Sichtbarmachung und Auslieferung. Überstülp- und hineinschlüpfbare Objekte verwandeln sich in Bewegungsskulpturen, deren Ummantelungen den Bewegungsspielraum der schwitzenden Körper noch mehr einschränken und sich gleichzeitig über sie legen wie ein schützender Kokon, der ihnen einen kurzen Moment des Rückzugs gönnt. „Versuch eine Plastik zu sein“ oder Versuch über eine Brache, die Raum durch Handlungen erschafft: diese und jene Geste, Verhaltensweisen, subtile Interaktionen – jedes Element nur vorläufiger Teil eines nie abschließbaren Werks.

 

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Zwei Betten stehen auf den verwilderten Resten eines abgerissenen Hauses. Claudia Bosse und Bettina Vismann haben es sich als Performerinnen nicht leicht gemacht: 168 Stunden auf so einer Gstätten leben, in aller Öffentlichkeit. Egal ob beim Schlafen, Arbeiten oder Pissen. Sie legen Texte unter Steine und beobachten ihre Beobachter. Sackhüpfen um fünf …

 

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Aus der Ambivalenz von Ort und Nicht-Ort, Aufmerksamkeit und Vorbeigehen, Partizipation und Isolation entsteht auf der Brache, die Claudia Bosse und Bettina Vismann eine Woche lang 24/7 bespielen, nicht nur eine wie im Programmheft angekündigte „Subversion durch poetische  Verfahren“, sondern vielmehr eine Demonstration, ein Zeigen, dass der Raum des Privaten der eigentlich politische ist: Wenngleich der Sphäre der Öffentlichkeit in seiner Sichtbarkeit entzogen, ist es der Ort, an dem sich politische und ökonomische Prozesse bündeln. Das Unterfangen ist nicht voraussetzungsfrei, es ist angebunden an einen ganzen Apparat von institutionellen Strukturen des Supports, der das Erscheinen der beiden Künstlerinnen erst ermöglicht, ebenso wie der Bereich des Schreibens, Wohnens und Lebens, den sie repräsentieren, immer relational und auf ein Netz von materiellen und diskursiven Rahmungen angewiesen ist. Bosse und Vismann sind gleichzeitig scheinbar in sich gekehrte Beobachterinnen (ihre vor Ort verfassten Texte projizieren sie täglich nach Sonnenuntergang) und Akteurinnen, die pünktlich um 17:00 Uhr ihre jeweils mit Schotter markierten Wohnungsgrundrisse (inklusive Feldbett und einer eklektischen Mischung von Einrichtungsgegenständen und Utensilien des täglichen Bedarfs) verlassen, um sich auf dem Forum stumm, in Stoff gehüllt, zu begegnen. Irgendwie synchron.

 

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Im Auto schreit eine Frau, das Sonnensegel ist eingeholt, vier Fotograf_innen in Stellung. Die uns von der Brache her beobachteten, verlangen in Pink und Magenta nach bifokaler Aufmerksamkeit, als krauchende Böcklin’sche Trauerstelen. Es steht die Luft, die Sonne wandert. Die Zahl der Zusehenden sinkt. Die Stoffhüllen raffen wie Röcke

 

1 Theresa Luise Gindlstrasser

2 Michael Franz Woels

3 Christian Keller

4 Anna Kromer

5 Jette Büchsenschütz

6 Sara Schausberger

7 Christoph Chwatal

8 Franz Anton Cramer

 
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