TQW Magazin
Maria Dogahe über VASHT von Ulduz Ahmadzadeh / ATASH عطش

„Habiba, hast du schon deinen Flug in den Libanon gebucht? Sie bombardieren schon wieder Beirut.“

Ich bin gerade beim Boarding für meinen Flug nach Wien, als auf meinem Handy ein Text meiner Freundin Diana aufpoppt. Ich starre darauf und antworte mechanisch: „Hab ich, meine Liebe – schon in Ordnung, lass uns abwarten. Wenn wir mit jedem Bombenabwurf unsere Reisen stornieren müssen, sehen wir unsere Länder vielleicht nie wieder.“

Während sich in mein Bewusstsein gräbt, was ich geschickt habe, werde ich von leisem Zorn erfasst. Ich lasse ihn meine Knochen durchdringen.

Gerade beginnt der 16. Monat des Genozids in Gaza und der Attacken auf den Libanon, die alles auf ihrem Weg zerstören. Menschenleben, Jahrhunderte Geschichte und nach und nach jede Hoffnung auf eine Zukunft und Vertrauen ins System. Es gab viele Phasen, die wir kollektiv durchlebt haben. Im Lauf der Monate ist da jedoch nur noch ein Gefühl bodenloser Verzweiflung.

Wir landen in Wien, und ich begebe mich zum Tanzquartier Wien; versuche, abzuschütteln, was noch in meinem Körper, meinem Bewusstsein verblieben ist. Ich bin begierig, Ulduz Ahmadzadehs neues Stück zu sehen. Ulduz’ Arbeit war für mich als Kulturarbeiterin der iranischen Diaspora sehr wichtig. Ich gebe zu, dass es in den letzten Monaten manchmal unerträglich war, mich still hinzusetzen und Stücke anzuschauen, die so losgelöst waren von all dem, was gerade in der Welt passiert. All die Abstraktion und intellektuelle Genusssucht schälten die Unterschiede in den von uns bewohnten Wirklichkeiten heraus. Selten sind die Stücke, die in diesen schweren Zeiten Erleichterung bieten.

Doch inmitten all dessen gelingt es VASHT, viele Gemüter zu bewegen, meines eingeschlossen. Ulduz’ Arbeit ist wertvoll: eine Praxis, die sich der Auslöschung und allzu simplen Narrativen widersetzt mit extravaganten Performances, die sich aus tiefgreifender Forschung speisen. Diesmal wird die Seidenstraße als Rahmen herangezogen und hervorgehoben, wie sehr Austausch und Fluidität zwischen Grenzen bestimmend für das Entstehen von Tanzformen sind.

Das Stück beginnt mit dem lockenden Bild eines androgynen Dschinns mit Hufen, der vor prachtvollen Teppichen hin und her schaukelt. Ich erkenne, dass einige der Teppiche aus dem Iran stammen, aber auch, wie ich später herausfinde, aus Turkmenistan und Tadschikistan. Schon oft hat Ulduz die Region gefeiert, indem sie den engstirnigen Ideen nationaler Identität trotzte.

Der Ton ist etabliert. Ich lasse mich von der sanften Ausgewogenheit und den leuchtenden Farben der Teppiche hypnotisieren. Mein meditativer Zustand wird bald von lauten Explosionen hinter den Teppichen unterbrochen. Staubwolken brechen zwischen dem reichen Gewebe hervor.

Diese Explosionen, die in diesem Augenblick auch an vielen anderen Orten außerhalb des geschützten Theaterbereichs widerhallen, waren Teil der Geräuschkulisse mit der Ulduz im Iran der 1980er Jahre aufgewachsen ist. Meine anfängliche Spannung wandelt sich in Ehrfurcht, als ich die Kraft von Ulduz’ Geste erkenne: Die Explosionen erschüttern die Teppiche zwar, doch sie zerstören sie nicht. Sie stauben sie nur ab. Asche auf dem Boden und Tränen in meinen Augen, als der Gedanke einsinkt.

Die Tänzer*innen – Desi Bonato, Naline Ferraz, Andrei Nistor, Adela Maharani und Abdennacer Leblalta – ziehen das Publikum in ihren Bann, das jeder ihrer Bewegungen folgt. Sie gießen ihre ganze Persönlichkeit in diesen Augenblick – eine Geste, der Achtung gebührt. Die maximalistische Welt, die sie beschwören – entlang der von Till Jasper Krappmann erdachten üppigen Szenerie und der von Pouya Ehsaei komponierten unglaublichen Klangkulisse –, ist ein wunderschön gestalteter Raum, durch den wir uns bewegen.

Über die Freude hinaus, in die Vision einzutauchen, liegt eine tiefere Bedeutung darin, diese Bewegungen auf die Bühne gebracht zu sehen: aufgrund eines Mangels an Forschung, Dokumentation und Archivierung sowie aufgrund umstrittener politischer Verhältnisse in der Region sind viele dieser Tänze vom Aussterben bedroht. Manche sind zu Widerstandshandlungen gegen systematische kulturelle Unterdrückung geworden; andere fallen langsam dem Vergessen anheim. Durch sorgfältiges Studium und Lehre übernimmt Ulduz die Verantwortung, sie weiterzuführen; wichtiger noch, sie bietet diesen Tänzen das Leben, das ihnen geraubt wurde. Ein Leben freudiger und meisterlicher Darstellung, ein Leben der hemmungslosen Durchmischung.

Gemeinsam mit den Tänzer*innen erwachen die Teppiche zum Leben. VASHT vermittelt eine Vision vom Teppich als veränderlicher Landschaft, die von einem bewegten Berg zum festen Grund fließt, ein Ort zum Gebären. Der Teppich als Hintergrund und Stütze unserer Lebensgeschichten; der Teppich selbst als Geschichte. Der Teppich als sich bewegendes Wesen, das alles schildert, was wir erlebt haben: er bewegt sich wie unsere Körper und unsere Erzählungen, über Zeit und Grenzen hinweg. Er trägt uns, so wie wir wiederum ihn tragen. Dem Fluss der Teppiche folgend muss ich sofort an die feinfühlige Arbeit von Hussein Shikha denken, einem aus dem Irak stammenden belgischen Künstler, dessen Praxis aus der südirakischen Teppichkunst schöpft, die er manchmal als bewegliche Gobelins belebt. Sein Interesse für Teppiche rührt aus der Kindheit in seiner Heimat im Irak, als er viele Stunden damit verbrachte, diese zu betrachten, wie auch später, während vieler Vertreibungen und Umzüge. „Wenn du einen Teppich sehr konzentriert und lange betrachtest“, erinnert er sich, „dann tritt ein traumähnlicher Zustand ein, und die Bilder darauf beginnen sich ein wenig zu bewegen. Ich erfand in den Geweben Erzählungen, und sie fingen an, zu Fantasieländern zu werden. So wurden die Textilien in meinem Geist lebendig.“ Wohin wir auch gehen – Teppiche beherbergen Teile der Heimat und das unglaubliche Potenzial, unsere Geschichten zu erzählen. Shikha schreibt weiter: „Der Teppich fungiert als ein Zeichen der Vertrautheit und der Gemeinsamkeit, ein Versammlungsort, der die Möglichkeit bietet, eine Heimstatt zu finden und Wissen, Erfahrung und persönliche Geschichten zu teilen. Er ist generationsübergreifend. Mütter sitzen mit ihren Kindern beisammen und teilen die Art und Weise, wie sie mit den Fäden interagieren und die Natur um sich herum reimaginieren. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind ineinander verwoben. Der Teppich ist von sich aus konzeptuell.“

Solche Praktiken helfen dabei, in der Diaspora – einem verstreuten Ort, der oft schwierig zu bewohnen ist – Trost zu finden. Durch den Schmerz der Versetzung gelingt es der Kunst manchmal, etwas wiedererstehen zu lassen, das ansonsten verloren scheint. Künstler*innen, die aus dieser komplexen Positionierung heraus sprechen, eröffnen einen Blick darauf, was von einem entfernten Platz aus geschaffen werden kann – und gleichzeitig wie man unermüdlich immer wieder zurückkehren kann. Den Faden weiterweben. Dies sind zutiefst bedeutsame Gesten, Akte des Widerstands gegen Apathie und Auslöschung. Widerstreitende Gefühle von Freude und Trauer dürfen hier gemeinsam bestehen, wie sie es auch in unserem Geist tun.

Hier anwesend und Zeugin der Präzision jeder choreografierten Bewegung zu sein – Gesten, die sowohl jahrhundertealten Traditionen Tribut zollen als auch die Vision einer durchmischten Zukunft beschwören –, lässt mich für den Augenblick an genau diesem Ort, an dem ich sitze, verwurzelt fühlen.

VASHT ist wie die Rückkehr zum Weben eines Teppichs, das mittendrin unterbrochen wurde – jede Bewegung ein Faden, jedes Fortschreiten ein Knoten. Ein Teppich, der das Potenzial enthält, unser translokales Territorium zu werden – für das wir die Verantwortung tragen, es gemeinsam zu verweben.

 

Maria Dogahe ist Kuratorin am Kaaitheater in Brüssel.

 
Loading