Ein göttlicher Zusammenbruch
(Für die Pronomen der 3. Person Singular wird oo (ü) verwendet – das geschlechtslose Pronomen der 3. Person Singular in Farsi, das sich auf jede*n der fünf Performer*innen beziehen kann.)
در میان توفان
بر موج غم نشسته منم
در زورق شکسته منم
تا نام من رقم زده شد
یک باره مهر غم زده شد
بر سرنوشت آدم
تو تشنه کامم کشتی
در سراب ناکامی ها
ای بلای نافرجامی ها
میکشم به دوش از حسرت
بار مستی و بدنامی ها
حکایت از چه کنم؟
شکایت از که کنم؟
که خود به دست خود
آتش بر دل خون شده ی نگران زده ام
Inmitten des Sturms
sitze ich umgeben von Wogen der Traurigkeit.
In einem kaputten Floß.
Seit dem Augenblick, in dem mein Name geschrieben wurde,
war das Siegel der Trauer
über das Schicksal der Menschheit gelegt.
Du hast mich als Schatten meiner selbst zurückgelassen, mich zum Dürsten gebracht,
in Trugbildern unerfüllter Träume,
Qualen endloser Katastrophen.
Auf meinen Schultern trage ich die Last
von Sehnsucht und Schande.
Welche Geschichte soll ich erzählen?
Bei wem soll ich mich beklagen?
Wenn ich eigenhändig
mein banges und blutendes Herz in Brand gesetzt habe.
(Übersetzung des von Sorour Darabi ins Englische übersetzten und im Stück auf Farsi gesungenen Liedtexts.
Ursprünglich von Rahim Moeini Kermanshahi verfasst und in den 1950er-Jahren von Marzieh gesungen.)
Der Raum aus Ruinen einer einst massiven Landschaft füllt sich mit Nebel, während die Juwelen dieser Stadt im Augenblick und im Himmel festhängen und vor Schweiß triefen. Wir sind die Geister und sie die Überlebenden; im Schmerz wie im Ruhm. Gebrochen und doch sanftmütig in der schweren Luft. In der Reflexion dessen, was von den Trümmern übrig ist, lässt sich ein Potenzial erkennen. Sie sind wissend. Sie tragen eine Vergangenheit in sich, die unbemerkt geblieben ist. Wie viel ist unter der Haut? Die Wirbelsäule beginnt die Geschichte zu erzählen. Schließlich sieht die Wirbelsäule, was sich hinter ihr befindet. Mit jeder Wellenbewegung setzt sie ein neues Geheimnis frei. Die Hände beschwören eine Energie herauf, um wieder aufzubauen, was zerstört wurde. Die unmögliche Aufgabe, die Trümmer wieder zusammenzusetzen. Werden sie jemals wieder Gestalt annehmen? Die Trümmer locken die Dürstenden herbei. Vergiften sie nach und nach mit einer sinnlichen Wiederbelebung. Ein sexuelles Erwachen. Es ist ein Symbol einer Erinnerung, die erst von der Wärme ihrer Münder gelöscht wird. Ich lecke mir die Lippen in dem Wunsch, sie zu schmecken.
Melancholie ruft eine kostbare Erinnerung ins Gedächtnis. Das Mondlicht bremst das Chaos. Es schafft Zeit für Transformation. Eine sinnliche Berührung holt den Atem und öffnet das Tor, um eine Stimme herauszulassen, die lange Zeit gefangen war. Der Mond hängt am Horizont. Weigert sich, zu sinken. Die Kette ist einzementiert und festgefroren. Die Stunde des Schreckens zeigt sich in den Schreien, die aus den Ecken zu hören sind. Können wir zu Zeug*innen des Schmerzes werden, der darauf wartet, zugefügt zu werden? Auf ihn zuzugehen, ist die einzige Antwort, die das Herz unbeirrt bestehen lässt. Die erotische Berührung weckt eine tiefe Wunde. Schüttelt die Luft durch. Auf der Suche nach einem Ausweg wird aus oos Atem eine Linie gezogen. Gefangen zwischen den Trümmern und dem Beweis für einen begangenen Diebstahl. Des Lichts?
Oo sucht nach dem dünnen Lichtstrahl, der das Gelände durchdringt. Die Stimme lässt das Licht abprallen und wärmt die kalten Ränder. Sie gibt uns, den Geistern, neue Kraft. Die Trümmer zerfallen weiter und werden nach und nach zu neuem Terrain. Besänftigen den Sturm, der in der Ferne weiterbläst. Jede*r bewegt sich im Tempo einer Erinnerung, die wieder zu sich zurückfindet. Die Wolken sammeln sich über dem Horizont, und der Himmel beginnt herabzustürzen, während sie sich aufwärtsbewegen. Der Himmel verschluckt sie, spuckt sie wieder aus und lässt sie schweben. Das Wasser verteilt sich und bildet dunkle Pfützen. Handelt es sich hier um einen neuen Ort? Was ist aus den Trümmern entstanden? Jede Stimme ist eine Bedrohung der Stille.
Darauf warten, gefüttert zu werden. Ein fester Griff. Der Wunsch, die Kontrolle abzugeben. Sich von der Last zu befreien. Die Last all der unerzählten Geschichten, die in den Hinterköpfen gefangen sind. Die den Wunsch haben, hervorzukommen. Durst weicht dem Feuer. In einer Umarmung stürzen sie ineinander. Die Romantik scheut sich davor, sich in ihre eigenen Kurven zu verwandeln. Das Verlangen gibt der Nacht zurück, was ihr vor langer Zeit genommen wurde. Gleitet bis zu den Mundwinkeln, bis an die Grenze dessen, was die Zunge halten kann. Stattdessen prägt sich das Wachs in die Haut. Die Schichten warten darauf, abgestreift zu werden. Den Körper zu tragen, der die Wahrheit in den Tiefen des Unmöglichen birgt. Ist dies ein Beweis für die Poetik und die Politik des Todes?
Oo wird vom Brennen gehalten, von den Geräuschen, die hinter den Flammen gefangen sind. Die Harfe erinnert uns Geister immer daran, dass die Überlebenden uns auffordern, uns mit einem gütigen Blick umzuschauen. Wir sind Peripherie, das Behältnis, das sie vor dem Verdursten bewahrt. Trennung führt zum Zusammenbruch. Sich gegenseitig zu halten, zögert den Untergang hinaus. Er lässt sich aber nicht verhindern. Finger fahren die feuchte Haut entlang auf der Suche nach einer Oberfläche, die sich vertraut anfühlt. Lassen los, nur um einander von Neuem zu suchen. Probieren Berührung aus und spüren, wie sehr sie sich festhalten will. Sie ergießen sich in die Spalte und fügen sie mit ihren Berührungen wieder zusammen. Sie dürsten danach, dass die Nacht zu einem befriedigenden Ende kommt.
In dieser vielschichtigen Nacht entstehen Prismen, mit deren Hilfe Geschichten und Begehrlichkeiten in eine andere Richtung gelenkt werden können. So wie ein Prisma Licht in ein Farbspektrum aufsplittet, bricht queere Verbundenheit die Realität und die Erinnerung und bringt deren verborgene Nuancen zum Vorschein. Jede Geschichte, die durch das Prisma fällt, verschiebt sich, wird abgelenkt und intensiviert sich und spiegelt dabei nicht nur ihre ursprüngliche Form wider, sondern auch jedes Fragment, das sie zu einem Ganzen macht. Dieses Prisma wird zu einer Sicht-Weise – um jeden Aspekt der Sehnsucht und der Verführung in einem neuen Licht zu begreifen. Dabei kann man sich jede Verszeile als Lichtstrahl vorstellen, der in die Dunkelheit geworfen wird und sich in lebendige Fäden aus Mythos und Magie aufsplittet, die sich im Blick durch eine Linse vermischen und verwandeln. Die Aussicht darauf, dass der Tag heranbricht.
Was oo verändert, sprudelt aus der Brust. Trunken vom Saft des Leids. Wie ein Fisch auf dem Trockenen. Die Kette ficken, die zu nichts mehr gut ist. Sie kann sich nicht mehr um das herum festziehen, was ausgelaufen und flüssig geworden ist. In den Spiegelungen der Pfützen entdecken sie ein Abbild ihrer selbst und versinken darin – eine Reinigung. Klammern sich aneinander, während ein Crescendo an entfesselter Wucht sie zu Boden stürzt. Sie halten einander während des Zusammenbruchs. Die freigesetzte Energie hebt sie hoch und drückt sie wieder nach unten. Widersteht dem giftigen, klebrigen Zeug, das sie geschützt hat. Sie rutschen und schleppen sich aus dem Chaos davon. Ein göttlicher Zusammenbruch. Sie reagieren auf das, was das Gelände mit ihnen vorhat. Das Gelände weiß es nur zu gut. Sie werden weiterhin eine Zukunft heraufbeschwören, die nur sie kennen. Für diejenigen, die sich der Trümmer angenommen haben.
Bita Bell ist Tanzkünstlerin und Komponistin mit einem Bachelorabschluss in Musikkomposition und einem Master of Fine Arts in Tanz. Sie wurde im Iran geboren, studierte in Hongkong, lebte ab 2012 einige Jahre in den USA und ist derzeit in Wien ansässig. Vor Kurzem absolvierte sie ein THIRD Artistic Research Fellowship an der Amsterdamer Kunsthochschule DAS, wo sie im Selbstverlag ein Zine mit dem Titel containing multitudes, at times fragmented herausgegeben hat – eine Zusammenstellung persönlicher, politischer und poetischer Schriften, die einer diasporischen Erfahrung in unruhigen Zeiten entsprungen sind. 2023 erhielt sie ein Startstipendium für Musik und darstellende Kunst des Ministeriums für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport, 2024 ein danceWEB-Stipendium des Festivals ImPulsTanz. bitabell.com