TQW Magazin
Andrea Salzmann über GLITCH WITCH von Meg Stuart / Damaged Goods & Dance On Ensemble

A Fairy Tale Galactica

 

A Fairy Tale Galactica

Nach etwa 20 Jahren wieder einen Text über ein Stück von und mit Meg Stuart zu schreiben, berührt mich. Die damals begonnene Auseinandersetzung mit Cyborgs, Monstern und dem Unheimlichen hat mich in viele Richtungen geführt und bleibt immer noch ein wichtiger Bezugspunkt. Die lange Verbindung zu Meg Stuarts Arbeit prägt natürlich auch meinen Blick auf das aktuelle Stück GLITCH WITCH. Nach wie vor arbeitet Meg Stuart in ihren Choreografien mit fragmentierten Körpern, die das Prekäre und Fragile am Abgrund der kapitalistischen Ausbeutung zum Ausdruck bringen.

Drei Performerinnen, die eher Göttinnen als Hexen sind, betreten in GLITCH WITCH die Bühne. Die Choreografin und Tänzerin Meg Stuart hat gemeinsam mit der Tänzerin Omagbitse Omagbemi und der Performerin, Musikerin und Komponistin Mieko Suzuki eine Zwischenwelt erschaffen. In dieser begegnen sie sich in einem intensiven Austausch, treiben durch die gemeinsam verbrachte Zeit – für uns 90 Minuten, doch auf der Bühne wird ein zeitlicher Bogen von Sonnenauf- bis zum Sonnenuntergang suggeriert.

Die großartige Szenerie, entworfen von Nadia Lauro, im Zusammenspiel mit dem Lichtdesign von Nico de Rooij, wirkt wie eine fremde Galaxie: Über die Bühne verteilt liegen angeschnittene Diskokugeln in unterschiedlichen Größen, angeordnet wie Planeten in einem imaginären Universum. Der Boden ist mit schwarzen Partikeln bedeckt. Silberne Reflexionen und gebündeltes weißes Licht strahlen bis in den Zuschauerraum und verbreiten eine surreale Clubatmosphäre. Über allem breitet sich ein fein komponierter Soundtrack aus – ein vibrierendes Knistern und Surren. Daraus entwickelt sich ein Technobeat, der den Raum vollständig durchdringt. Das DJ-Pult ist integraler Bestandteil des Bühnenbilds.

Stuart, Omagbemi und Suzuki erscheinen mit verspiegelten Brillen, so groß wie Visiere, in diesem kosmischen Arrangement, das zunächst nur spärlich beleuchtet ist. Sie sind hier gelandet und müssen erst einmal das unbekannte Terrain erkunden. Dabei sind sie sich vertraut und fremd zugleich.

Die Bewegungen der drei Performerinnen changieren zwischen individueller Freiheit und einem immer wieder aufflackernden Gleichklang. Synchronizität entsteht, führt zu einem flüchtigen Austausch zwischen den Tänzerinnen – einem Moment des Miteinanderseins –, nur um gleich darauf wieder in unterschiedliche Bewegungsabläufe aufgelöst zu werden. Arme und Hände sind zentrale Bindeglieder des gesamten Stücks – ein bekanntes Thema aus Meg Stuarts Choreografien. Die Hände im Verhältnis zum Körper fungieren auch als Glitches, als Unterbrechungen im humanen Code. Sie haben ein Eigenleben, versuchen sowohl zu verbinden als auch die andere Performerin zu würgen. Unberechenbar. Vergleichbar mit den Schlangen auf dem Haupt der Medusa.

Starke, beeindruckende Performerinnen stehen auf der Bühne, jede mit einem reichen Erfahrungsschatz aus jahrelanger tänzerischer Praxis. Ihr Bewegungsmaterial ist präzise erarbeitet, ihre Körper tragen die Einschreibungen ihrer individuellen Tanzgeschichten. Sie wissen mit ihnen umzugehen, lassen sie lebendig werden und nutzen ihre Erfahrungen, um eine Verbindung zu erschaffen – zwischen sich, aber auch zwischen Licht und Sound, um so in dieser Art von Gegenwart zu landen.

Als Göttinnen werfen sie ihre Arme in die Höhe und tanzen um eine hell angestrahlte Diskokugel – eine Sonne inmitten dieser Zwischenwelt. Sie bewegen sich zum Beat, während der Versuch eines Rituals des Umarmens entsteht. Doch auch hier vervielfachen sich die Hände und lösen sich scheinbar von den Körpern. Die drei zunehmend energetisierten Körper ziehen einander magnetisch an, um sich gleich darauf wieder voneinander abzustoßen. Die Bewegungen beschleunigen sich bis zum Äußersten – dann: Sound aus.

Bisher wurde gesucht – zwischen den Körpern, in den Körpern. Die Wirklichkeit der Bühne wurde erprobt. Jetzt, es scheint Mittag in dieser Galaxie, werden die Göttinnen einander vertrauter. „I am glad we have this scene to get to know you“, sagt Meg Stuart zu Omagbitse Omagbemi. Während sie neue Outfits anprobieren, entspinnt sich profanes Geplaudere über Lieblingstiere, Kleider, frühere Rollen – und das Altern.

Nach dieser Szene ist alles anders. Die Verzweiflung des Suchens ist verschwunden, die drei haben sich gefunden. Sie stehen auf den Kugeln, erheben die Arme – abgewinkelt, zerhackt, marionettenhaft, aber gemeinsam. Am DJ-Pult, das nun wie eine große Steuerkonsole wirkt, die das Geschehen der Welten beeinflussen könnte, treffen Mieko Suzuki und Meg Stuart einander. Das Pas de deux der beiden entwickelt durch das Scratchen eine interaktive Kraft, als könnten die Tänzerinnen durch den Sound wieder neue Welten kreieren. Aus der untergehenden Sonne werden viele, und die Diskokugeln senden ihre Strahlen auf magische Weise in die Dunkelheit von Bühne und Zuschauerraum. Das Ende ist offen, die Reise der Göttinnen geht weiter.

 

Andrea Salzmann arbeitet als Künstlerin im Bereich performativer Kunst. In ihren Installationen und Live-Performances setzt sie sich aus einer queer-feministischen Perspektive mit gesellschaftspolitischen Fragen auseinander, um scheinbare Entitäten wie nationale Grenzen, patriarchale Strukturen und die kapitalistische Weltordnung infrage zu stellen. Zudem unterrichtet sie an der Akademie der bildenden Künste Wien im Fachbereich Kunst und Zeit | Performance. salzmann.klingt.org

 

 
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