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Kate Strain und Donny Mahoney über CODOMESTICATION von Krõõt Juurak & Alex Bailey

A Life’s Work/Eine Lebensaufgabe

 

A Life’s Work/Eine Lebensaufgabe

Mir gefällt die Vorstellung, dass ein Tier auf der Bühne nicht schauspielt. Kann es gar nicht. Es weiß nichts übers Schauspielen oder wie es funktioniert. Bei einer Person, einem erwachsenen Menschen, ist das anders. Es ist unmöglich, Menschen auf die Bühne zu stellen, ohne dass sie schauspielen. Sie sind zu befangen. Sich der Situation, ihrer unmittelbaren Umgebung und ihrer Position darin allzu bewusst. Aber wie ist das bei einem Baby? Ist das Selbstverständnis eines Babys so wenig ausgeprägt, dass es den Blick anderer erkennen kann, ohne eine mittelbare körperliche Reaktion darauf zu haben? Wenn es nach CODOMESTICATION von Krõõt Juurak und Alex Bailey geht: nein.

Albert, ihr 16 Monate altes Baby, wusste genau, dass am Samstagabend etwas Besonderes passierte und dass er eine tragende Rolle darin spielte, was auch immer es war. Die Aufführung begann damit, dass die dreiköpfige Familie nah beisammen stand, selbstbewusst und wie für ein Familienportrait in Szene gesetzt, und das Publikum stillschweigend anstarrte. Es waren minimale Bewegungen zu erkennen und zu beobachten. Die Körper der Eltern waren in zwei voneinander unabhängigen, aber synchronen Eigenschaften vorhanden: als eigenständige Wesen mit individuellen Eigenschaften und gleichzeitig als erweiterte physische und psychische Stütze für ihr kleines Kind. Die innige Verbindung zwischen ihren Körpern wurde in ständiger Aktivität zum Ausdruck gebracht.

Albert ließ sich von seiner Mutter stillen oder lag einfach ruhig auf ihrem Oberkörper. Manchmal war er Teil von ihr, dann wieder ein eigenständiger Körper, der sich frei im Raum bewegte. Sowohl Juurak als auch Bailey standen Albert fast durchgehend zur Verfügung. In gewissem Sinne hatte er Kontrolle über sie. Er spielte ein Spiel, bei dem er von einem Elternteil zum anderen und wieder zurück gereicht wurde. Die „Übergabe“ löste er aus, indem er kichernd die Finger hob und in die entsprechende Richtung griff, wobei er zwischendurch schüchtern ins Publikum schaute. Albert wusste, dass er von einer Ansammlung fremder und kaum sichtbarer Menschen beobachtet wurde. Alberts Eltern hatten viel Arbeit damit, ihn von den Augenpaaren abzulenken, die zurückstarrten. Sie erregten seine Aufmerksamkeit mit vertrauten Gegenständen, bunten Bällen und Dreirädern und Puppenküchen und kleinen Werkzeugsätzen. Die Spielsachen wurden dabei eindeutig zu Requisiten; komische, übertriebene, vorgetäuschte Stellvertreter tatsächlicher Gegenstände. Ei, Bratpfanne, Säge, Eistüte. Sogar mit echter bühnentechnischer Ausrüstung wurde gespielt – Juurak und Bailey brachten Albert dazu, die Beleuchtung des Studios steuern. Die Fähigkeit seiner Eltern, auf jeden Moment, den er kreierte, mit Geduld und nie müde werdender Freude zu reagieren, war rührend. An zwei Stellen funkte Harold Faltermeyers „Axel F“ dazwischen, als wollte er das Publikum (und vielleicht auch Albert) daran erinnern, dass gerade eine Vorstellung stattfand. Zu der Musik wurde eine Choreografie getanzt, und Albert wurde dabei, wie sich das gehört, von seinen Eltern auf dem Arm getragen.

Juurak und Bailey lieben Albert. Als Künstler*innenpaar haben sie beschlossen, ihn in ihre künstlerische Praxis miteinzubeziehen. Es leuchtet ein, dass diese Entscheidung ethisch betrachtet hinterfragt werden kann. Aber Kinder haben schon immer in künstlerischen Arbeiten eine wichtige Rolle gespielt. Mein Lieblingsbeispiel ist Polly Devlins extrem provokantes Werk „The Daisy Chain“, in dem sie ihre jüngste Tochter Daisy zum Star wider Willen einer Dokumentation über ihr Leben im Alter zwischen neun und zwölf macht. Die Arbeit von Künstler*innen kann Grenzen im Leben verwischen. Sie kann zeitaufwendig, persönlich und verzwickt sein. Diese Aspekte fallen stärker ins Gewicht und laufen sogar Gefahr, verurteilt zu werden, wenn ein Kind involviert ist und der Elternteil entschlossen ist, seinen*ihren kreativen Weg weiterzuverfolgen.

Im Fall von CODOMESTICATION war der ethische Gesichtspunkt für mich nicht im Vordergrund, wie ich Albert fröhlich auf der Bühne herumklettern sah. Ihm war offensichtlich nicht unbehaglich, er war weder in Gefahr, noch hatte er Schmerzen. Dass er auf der Bühne war, schien so selbstverständlich wie ihm im Supermarkt, im Bus oder in irgendeiner anderen öffentlichen Situation zu begegnen, in die Sie, Ihr Baby und der Rest der Welt inklusive aller möglichen unvorhersehbaren Umstände geraten können. Man könnte sogar behaupten, dass die Bühne eine weitaus sicherere Umgebung ist als beispielsweise eine Party oder eine Reise mit dem Flugzeug oder ein Restaurant. Rachel Cusk beschreibt den Zustand, sich um ein Kleinkind zu kümmern, als ständige Panik. „Die Aufgabe der Kinderbetreuung hat in ihrem Kern etwas Unkontrollierbares und ist von einem Zustand der andauernden Krise geprägt […] Plötzlich war unser Leben wie ein Drama, in dem eine Bombe im Wettlauf gegen die Zeit entschärft wird.“[1] Alberts natürlicher Spontanität, seinem einzigartigen Gefühl für Timing und seinen nicht ungefährlichen Flausen zuzuschauen war eine willkommene Abwechslung zum durchgescripteten Programm der meisten Theaterproduktionen.

Am Ende hatte die Performance einen wunderbar anarchischen Unterton. Albert hatte nämlich damit begonnen, einige zusammengerollte Tanzquartier-Poster zu zerreißen. Plötzlich hörte er unvermittelt damit auf, und es war nicht klar, ob er darüber nachgedacht hatte, was er da gerade tat, oder ob ihm einfach langweilig geworden war. Und das halb zerrissene Poster baumelte von seinen Händen, während er still aus den Armen seiner Eltern hervorschaute und darauf wartete, dass etwas passiert.

 

[1] Rachel Cusk, A Life’s Work, London 2001, S. 165ff.

 

Kate Strain (geb. in Dublin, Irland, lebt und arbeitet in Graz, Österreich) ist Kuratorin und Künstlerische Leiterin des Grazer Kunstvereins, für den sie das saisonale künstlerische Programm kuratiert. Sie ist auch für die Abteilung für Ultimologie (Trinity College Dublin), RGKSKSRG und das Centre for Dying On Stage als Kuratorin tätig.

Donny Mahoney (geb. in New Jersey, USA, lebt und arbeitet in Dublin, Irland) ist Sportjournalist. Er ist Mitbegründer und Reporter bei Balls.ie, einer Online-Sportmedien-Plattform, die sich auf Echtzeit-Beiträge zu zahlreichen in Irland stattfindenden Sportveranstaltungen spezialisiert hat. Mahoney schreibt auch Sachbücher und Bücher rund um das Thema Sport für junge Leser*innen.

 

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