TQW Magazin
Pieternel Vermoortel über On Stage von Maria Hassabi

Eine Achterbahnfahrt der Gefühle

 

Eine Achterbahnfahrt der Gefühle

Eine Silhouette, die sich zum Geräusch des Windes im Dunkeln langsam zum vorderen Bühnenrand bewegt – oder besser gesagt: gleitet. So tritt Maria Hassabi in On Stage auf. Reglosigkeit in der Mitte der Bühne, es scheint, als gäbe es überhaupt keine Bewegung. Als ob wir einzelne (Stand-)Bilder ausmachen könnten. So langsam, dass sie augenscheinlich vollkommen unbewegt wirken.

Hassabi fängt Figuren ein, bildet sie und löst sie nach gefühlt einer Sekunde wieder auf. Ihr Körper wechselt von einer Position in die nächste mit einer Langsamkeit, die jeden Muskel anspannt – die kräftezehrende Anstrengung beim Bilden der nächsten Figur ist offensichtlich. Ein emotionales Narrativ eröffnet sich durch die Zeitlichkeit und die kollaborative Arbeit, mit der Maria und das Publikum sich diesen Prozess zu eigen machen. Die Einschränkungen und Spannungen des menschlichen Körpers offenbaren die Zerbrechlichkeit, die Anstrengung und den Schmerz dieser Inszenierung.

Die Langsamkeit steht offensichtlich nicht nur im Gegensatz zu den schnellen bewegten Bildern, an die wir uns mittlerweile gewöhnt haben, sondern ist auch als eine Suche nach dem Begreifen und Einnehmen der diversen Positionen zu verstehen. Welche Pose soll man* einnehmen? Welche Position soll man* einnehmen, wenn man* von Echtzeitkriegen und deren Ausbreitung in die sozialen Medien umgeben ist? Positionen zu beurteilen mag einfach sein, es ist allerdings viel schwieriger, eine Position einzunehmen und sich ihrer Auswirkungen bewusst zu sein. Die Verlangsamung teils großer Gesten erlaubt uns, uns auf sie zu konzentrieren und genauer hinzuschauen, gleichzeitig löst sie eine visuelle und emotionale Achterbahnfahrt in uns aus.

Somit ist kaum verwunderlich, dass On Stage von John Cassavetes’ Opening Night inspiriert ist, wie Maria anmerkt. In diesem eindringlichen Porträt eines Schauspielerinnenlebens ist „die ganze Welt Bühne, und alle Frauen und Männer“ befinden sich in einem fortwährenden Krisenzustand. Die Schauspielerin hat immense Schwierigkeiten damit, einen Bezug zu der Figur aufzubauen, die sie darstellen soll, läuft aber gleichzeitig Gefahr, sich selbst auf der Bühne zu verlieren. Für die Performance trägt Maria ein Arbeitsgewand aus Jeansstoff, das eindeutig auf ihr Œuvre Bezug nimmt – diesmal mit aufgedruckten Wolken, die möglicherweise eine lose Verbindung zur Bildung und zur Nomenklatur der Wolken darstellen. Wolken waren das letzte Naturphänomen, das im Zuge der wachsenden Bedeutung von Wissenschaft zu Beginn des vorigen Jahrhunderts anhand von Bildern kategorisiert wurde. Sind unsere Posen so schwer fassbar wie die Wolken – für einen Moment da, um eingenommen zu werden, nur um sich gleich darauf wieder aufzulösen? Was sind die Auswirkungen des Projekts der Moderne, der einzelnen Bilder, auf die wir reduziert werden?

Wir richten unsere Aufmerksamkeit auf die Anstrengung, die hinter dem Schaffensprozess steckt, auf die erforderliche Komplexität, um zu dem Moment zu gelangen, in dem wir eine Formation erkennen oder physikalisch verstehen. Und: Ja, es ist ein Schauspiel! Aber nicht die Art, die uns vertraut ist. Es ist ein Schauspiel der Angst, dass uns dieses perfekte Bild entgleitet. Eine flüsternde Stimme, die eine nicht verständliche Fremdsprache spricht, verkörpert innere Kraft und inneren Antrieb. Sie lotst uns durch Bilder von Pietàs, patriarchalen Figuren, kosmopolitischen Dandys, klassischen Skulpturen, Western-Standbilder und Filmausschnitte.

 

Pieternel Vermoortel ist Senior Kuratorin mit Schwerpunkt auf bildender Kunst beim Steirischen Herbst. Sie leitete davor die belgische Kultureinrichtung Netwerk Aalst und ist Mitbegründerin des Londoner Kollektivs und Kunstraums FormContent.

 

 

 
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