TQW Magazin
Barbara Blaha über Von der Hand in den Mund von Julischka Stengele

Armut essen

 

Armut essen

Der Vizekanzler, damals, tunkt sein mürbes Stück Rindfleisch vorsichtig in die Sauce. Er hat sich wie ein Kind eine weiße Stoffserviette in den Kragen gesteckt. Sie schützt sein Hemd mit Monogramm vor Flecken.

Unser Tisch ist aufwendig gedeckt. Bis heute löst der Anblick eines solchen Tisches in mir einen kurzen Moment der Schwere aus. Mich in so einer Situation zurechtzufinden musste ich lernen. Von daheim habe ich das nicht mitbekommen. Werde ich in ein teures Restaurant eingeladen, betrete ich es bis heute wie ein fremdes Land.

Im Ausland essen gehen

Ich lerne schnell. Ich weiß, was man anziehen muss, wenn man teuer essen geht. Ich weiß, wie man Wein kostet, wie man mit einem Gedeck umgeht, zu welcher Speisenfolge man Rotwein wählt. Ich erkenne, in welcher Art Lokal der Kellner den Stuhl der Dame zurechtrückt und wo man das Wasser nicht selbst nachfüllen darf. Das Wissen habe ich mir angeeignet wie Vokabel einer Fremdsprache.

Und doch braucht es manchmal eine Sekunde, manchmal zwei, bis ich mir dessen wieder sicher bin. Bis ich weiß: Ich kann das. Die Regeln zu brechen fällt leichter, wenn man das Spiel von klein auf lernt. Die Serviette so zu verwenden wie der Vizekanzler würde mir im Traum nicht einfallen.

Da, wo ich herkomme, kann man schon im Stiegenhaus riechen, was es bei den Nachbarn zu essen gibt. In alten Zinshäusern haben die Küchen Fenster, die auf den Gang rausgehen. Im Vorbeigehen nimmt man die Speisekarte mit. Die alte Nachbarin hat wieder etwas anbrennen lassen. Im Erdgeschoss riecht es nach Kohl. In „besseren Häusern“ riecht man nicht, was gekocht wird.

Essen als verlässlicher Klassenkompass

Der Soziologiestar Pierre Bourdieu hat nach der Lektüre französischer Klassiker bemerkt, dass in den Büchern über die soziale Position der handelnden Personen kein Wort verloren wird. Die bloße Beschreibung dessen, was sie essen, reicht aus, um zu markieren, wo sie sozial stehen. Zwischen Champagner und Henkell-Sekt verläuft eine Grenze, um die alle wissen.

Feine Grenzen, zwischen oben und unten, zwischen drinnen und draußen, auf dem Teller gezogen. Seit Bourdieus bahnbrechenden Untersuchungen haben sie sich nicht aufgelöst. Globalisierung und Co lassen die Grenzen aber verschwimmen: Geräucherter Lachs ist heute – Aquakultur sei Dank – für viele erschwinglich. Abgrenzung nach unten funktioniert heute darüber, wie biologisch, regional oder vegan jemand einkauft und kocht.

Julischka Stengeles performatives Dinner verhandelt Klassenfragen auf dem Teller auf leichtfüßige Art und Weise. Ich esse, also bin ich – vielleicht wer Besserer als du.

 

Barbara Blaha (geb. 1983) ist eine österreichische Autorin, Gründerin des Politkongresses Momentum und des Thinktanks Momentum Institut sowie Herausgeberin des dazu gehörigen Moment Magazin moment.at. Blaha ist ehemalige Vorsitzende der Österreichischen Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft (ÖH).

 

 

 

 

 
Loading