TQW Magazin
Sonja Eismann über I Grew an Alien Inside of Me von Rima Najdi

Babys machen, Systeme stürzen

 

Babys machen, Systeme stürzen

Evolution und Revolution. Babys machen, Systeme stürzen. Warum habe ich nie über den Zusammenhang nachgedacht? Jetzt, als ich den Ankündigungstext lese, ist es so klar. Vielleicht hat das Vokabular gefehlt, in Haft genommen vom deutschen Mutterkörper, der Körperpanzer zur Vernichtung gebiert, und von Berührungsängsten mit Second-Wave-Rhetorik.

Als ich beim Theater ankomme, fängt es an zu regnen. Ich bin müde, ein bisschen melancholisch. Auch gespannt. Andere haben Gutes erzählt. Ich gehe um die Ecke in eine einsame Ladenpassage und rufe meine Kinder an. Sie fragen, wie es mir geht. Was ich mache und wann ich nach Hause komme. Bald. Sie sind gut gelaunt. Sie sagen, dass sie mich vermissen. Eine junge Frau räumt ein Restaurant auf, putzt, schließt ab. Was dabei alles zu tun ist. Wer wartet zu Hause? Geht sie manchmal ins Theater? Arbeitet sie hier, um ihr Studium zu finanzieren? Weil die Eltern nicht genug Geld haben? Oder ist sie in diese Stadt gekommen, von weiter weg, weit weg, um hier zu arbeiten, irgendwas zu arbeiten? Ich lege auf und kehre ins Theater zurück.

Die Performance beginnt bald, wir Zuschauer*innen dürfen nach oben zum Einlass, wir sind nur eine kleine Runde, es fühlt sich an wie eine Auszeichnung, ein Bekannter hat keine Karte bekommen. Es ist dunkel, wir werden zu einem Raum im Raum geführt, ein mit Vorhängen geschaffener Kreis, eher eckig, aber weich. Erst später fällt mir ein, was so klar ist, schon wieder, es ist natürlich ein Womb, wie der berühmte Womb Room, 1972, Womanhouse, durchlässig gehäkelt, eine Gebärmutter (ich kann gar nicht anfangen, über die Symbolik des deutschen Wortes nachzudenken), und auch hier wirken die Wände aus Spitzenvorhängen nicht wie Grenzen, sondern wie Schutz. Liebevolle Einhegung, vielleicht hingen in Rima Najdis Kindheit auch solche, oder heute.

Nach und nach nehmen wir Platz, unsicher, vielleicht auch schüchtern im Dunkeln den Weg suchend, ich kenne die Personen neben mir nicht, aber wir sitzen alle irgendwann auf Stühlen rund um einen Tisch, als wären wir gemeinsam eingeladen. Zu einem Essen oder einem Meeting. Ein viereckiges Tischgebilde. Wie in der Schule. Oder bei einer politischen Konferenz, einer kleinen. Es ist viel technisches Gerät im Raum, das kalt blinkt (warum kalt, warum ist Technologie für mich mehr als 30 Jahre nach „the clitoris is a direct link to the matrix“ immer noch patriarchales Dominationsinstrument, das ist zu slow), und die Performerin schreitet über die Tische, mit einem Mikrofon in der Hand, und wiederholt mantraartig, dass die Performance bald beginnen wird, in verschiedenen Permutationen. Ich bin fasziniert davon, wie charmant ich das finde. Ich fühle mich eingeladen. Angesprochen, ohne ausgestellt zu werden.

Ich beobachte mich dabei, wie ich verstohlen die Künstlerin beobachte. Wie sie energetisch und selbstbewusst die Tische abschreitet. Ganz gerade. Wie eine Königin, mir fällt kein anderes Wort ein. Und wie wir von unten schräg hinauf auf sie schauen. Ist das ein male oder ein female gaze? Tue ich das, was John Berger abschätzig kapitalistisch findet, oder das, was für Iris Brey solidarische Wärme ist? Ich sehe Rima Najdis Beine vorbeilaufen, bewundere ihre Stärke. Sind das Glitzersteine auf ihren Unterschenkeln oder soll es Blut sein? Das hinabläuft.

Als die Performance anfängt, will ich mir alles ganz genau merken, den Ablauf, jedes Detail. Was gesagt wird, wie die Musik ist. Und dann kommen die kreisförmigen Bewegungen, die Zyklen, und es ist ganz klar, dass nicht mehr klar ist, was was ist, was wann ist. Wann Revolution und Straßenkampf, mit Rennen Tränengas Schüssen, die laufenden Bilder sind auf die Vorhänge projiziert. Wann geboren wird, mit Naturbildern zwischen wellig stürmisch und idyllisch, Federn und andere Dinge werden auf einen Overheadprojektor gelegt, die Mitarbeiterinnen tragen Kittel wie im Labor. Es gibt keine klar getrennten Abläufe, kein Zeitgefühl, alles fließt ozeanisch ineinander, niemand weiß, wie lange es dauert, wann geboren und wann gestorben wird, es ist so nah beieinander, Najdi röchelt in ihr Mikrofon, keine Luft bekommen von Tränengas und von Wehen, und irgendwann scheint doch alles stillzustehen, sie spricht davon, wie sich Körper und Geist scheiden, weil nichts mehr erträglich ist, und dann sagt sie den Satz, der nicht mehr weggeht: „She ghosted herself.“

Doch immer fließt es weiter, in Wellen Zyklen Wehen, und sie geht immer wieder im Kreis über die Tische, hält den Gästen ihr Mikro hin, die erstaunt Wörter wie „Push“ oder „Rrrrevolution“ hineinsagen müssen, und es macht sich ein kollektives Gefühl von Scham und Amüsement breit, wie unterschiedlich diese Wörter klingen. Manche brüllen fast, andere nuscheln, manche sagen gar nichts, Leere.

Und dann ebbt alles ab, die Künstlerin fragt Zuseher*innen nach den Namen ihrer Mütter, wiederholt sie, ich bin gerührt von dieser Geste des Respekts, stelle mir vor, wie ich öffentlich den Namen meiner Mutter sage, aus Dankbarkeit, dass sie mich getragen und geboren hat. Und den jeder Revolutionärin, die für Gerechtigkeit gekämpft hat. Mit sanfter Autorität bedeutet uns Rima Najdi, dass es jetzt vorbei ist, dass jedes Ende ein Anfang ist und jeder Anfang ein Ende, die Performance ist vorbei, ihr dürft gerne klatschen, und ich gehe hinaus in den Regen, der sich zu einem Unwetter gesteigert hat. In der überdachten Hofdurchfahrt steht ein Mann mit Kinderwagen, das Baby klammert sich fröhlich an ihn, lacht, beide so zufrieden, obwohl es kalt ist. Und ich höre euphorisch den Satz, den der Mann zum Kind sagt: „Komm, es ist vorbei, wir gehen rein zu Mami.“

 

 

Sonja Eismann ist Mitgründerin und -herausgeberin der feministischen Zeitschrift Missy Magazine. Neben ihrer redaktionellen Tätigkeit für Missy arbeitet sie als freie Autorin für Deutschlandfunk Kultur, veröffentlicht Artikel sowie Bücher für Kinder und Erwachsene, zuletzt Movements & Moments. Indigene Feminismen (2022) und Wo kommst du denn her? Warum es normal nicht gibt (2020) und lehrt zu (pop-)feministischen Themen an Universitäten oder in Workshops. Sie lebt mit ihrem Partner und den zwei gemeinsamen Töchtern in Berlin.

 

 
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