TQW Magazin
Christopher Wurmdobler über BUNNY von Luke George & Daniel Kok

Bondage verbindet

 

Bondage verbindet

„Ooo, ooo, ooo, ooo, no, baby please don’t go“: Bis zum ersten Lacher dauert es ein bisschen in BUNNY von Luke George und Daniel Kok. Die beiden Performer müssen sich – auch mithilfe des Publikums – erst einmal in eine relativ ausweglose Situation bringen. Schließlich hängt der eine, Daniel Kok, geschnürt und gefesselt mit neonbunten Seilen in der Raummitte an einem Haken und dreht sich sanft über schwimmbadblauem Teppichboden. Nachdem Bondage-Profi Luke George seinen Kollegen an den Haken gebracht hat, hat er selbst Hand an sich gelegt, sich die angewinkelten Beine mit Schnüren fixiert und schließlich fesseln lassen. Eine Zuschauerin hat beim Fesseln der Hände geholfen, eine andere den iPod bedient, und nun hören wir „If you leave me now“, den 1970er-Jahre-Schmusesong von Chicago: Bitte geh nicht fort. Bizarr. Kann ja eh keiner der beiden gefesselten Akteure den Raum verlassen.

Das Publikum, das an allen vier Seiten der quadratischen Bondage-Manege in der TQW Halle G sitzt, könnte zwar theoretisch aufstehen und gehen, ist aber auch ganz gefesselt vom Einstieg in diese imposante Schnürshow. Und es wird noch verbindlicher. „Bunny“, lernen wir aus dem Programmfolder, nennt man beim Bondage die Person, die gefesselt wird, meist eine „unterwürfige Frau“. Der Fessler (meist ein „dominanter Mann“) heißt „Rigger“. In diesem choreografischen Versuch über das Fesseln sind die Rollen umgedreht, Stereotype aufgelöst. Luke George mit rosa Seidenkimono überm blitzblauen Slip und mit umständlicher Zöpfchenfrisur aus bunten geflochtenen Seilen macht zwar Gesten der Unterwürfigkeit, bestimmt aber die Regeln. Kok, männliches geschnürtes Kraftpaket, Netzstrümpfe über der Kompressionshose, ist zunächst zumindest der Fixierte.

„Er braucht einen Anschubser“, sagt der gefesselte George leise und macht mit dem Kopf eine Bewegung Richtung Kok, dessen gebundener Körper aufgehört hat, sich zu drehen. Hier herrscht kein Kommandoton. Seine Stimme klingt bestimmt, aber freundlich. Jemand im Publikum rafft sich schließlich auf und stößt den Artisten unter der Saaldecke, damit er sich wieder dreht. Es bleibt nicht die einzige körperliche Interaktion zwischen Publikum und Performern in diesen zwei BUNNY-Stunden. Mit ihrer bestimmten Art bekommen George und Kok die Zuschauer_innen dazu, Erstaunliches zu machen. Oder mit sich machen zu lassen. „Can we bring him down?“ Ein Zuschauer befreit Kok überraschend gekonnt aus seiner Lage. Auch George lässt sich die selbstgemachten Knoten von fremden Händen öffnen. Es wird geknüpft und entknotet, eine Zuschauerin führt einen anderen ganzkörperverzurrten Zuschauer mit Augenbinde an der Leine im Quadrat herum, ein anderer versohlt einem der beiden Performer mit einer Peitsche aus roten Schnüren den Hintern, und irgendwann lässt sich eine Besucherin liegend mit Seilen fixieren und schaut interessiert dabei zu, wie der komplette Inhalt – Kosmetikartikel, Geld, Kreditkarten, Wasserflasche, Medizin, Schlüssel, Parfüm – ihres schwarzen Stoffrucksacks vor ihr ausgebreitet und in einer Reihe aufgelegt wird. Während ein anderer Zuschauer erst geknebelt und gefesselt wird und dann später als Schnürpaket im Zentrum der Aufmerksamkeit aller hängt. Zu Jimi Hendrix’ „Voodoo Child“.

Auch wenn es vielleicht so klingt: Erstaunlich ist, dass hier kein schlimmes Mitmachtheater stattfindet. Die Grundstimmung ist heiter bis achtsam, und was womöglich an SM-Härte und Folterkeller denken lässt, ist eher ein freundliches Miteinander; alles kann, niemand muss. Luke George und Daniel Kok sind bei der Auswahl ihrer Mitmachkandidat_innen ausgesprochen behutsam und akzeptieren auch ein Nein. „Ist es okay für dich“, lautet dann auch eine oft gestellte Frage. „Geht es dir gut?“ Es geht ums Miteinander, um Hingabe. Es gibt sogar einen Coachellamäßigen Voguing-Part, bei dem die neonfarbenen Schnurzöpfchen nur so durch die Luft sausen.

Nach fast zwei Stunden werden alle Gefesselten befreit, Daniel Kok packt die ausgebreiteten Gegenstände wieder in den Rucksack zurück und man fragt sich, ob er speziell diese Besucherin mit dieser Art Baumwollrucksack ausgewählt hat, wenn er schließlich an den Rucksackseilen zieht, um ihn zu schließen und ihr zurückzugeben. Als letzten Akt des Zuzurrens sozusagen. Halt, nein: Ganz zum Schluss gibt es bunte Törtchen für alle, die sich haben fesseln lassen. Schöne Geste, schöner Abend. Und fesselnd für alle.

 

Christopher Wurmdobler ist Journalist und Autor in Wien. Er hat in Gießen Angewandte Theaterwissenschaft studiert, fast zwanzig Jahre beim FALTER gearbeitet und sich dort außer mit Stadtthemen auch regelmäßig mit Performance und Tanz beschäftigt. Wurmdobler ist Teil des Kollektivs H.A.P.P.Y und im Main Cast des Immersive- Theater-Ensembles Nesterval. Gerade ist sein erster Roman erschienen: SOLO (Czernin Verlag).

 

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