TQW Magazin
Gabriele Edlbauer über The Endless Island of Absence von Linda Samaraweerová

Brokkoli und Worry Stone

 

Brokkoli und Worry Stone

Hallo oder so sagt das freundliche Nicken beim Eintreten. Nach kurzer Orientierung im Raum folgen die klaren Ansagen der Performerin über die Abläufe, die Struktur. Diese Klarheit, so scheint es dir, wird etabliert, um dann zielgenau in die Unklarheit zu schlittern. Mit Punktlandung.

Denn die Tänzerin bewegt sich nun sachte und rückwärtsgewandt mit geschlossenen Augen im Kreis in der Mitte jenes Feldes, das vom Publikum umschlossen wird. Zögerlich setzt instrumentale Musik ein. Die Hände von links nach rechts und von rechts nach links wandernd, sodass du dich fragst, ob sie über ein imaginiertes Stück Holz gleiten. Ein Handschmeichler? Dir fällt auch das englische Wort dafür ein: worry stone. (Dann fällt dir auch noch worry wart ein, ein Begriff, der eine Person, die ständig in Sorge lebt, beschreibt. So unfokussiert bist du also im Moment.)

Die Performerin setzt Schritt für Schritt hintereinander, die Hände gleitend, die Augen geschlossen. Immer und immer wieder. Alle Blicke ruhen auf ihr, auf der Langsamkeit und der Gleichmäßigkeit ihrer Bewegung, und du bemerkst, wie die endlos scheinende Wiederholung deine Aufmerksamkeit vom Zentrum des Raumes an den Rand wandern lässt. Zum Publikum. Zu dir.

Ich spreche mit dir, weil im Stück alles mit dir spricht.

Eine leichte Unruhe ist fühlbar. Sanfte Schritte und ruhige Bewegung. Zu Hause liegt nur ein alter Brokkoli in deinem Kühlschrank. Der Herr neben dir fummelt nach dem Text, auf den er am Ticketschalter aufmerksam gemacht worden war. So produktiv bist du nicht. Unlearning fällt dir ein. Wo doch rückwärtsgegangen wird, vielleicht eine Art Zurückspulen, Auf-Null-Setzen. Also bist du mit deiner Unproduktivität zufrieden.

The Endless Island of Absence; du kannst den Titel des Stücks nur noch schwer umgehen, so dick und fett hat er sich schon breit gemacht. Und wo er jetzt gerade beginnt, allen auf die Schuhe zu steigen, und die Leere so laut geworden ist, ist die Tänzerin zum Stillstand gekommen.

Und wie von ihr anfangs angekündigt, folgst du ihr die Treppe, die die üblicherweise als Zuschauerraum genutzten Sitzplätze säumt, hinab auf die Bühne, die voll ist von grünen Hängematten, die von der Decke baumeln. Vielleicht schon beim Ausziehen der Schuhe, aber spätestens beim Versuch des Einstiegs in eine der Matten wandert deine Aufmerksamkeit wieder zu dir. Zu den zu kurzen Beinen. Schwierig, wie soll man da nur am besten rein? Oder zu alt, oder zu unsicher, weil so viele Leute zuschauen. Hält die denn? Angekommen, machst du dich breit, du siehst, die anderen haben es auch geschafft. Bei manchen ragt ein Bein zur Sicherheit gen Boden. Aus Körpern wurden unförmig hängende Säcke, die sich leicht drehen und winden und ein kollektives Schaukeln erzeugen. Deine Hängematte erzeugt einen Raum nur für dich.

Die flüsternde Stimme, die du nun hörst, spricht dich direkt an. Weil im Stück alles mit dir spricht. Told you so. Im Unterschied zu den am Anfang der Performance stehenden klaren, auf Englisch formulierten Instruktionen der Tänzerin werden nun poetisch verwobene Passagen auf Deutsch geflüstert. Deren gedankliche Sprünge lassen dich immer wieder den Faden verlieren, und du kannst ihn nur ein Stück weiter wieder auflesen, um ihn erneut zu verlieren. Dass dieses fade-in-fade-out wohl bei den nicht deutschsprachigen Teilen des Publikums besonders präsent sein muss und dass aber der Text auch bei dir ähnlich funktioniert, fällt dir noch ein. Dann wird es langsam dunkel. Das farbenfrohe Schaukeln verschwindet in kollektiver Finsternis, die flüsternde Stimme in kollektivem Schweigen. Linda Samaraweerová platziert die Dunkelheit, das Herunterfahren alles Sichtbaren antiklimaktisch im Zentrum ihres Stückes. So hängst du in deiner Matte, hörst die anderen um dich atmen, fühlst einen leichten Zug im Raum. Probierst Augen zu, Augen auf. Bleibst so verharrend für die lange dunkle Passage. Bis sich schließlich ein Sound ausbreitet und du bemerkst, dass langsam Gestalten mit Instrumenten im Zuschauerraum (auf der Bühne bist ja du) sichtbar werden. Jetzt, wo dein visuelles Sensorium so heruntergefahren ist, ist die Musik umso dröhnender, körperlicher. Die Beleuchtung tritt nun immer mehr in den Vordergrund, ein kurzes Lichtspiel an der Decke, und dann, mit der Präzision eines Wake-up Light, einer Nachttischlampe mit programmierbarem Sonnenaufgang als sanfte Aufwachhilfe in den dunklen Wintermonaten, wirst du durch verschiedenfärbige Lichtphasen in die Helligkeit begleitet.

Am Ende wachst du auf.

 

Gabriele Edlbauer, Künstlerin, lebt und arbeitet in Wien. Studium an der Königlichen Kunsthochschule in Stockholm (BFA 2011) und an der Akademie der bildenden Künste Wien (Mag.a 2012). Edlbauer unterrichtet derzeit an der Universität für angewandte Kunst Wien und hat bereits an zahlreichen nationalen und internationalen Ausstellungen teilgenommen.

 

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