TQW Magazin
Elizabeth Ward über BSTRD von Katerina Andreou

BSTRD ohne As

 

BSTRD ohne As

Fröhlich unbeholfen! Befreiend und Erinnerungen weckend!

Auf dem Boden klebt ein unregelmäßiges diamantförmiges Rechteck. Am hinteren Ende der Bühne steht ein Turm aus Lautsprechern mit einem Plattenspieler oben drauf. Darüber ist „We need silence for the piece“ an die Wand projiziert, links davon liegt eine Platte und daneben zwei Wasserflaschen. Rechts steht eine Lampe. Wir warten. Im Publikum befinden sich abgesehen von mir noch zwei weitere Rezensent*innen, und ich kann geradezu spüren, wie wir drei dasitzen mit Stift und Papier und darauf warten, dass die Performance beginnt.

Katerina Andreou tritt mit nassen Haaren auf. Das erinnert mich schlagartig an ihr Solo „A Kind of Fierce“, in dem sie sich tänzerisch verausgabt und das tussige Haareschütteln zum Signature Move wird. Es ist sofort klar, dass BSTRD dort ansetzt, wo „A Kind of Fierce“ aufgehört hat.

Ich möchte an dieser Stelle ganz offen sagen: Ich bin mit Katerina befreundet, und kaum jemand, die*den ich kenne, arbeitet so hart wie sie. Vor Jahren haben wir gemeinsam mit DD Dorvillier getanzt. Sie hat ein sehr strenges Auge, ihre Herangehensweise an Probleme ist geradezu poetisch, und sie ist ein sehr warmherziger, mitfühlender Mensch.

Katerina geht zum Lautsprecherturm, legt die Platte auf, und es beginnt ein eindringliches, kraftvolles Trommeln. Währenddessen tritt sie in die Mitte des Rechtecks, mit dem Rücken zum Publikum, und beginnt in rasendem Tempo mit einer komplizierten Beinarbeit aus Schritten und Sprüngen, die die Musik akzentuiert und mit ihr interagiert. Die Beinarbeit wird Schritt für Schritt komplexer. Die Energie ist explosiv.

Der TQW-Website habe ich entnommen, dass BSTRD einerseits ihrer Freude, andererseits ihrer Abwendung von der House-Kultur und dem House-Tanz entsprungen ist. Ich erkenne umgehend eine Diskrepanz zwischen der Platte und dem, was ich als House-Musik kenne. Es ist härter, weniger beschwingt. Ich versuche, es einzuordnen, aber es gelingt mir nicht. Es ist nicht klassisches Chicago House, wie ich es erwartet hatte. (Katerina hat das Sounddesign gemeinsam mit Eric Yvelin entwickelt.)

Nach und nach bewegt sie sich weiter und nimmt mit ihren Bewegungen immer mehr Raum ein. Die Bewegungen werden offener, sie zeigt sich uns jetzt von der Seite, verlässt den begrenzten Bereich des rautenförmigen Rechtecks, feuchtet ihr Haar mit einer der Wasserflaschen an. Die Komplexität der Schrittfolgen und ihrer schnellen Abfolge erinnern an das Petit allegro aus der Welt des Balletts und das Facing an den Detroit Hustle, aber ich gebe bald meinen Versuch auf, die Tanzformen zu erkennen, mit denen sie arbeitet. Vor meinem inneren Auge blinken fortwährend die energiegeladenen Begriffe resistant (widerständig) und resilient (widerstandsfähig). Die Komplexität und Präzision bleibt nicht allein in ihren Füßen. Sie verwendet ihren ganzen Körper, um mit dem intensiven Trommelrhythmus der dröhnenden Platte, die jetzt länger läuft als erwartet, zu spielen und ihn hervorzuheben. Ein herausragender Moment ist ein fröhlich-unbeholfenes Schütteln ihrer Brust in der Luft während eines Sprungs.

Der Gedanke an Widerstand kommt immer wieder auf, aber was hier vor sich geht, fühlt sich nicht wie ein Kampf an. Widerstandskraft, die mit der Fähigkeit einhergeht, Schwierigkeiten zu überwinden, scheint mir passender, da sie immer von Offenheit geprägt ist. Später schlage ich zu Hause die Etymologie von resilient nach und finde heraus, dass es aus den 1640er-Jahren stammt und „zurückspringen“ bedeutet. Es geht auf den lateinischen Begriff resilientem zurück, was so viel heißt wie „aus einer Schräglage zurückspringen oder zurückbiegen“.

… Obwohl das Springen eine energetische Stimmung von Widerstandsfähigkeit in mir auslöst, komme ich nicht umhin, mich zu fragen, wie ableistisch diese Assoziation ist …

In dem Moment, in dem sie, den Blick Richtung Publikum, ans vordere Ende der Bühne kommt, dreht sich die Zeit zurück, und ich sehe Katerina wieder bei unserer ersten Probe, nachdem New York von einem Hurrikan heimgesucht worden war. Sie beschreibt, wie ihre Wohnung nahe am Wasser die Nacht hindurch gebebt hat. Zurück in der Gegenwart scheint sie sich in einer Woge am Rande des Ozeans zu überschlagen. Dieses Hochgehobenwerden, das wie eine Welle durch ihren Körper fährt, und die Intensität der Schrittfolgen lösen Assoziationen aus wie Orientierungslosigkeit und das Vergnügen, sich einer Kraft hinzugeben, die größer ist als man selbst. Plötzlich scheint überall Wasser zu sein: in ihrem Haar, ausgeschüttet auf dem Boden, in ihrer Bewegung und in meiner Erinnerung an den Hurrikan. Es scheint so, als ob sie sich entweder in einer gigantischen Waschmaschine befindet oder eine entstehen lässt, die die Bühne sauber wäscht. Alles an ihr ist in Bewegung.

Ihre Freude am Tanzen ist spürbar und ansteckend. Mitten während des Stücks entdecke ich zwei Tanzkolleg*innen im Publikum. Sie haben beide diesen äußerst wachen, lebendigen Blick, den eine kinästhetische Erfahrung manchmal auslösen kann, wenn man jemanden beobachtet, die*der sich selbstvergessen dem Tanz hingibt. Sie macht immer weiter und zieht dabei schichtweise weiße T-Shirts aus. Ich bin so erleichtert, dass das Wasser und das Ausziehen der T-Shirts nichts mit einem Wet-T-Shirt-Contest zu tun hat, und mir wird bewusst, dass jedes Mal, wenn eine Frau Wasser auf sich gießt, während sie ein weißes T-Shirt trägt bzw. auszieht, der „Wettbewerb“ nur vorgegaukelt ist. Eine Stimme auf der Platte ruft mehrmals „Go!“. Dieses „Go!“ scheint sie noch weiter anzutreiben, es ist wie das Aufheulen eines Motors.

Die Platte ist zu Ende. Stille.

Sie dreht die Platte um und fängt von vorne an. Dieser Wiederanfang ist weder angereichert noch eine Neuinterpretation. Das Tanzen ist weiterhin kraftvoll, aber jetzt ist eine andere Energie am Werk. Gerade in dem Moment, in dem das Dröhnen intensiver wird, setzt sie sich hin, mit dem Rücken zu uns. Die Energie ist nach innen gerichtet und eigen, und schon tanzt sie wieder, aber jetzt mit rotem Lippenstift und das Haar zusammengebunden zu einem Knoten, der seltsam fehl am Platz wirkt. Die Dynamik ist jetzt geschlechtsspezifischer, etwas in den Augen ist verloren gegangen, sie zieht ein weiteres T-Shirt aus, und noch eines. Die Timings werden merkwürdiger. Sie hebt ein T-Shirt auf, das in der Nähe des Lautsprecherturms liegt, und wirft es in dem Moment wieder zu Boden, in dem die Musik in ein melodischeres Klavierstück übergeht. Eine Wolke aus weißem Pulver breitet sich in der Luft aus. Sie geht von der Bühne. Uns bleibt die Nachwirkung ihrer Schritte und eine Staubwolke. Herrlich sieht sie aus, weckt aber auch Erinnerungen an Hiroshima. Die Wolke wächst und wächst, Staubkörner breiten sich aus und werden von den Scheinwerfern angeleuchtet, bevor sie langsam zu einer Erinnerung zerfallen.

 

Elizabeth Ward ist Tänzerin, Choreografin und Performerin und lebt derzeit in Wien. Ihre Arbeiten nehmen Bezug auf Ballett, ohne selbst Ballett zu sein. Sie arbeitet aktuell an einem praktischen Ansatz, den sie An End to Apocalyptic Thinking nennt, und hat sich als Bassistin der Anarcho-Punk-Band Ausländer einen Traum aus Teenagertagen erfüllt. Sie ist demnächst in einer Wiederaufnahme von Michikazu Matsunes All Together in einer Version als Trio mit Frans Poelstra zu sehen sowie gemeinsam mit Frédéric Gies in dessen neuer Produktion Queen of the Fauns.

 

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