TQW Magazin
Christiane Czymoch über Precarious Moves von Michael Turinsky

Cruising spaces to be defined: “I’m a crawler. I’m a roller. I’m a lover.”

 

Cruising spaces to be defined: “I’m a crawler. I’m a roller. I’m a lover.”

In einem Theaternirgendwo, zerfasernde Enden in ein schwarzes Bühnenweltall hinaus, den weißen Tanzteppich aufgelegt. So zeigt sich der Raum für Precarious Moves nur online, on demand, Januar 2021, ohne Kontur. Michael Turinsky aber schwebt nicht herein. Klappernd, klirrend, leiblich widerständig quert er den scheinbar unbegrenzten Raum, einen Servierwagen vor sich, allein mit den nackten Füßen den Rollstuhl über den Tanzboden bewegend, und begrüßt das virtuelle Publikum. „Hi! Hi, hi.“ Die performte Privatheit reißt ein Loch in den Abstand zwischen Videobühnenraum und Augen, Ohren, Fingerspitzen am Endgerät, über die gesamte Performance hinweg, wieder und wieder. Ein Kinderspielzeug-Holzbäumchen fällt um. „Oops!“ Die schwingend-gespannten Hände öffnen eine Tonicflasche. „Easy!“ Klirren und Krachen hinter der weißen Rückwand, angestrengtes Atmen verstärkt durchs Mikrofon, rückwärtsgehend Schritt um Schritt konzentriert Richtung Rollstuhl, ein plötzliches Straucheln, Schreck. Kein Sturz. Nur Kleinigkeiten, Randnotizen. Doch schaffen sie eine sinnliche Transparenz, die den künstlerischen Prozess befreien will vom Diktat des störungsfreien Gelingens. Ein leises Fuck you ans Müssen an sich.

Der schwingende, gespannte Körper, Nachhall in jeder Bewegung, der sich weigert, in seiner nichtnormativen Materialität unsichtbar zu werden. Dagegen der Künstler, der sich weigert, immerzu präsent zu sein. „For me, crip essentially means resistance. […] Like, as I love to do, not getting up before 11 a.m. And letting your assistant bring breakfast to your bed. That’s the kind of cosy resistance against mobilization that I mean.” Eine provokative Entpolitisierung des Widerständigen oder vielmehr eine kompromisslose Inanspruchnahme des Privaten als durch und durch politisch? Im leeren Raum gibt es kein kollektives Lachen als Antwort. Die verbale Geste greift trotzdem nach dem Publikum.

“How can a gesture find its own milieu and still care for or at least care about the milieu of the other?”, fragt Turinsky zuvor. Der Raum, in dem crip gesture ein eigenes Milieu findet und gleichzeitig das Milieu des*der anderen achten kann und umgekehrt, ist ein utopischer und deshalb unbedingt ein politischer. In eine Zukünftigkeit hinein, um derentwillen Turinsky in seinen Performances die Gegenwart immer wieder aufs Neue nach ihrer Verfasstheit befragt, nach Solidaritäten, nach den Beziehungen prekarisierter Körper zueinander und zu ihrer Umwelt, nach Machtgefügen, nach den Konflikten von Organischem und Organisatorischem, nach den Widersprüchen zwischen Choreografie als Organisationsprinzip von Bewegung und der crip resistance gegen neoliberale Mobilitätszwänge. Turinsky fragt uns laut: “What if our fetishization of speed is rooted in a certain sense of social stagnation?”, und macht uns leiblich-wortlos ein verqueres Gegenangebot. Was, wenn wir die widerständige Langsamkeit seiner Bewegungen auf dieser Bühne als sozialen Fortschritt zu lesen fähig wären? Als eine Ästhetik des Utopischen?

All das performt gegen eine Klanglandschaft, in der sich die feinen Töne einer Kinderspieluhr mit dem dumpfen Rauschen von Maschinen oder aufgeladenen Clubnächten zu mischen scheinen. Eine Holzeisenbahn, kleinteilig zusammengesetzt, und ein Papierboot, das auf zwanzig Zentimetern Freiheit über einen See aus Tonicwasser pendelt. Elemente des kindlichen Mobilisierungsspiels sind permanent präsent, konterkarieren die verbale Intellektualisierung von Choreografie und prekärer Leiblichkeit. Oder ergänzen sie sie? Da klingt in aller Schlichtheit an: Dieses Menschsein, es ist komplex.

Dann abgelöst von einem repetitiven Beat, irgendwo zwischen Peitschenhieben und dem anachronistischen Klacken von Schreibmaschinenlettern. Damit finden wir uns in einem Popkulturzitat, einem Musikvideo, werden eingeklemmt zwischen belächelnder Ironisierung und unweigerlichem Berührtsein. In einfachen Drei-Wort-Sätzen besingt Turinsky Körper- und Mannsein, Bewegtsein, emotional und physisch, Lügner- und Loversein. Mit einem Lachen, das sich unbedingt widersetzen will, schauen wir ihm dabei zu, wie er in einem elektrischen Miniporsche Kreise um die Bühne zieht. Turinsky lenkt, aber bestimmt er selbst die Geschwindigkeit? Mit dem Lachen ringen Popkitsch und die simple Ernsthaftigkeit seiner kompromisslosen Ansprüche auf ein Vieles-sein-Können immerzu, nur nicht linear, in Zeit und Raum.

Diese Verweigerung vor der Linearität, ganz gleich ob freiwillig oder zwangsläufig, beginnt einen utopischen Dialog von crip gesture und Mehrheitsgesellschaft, in dem Letztere am Zug ist, die nächste Schleife zu ziehen, wenn Turinsky fragt: „How can we de-organise and re-organise our movements in such a way, so that my movement can join your movement? So that we move on with joint forces?“

  

Christiane Czymoch beschäftigt sich in ihrem aktuellen theaterwissenschaftlichen Dissertationsprojekt mit der Verknüpfung von Ästhetik und Politischem, der Performativität von Utopien. Sie arbeitet außerdem als Untertitlerin und im Bereich der medialen Barrierefreiheit.

 
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