TQW Magazin
Sara Schausberger über Go for it let Go von Christine Gaigg / 2nd nature

Das Begehren abzuspritzen

 

Das Begehren abzuspritzen

„Hast du schon einmal gesquirtet?“, frage ich meine Begleitung, als wir den Saal verlassen. Wir haben gerade Christine Gaiggs Performance Go for it let go gesehen, ein Stück über weibliche Ejakulation. Und interessanterweise fühlt sich das, von dem ich dachte, ich will das gerne können und erleben, nach diesem Abend weniger begehrenswert an. Da ist eher das Gefühl: Jede dieser Frauen, die auf der Bühne über ihr Abspritzen spricht, erlebt dieses anders. Manche können es, manche nicht. Und ein Orgasmus mit Ejakulat ist nicht gezwungenermaßen intensiver.

In Gaiggs letztem, vorpandemischem Stück Affair kommt an zwei Stellen weibliches Abspritzen vor. Das habe zu Irritationen geführt, erklärt sie zu Beginn dieser neuen Arbeit über Sex, die sich einreiht in eine Serie zu den gesellschaftlichen Bedingungen von Sexualität. Was befremdet uns daran, dass auch Frauen etwas können, das wir eigentlich nur Männern zusprechen? Für Go for it let go hat Gaigg nach Frauen gesucht, die Erfahrung im fontänenartigen Kommen haben. Drei davon sind nun Teil der Performance. Aufgrund von Corona fällt eine dieser Frauen bei der Premiere aus und ist nur durch ihre Stimme repräsentiert, ihre Fotos sind auf der Leinwand über dem gemütlichen lachsfarbenen Sofa, das auf der Bühne steht, zu sehen. Dies sei kein Stück, in dem sie einfach eine Rolle umbesetzen könne, sagt Gaigg zu Beginn und bekräftigt damit die Behauptung von Authentizität. Hier ist fast alles real und dadurch noch intimer, weil ja echt. Eine Live-Kamera auf der Bühne fungiert als Dialogpartnerin, die an manchen Stellen noch mehr Nähe schafft.

Der Abend hat etwas von einer Aufklärungsstunde. Wir, die Zuschauer*innen, die auf drei Seiten rund um die Bühne sitzen, erfahren etwas über das Thema weibliche Ejakulation. Gaigg moderiert, hält Bücher in die Kamera, stellt Fragen: „Wird in eurem Freundeskreis über Ejakulation gesprochen?“; „Habt ihr immer schon ejakuliert?“; „Schafft ihr es auch allein oder nur mit jemand Zweitem?“. Wir erfahren, dass die weibliche Ejakulation früher auch für Stressinkontinenz gehalten wurde und dass es im Altertum die These gab, dass erst zwei Flüssigkeiten zusammenkommen müssen, damit Leben entsteht. Eine Performerin bezeichnet die Fähigkeit als „special skill“. Der Moment des Ejakulierens sei sehr emotional, heißt es einmal. Und dass er etwas Verbindendes haben kann. „Wenn ich spritze, bin ich fast in einem tranceartigen Zustand.“ Die Flüssigkeit riecht nicht oder nur ein bisschen nach Urin. Es gibt eine Pornokategorie namens „Squirten“, und selbst das weibliche Ejakulieren ist im Kapitalismus angekommen: Was vermarktet werden kann, wird vermarktet, auch die Fähigkeit zu spritzen.

Am schönsten sind die anekdotischen Momente in Gaiggs Performance-Essay. Etwa die Geschichte über den One-Night-Stand im Stundenhotel, der mitten im Sex pausieren wollte, um über die Flüssigkeit zu reden. Oder die Begegnung mit dem Buchhändler, mit dem eine Mitwirkende ihr erstes Mal Abspritzen erlebte. Er hatte ihr davor in der Sex-Abteilung ein Buch zum Thema empfohlen.

Dazwischen rappt Cardi B über ihre „wet-ass pussy“, und die Band Schapka singt: „Ich kann leider gar nicht flirten, das fällt mir so schwer. Aber manchmal kann ich squirten, das gefällt mir sehr.“ Auf der Leinwand bringen zwei Hände eine Vagina zum Ausrinnen; der nasse Fleck am Leintuch wächst und wächst. Eine nackte Performerin tritt auf. Ihr Erscheinen ist eine Überraschung in dem Setting aus Sofalandschaft, in dem ruhig und sachlich übers Ejakulieren gesprochen wird. Sie setzt sich mit gespreizten Beinen vors Publikum und entblößt ihre Vulva: eine Anlehnung an die Frau, die als „Naked Athena“ bekannt wurde, als sie bei einer Black-Lives-Matter-Demo in Portland, Oregon, die Polizei „durch ihre nackte Möse entwaffnete“. Gaigg freut sich, wenn den vielen erigierten Schwänzen in der Kunstlandschaft ab und zu das Bild einer erigierten Vulva entgegengehalten wird.

Zum Schluss von Go for it let go liegen vier nackte Frauen am Boden. Sie masturbieren, sie stöhnen: Die Kamera hält drauf. „Spritzen als Selbstermächtigung“, hieß es an einer Stelle im Stück. „Ich beneide dich darum, dass du auch allein squirten kannst“, an einer anderen. Ejakulieren wird an diesem Abend aber keine. Dies ist immerhin ein Performance-Abend, der immer auch eine Behauptung bleibt: Stöhnen, Orgasmus, Stille, Dunkel.

 

 

Sara Schausberger studierte Germanistik in Wien. Sie arbeitet als Theaterkritikerin und Autorin für die Wochenzeitung Falter und ist Mitbegründerin des Vereins Literaturbagage, der mit Kindern und Jugendlichen Bücher liest, diskutiert und auszeichnet.

 
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