Das Ende der „Petromoderne“ – Kat Válastur pumpt Öl in die Adern
Was für eine Vorstellung: ein menschlicher Körper, in dessen Adern Öl fließt. Was bleibt dem derart motorisierten Menschen von seinen kulturellen Errungenschaften? Wenig, muss man fürchten, wenn man Kat Válasturs Arbeit OILinity gesehen hat. Es ist ein Pulsschlag, auf den alles reduziert ist. Die Menschen agieren tierhaft getrieben nach primitiven Mustern, immer wieder tönt aus ihrer Sprachlosigkeit die Sehnsucht nach Geborgenheit wie ein stummer Schrei. Verwundbar wirken sie und verloren. In Zeitlupe führen sie Bewegungen aus, die einem Zusammenhang entrissen zu sein scheinen: Sie klatschen, ohne zu wissen für wen und warum; sie fechten und treffen einander dabei, ohne sich je zu berühren. Ihre eigenen Körperteile sind fremd geworden und entwickeln ein Eigenleben. Es gibt erbitterte Wettrennen, ohne dass je eine*r das Ziel erreichen würde.
Der Raum, in den uns Válastur blicken lässt (das Bühnenbild von Laila Rosato ist ein schlichtes Setting aus wenigen verhüllten Objekten und Wänden mit einem Muster aus Waben, Federn und Camouflage), ist ein Innen mit wenig Hoffnung für die drei Performer*innen auf Kontakt nach außen. Man halte sich die Handflächen auf beide Ohren und höre das Rauschen des Blutes in den Adern: Das in laut ist der Sound (von Filippos Kavakas), der sie umgibt. Manchmal hört man Knorpel gegeneinander reiben in dieser akustischen Innenperspektive. Der sportliche Camouflagelook der Performer*innen in den Kostümen von Lydia Sonderegger unterstreicht den Wettbewerb, in dem die drei immer wieder zueinander zu stehen scheinen, lässt aber auch vermuten, dass sie sich tarnen, verschmelzen mit der Erde, aus der ihr Treibstoff stammt.
Das ist umso naheliegender, als es ein Aufenthalt in Baku, der Hauptstadt von Aserbaidschan, war, der Válastur zu dieser beängstigenden Arbeit inspiriert hat. Der futuristische Charakter der Stadt, in der alles auf die Produktion von Erdöl ausgelegt ist, hat sie fasziniert, aber auch das Gefühl hinterlassen, es werde etwas versteckt. Wie abhängig die Welt vom Rohstoff Öl ist und was daraus resultiert – hier materialisiert es sich. Die „Petromoderne“, das Ölzeitalter – es wird enden, weil die Vorräte endlich sind. Doch der Mensch wird, solange es geht, mit welchen Konsequenzen es auch verbunden sein mag, nach dem schwarzen Gold bohren, schürfen, sprengen. Öl prägt nicht nur unsere Wirtschaft, sondern längst auch unsere Kultur. Die Dimensionen der Abhängigkeit sind ebenso politisch wie ästhetisch und philosophisch – eine so offenkundige wie verdrängte Wahrheit, die Válastur hier thematisiert.
Die Wiener Premiere des 2016 entstandenen Stücks fällt auf den Tag, an dem weltweit Kinder und Jugendliche im Protest gegen die Schockstarre, in der die Mächtigen der Welt verharren, statt der Klimakatastrophe etwas entgegenzusetzen, auf die Straße gehen, während ein neuer Ölteppich auf die schönsten Küsten Frankreichs zutreibt. Eine Trendwende scheint also nicht in Sicht, und die Endzeitstimmung in Válasturs Arbeit könnte eine plausible Dystopie sein.
Doch nein, sie entlässt uns seltsam versöhnlich: Nach zäher Zeitlupe, panisch sich aufbäumender Hektik und dem ständigen Wechsel von Vereinzelung und Zusammenhalt, in dem die drei Performer*innen eine von großer Vergeblichkeit geprägte Stunde verbracht haben, eröffnet sich ihnen ein Außen. Das Rauschen des Treibstoffs in ihren Adern wird durch das Gezirpe von Grillen und andere Klänge heiler Natur ersetzt. Endlich entdecken sie, was unter den schwarzen Gummihüllen ist. Es sind Objekte voller mythischer Symbolkraft, rätselhaft, aber sinnstiftend. Natur und Kultur erlösen den getriebenen Menschen, kann man das so lesen, Kat Válastur? Es wäre eine Hoffnung.
Judith Staudinger studierte Theater- und Musikwissenschaft an der Universität Wien und schloss mit einer Arbeit über die britische Performancegruppe Forced Entertainment ab. Als Kulturjournalistin schrieb sie für die Austria Presse Agentur und publizierte frei, etwa als Mitglied der Redaktion des Onlinemagazins für Tanz, Choreografie und Performance corpus. Dramaturgische Beratung machte Judith Staudinger für Projekte von Jan Machacek, Oleg Soulimenko und Doris Uhlich. Aktuell arbeitet sie für das Wiener Konzerthaus.
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