Der Struggle der Schwarzen Frauen im Hip-Hop
Ein golden glänzender Materialhaufen links auf der Bühne, ein leerer Screen im Hintergrund und Cherish Menzo radelt in Slow Motion – wie in einem Hype-Williams-Video – vors Publikum. Die Stimmung ist düster und die Langsamkeit dieser ersten Momente fühlt sich so bedrückend an wie die Schwere der Welt mit allem, was darin systemisch schiefläuft. Menzo trägt dabei die Insignien der Macht einer Hoch-Zeit des Hip-Hop in den 1980er- und 90er- Jahren: Pelzmantel, eine schimmernde Goldkette, silberne Grills – also Schmuck für die Zähne –, weiße Adidas-Socken, das Fahrrad ist ein Lowrider-Bike, und lange weiße Acrylnägel, die sofort ins Auge stechen. Die Nägel werden von Menzo eindrucksvoll inszeniert – einmal als Insektenfühler, einmal wie das Gebiss einer überirdischen Spezies. Die Bewegungen sind anfangs ruhig, fast zu langsam, entwickeln sich jedoch durch Nahaufnahmen auf dem Screen und im Wechselspiel mit den Acrylnägeln schnell zu dynamisch-animalischen Repetitionen. Nachdem wir mit Menzo Bewegungen und Körperteile immer und immer wieder durchexerziert haben, wird klarer, dass es hier um Hip-Hop und vor allem um die Frauen in der Welt des Mainstream-Hip-Hop geht. Langsam, von Szene zu Szene, bewegen wir uns von der Körperstudie weg hin zum Musikvideo und zu dessen Choreografien. Choreografien, die sich aus unterschiedlichen Afroamerikanischen Tänzen zusammensetzen. Popping & Locking, Krumping, Crip-Walking und Twerking – alles Tanzstile mit reicher und langer Tradition. Vor allem das Twerken nimmt bei Menzo eine zentrale Rolle ein – es wurde in den letzten Jahren ja auch zum Sinnbild des Hip-Hop-Tanzes. Verschrien bei den einen, geliebt und praktiziert von den anderen. Und wiederum angeeignet von weißen Artists, die sich sowieso häufig bei Elementen der Afromerikanischen Kultur bedienen. Doch Cherish Menzo behandelt nicht die „Cultural Appropriation“ – ihr scheint es um die Selbstausbeutung zu gehen. Schon der Titel des Stücks JEZEBEL verweist auf die US-amerikanischen Minstrel-Shows. Eine Unterhaltungsform, die in den USA nach dem Bürgerkrieg ein neuer Weg der Unterdrückung und Segregation war. In diesen beim Publikum beliebten Vaudeville-Shows malten sich weiße Menschen schwarz an und spielten stereotype Charaktere, die ein negatives, rassistisches Bild von Schwarzen US-Amerikaner*innen zeichnen sollten. Eine Reaktion des „White America“ auf die Abschaffung der Sklaverei. Auch Schwarze Performer*innen und Jazz-Musiker*innen machten bei diesen Shows mit, da es kaum bis gar keine anderen Einkommenschancen für sie als Schwarze Künstler*innen im von den Jim-Crow-Gesetzen bestimmten Süden der USA gab. JEZEBEL analysiert eine abgewandelte, kontemporäre Form der Zurschaustellung von Stereotypen und Archetypen. Menzo verhandelt, wie diese Rollen den Schwarzen Künstler*innen im Mainstream-Hip-Hop aufgezwungen werden. Sie inszeniert sich als Nicki Minaj oder rappt Oochie Wally von Nas und den Bravehearts. Ein Song, in dem die in den Credits nicht genannte Sängerin Shelene Thomas einen hypersexualisierten Text singt. Menzo bedient sich in ihrer Hip-Hop-Kritik direkt bei klassischen Hip-Hop-Kunstgriffen wie dem Verzerren und Verlangsamen von Sounds und Vocals – eine Technik, entwickelt vom texanischen DJ Screw. So rappt sie in Großaufnahme auf eine Leinwand projiziert Jay Zs Big Pimpin’ („großes Zuhältertum“), um am Ende des Stücks auch dem Materialhaufen „Leben“ einzuhauchen, eine Referenz auf Missy Elliotts Blow-up-Suit. Doch ihr Bodysuit ist golden und mit großen konischen Brüsten ausgestattet. Als Menzo diese am Ende abreißt und sich auch der Acrylnägel entledigt, suggeriert sie uns einen Befreiungsschlag. Menzos Botschaft ist wohl ein Aufruf, sich von der Hypersexualisierung zu emanzipieren. Aber ganz so einfach ist das nicht. Künstlerinnen wie Cardi B, Nicki Minaj oder Megan Thee Stallion tragen ja auch zum Empowerment ihrer Hörer*innen bei. Was bleibt, ist ein ambivalentes Gefühl. Ja, im Mainstream-Hip-Hop läuft vieles schief, aber sind die Rapperinnen und Tänzerinnen wirklich die, die es zu kritisieren gilt? Nicht eher diejenigen, die an dem Ganzen am meisten verdienen? Nämlich die weißen Labelchefs und ein System, das Frauen und weiblich gelesenen Personen kaum Möglichkeiten für eine andere Form des kreativen Outputs und Selbstausdrucks lässt.
Dalia Ahmed ist Musikjournalistin und Moderatorin bei Radio FM4. Adina Hasler ist Kulturarbeiterin.