TQW Magazin
Stefanie Sourial über YES YES von BamBam Frost und take me to my house von Camilla Schielin

Die Last von Plüsch & Lametta

 

Die Last von Plüsch & Lametta

„I was attracted to science fiction because it was so wide open. I was able to do anything and there were no walls to hem you in and there was no human condition that you were stopped from examining.“
― Octavia E. Butler

Genau dieses Gefühl lösen YES YES von BamBam Frost und take me to my house von Camilla Schielin in mir aus!
No walls! No human condition that would stop you!
Aber: First you have to tear them down.
Und genau das tun beide Performerinnen in ihren Arbeiten. Was für eine Reise.

Frost und Schielin spielen mit nicht sichtbarer Materialität und nehmen mich mit in fiktionale Sphären.

YES, YES! Take me to my house!

Sowohl BamBam Frost als auch Camilla Schielin arbeiten in ihren Stücken mit der uns allen bekannten Last der Vergangenheit, die wir mittragen müssen, denn es obliegt unserer Verantwortung, diese mitzutragen. Beide beschäftigen sich mit der Aufarbeitung einer unvermeidbaren persönlichen und politischen Geschichte, die uns eben auch ausmacht, die wir nicht ignorieren können, auch wenn die Versuchung, sie auszublenden, groß ist.

„Your silence will not protect you.“ (Audre Lorde)

Erinnerung, ob unbewusst oder bewusst, wird in beiden Arbeiten als eigener grotesker Charakter inszeniert. In Form von gewaltvollen, skurrilen, fast schon wieder humorvollen Grimassen von BamBam Frost, in flackernden, schnalzenden, kontradynamischen Bewegungen von Camilla Schielin.

Schielin eröffnet zunächst mit einem rein weißen, makellos sauberen Raum, der im wahrsten Sinne des Wortes unbeschrieben und daher so unbelastet wie möglich ist. Sie lässt diesen wirken und bricht sogleich durch ihren Auftritt die visuelle Ruhe. Durch das Vor-sich-Herschieben eines überdimensional großen Haufens an Kleidung schafft sie mit dieser fiktiven fantastischen Figur gleich zu Beginn Klarheit über das Thema. Hier ist sie auch schon: die Vergangenheit.

Auch BamBam Frost eröffnet ihre Performance mit einem überdimensional großen Textil. Ein unendlich langer blauer Plüschstoff gleitet wie ein Wasserfall die Stufen einer Tribüne hinab, wodurch gekonnt Materialität transformiert wird. Diese Metamorphose des Plüschs in Wasser hat einen ähnlich angenehmen Effekt auf das zusehende Auge wie Camilla Schielins weißer Raum.

Schnitt: Vor der blauen Plüschkaskade posiert BamBam Frost mit dem Bein auf einem Stuhl in Denim und Chaps. Ein Outfit, das koloniale Aneignungen von Kleidung reflektiert und den Effekt eines Bruchs mit der anfänglichen Ruhe in die Performance bringt.

Indessen verhandelt Camilla Schielin die Beziehung zwischen sich und dem Kleiderberg, beginnt sich gummiringerlartig davon zu lösen, ohne seinen Tentakeln jedoch gänzlich zu entkommen. Sie umkreist ihren Performancepartner, entfernt sich von ihm, kehrt jedoch auch immer wieder freiwillig zurück und ahmt ihn sogar nach. Somit schenkt Schielin uns keine eindeutige Antwort, sondern steckt ein Feld von Ambivalenzen ab.

Beide Soloperformances treffen sich auch in ihren choreografischen Elementen und schütteln sich immer wieder die Hände.

BamBam Frost fällt langsam und dadurch in graziöser, berührend-dramatischer Weise die plüschig-weichen Stiegen hinab. Wieder eine Ambivalenz, die dieses Bild des Stürzens so viel größer werden lässt. Ihr Spiel mit Mimik ist präzise eingesetzt und lässt ein Lachen im Hals stecken.

Und auch Camilla Schielin zieht es anfänglich durch das eigenständige, freiwillige Nachahmen des Monsterhaufens immer wieder schwerfällig zu Boden.

Beide gehen auf unterschiedliche Art mit der inhaltlich geladenen Vergangenheit und daher mit diesem Moment des Hinabfallens und Hinuntergezogenwerdens und des Sich-davon-Befreiens um. Ihre Bewegungen fließen in ständiger Ambivalenz, stocken, ziehen, schnalzen, treiben, explodieren und reisen zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Ihre choreografischen Elemente haben eine machtvolle Ästhetik, sind gleichzeitig extrem berührend, suchend, graziös und auf unnahbare Weise erotisch. Die Performerinnen bewegen sich, bewegen uns und werden durch die Schwere ihrer Inhalte (von außen) bewegt. Sie fallen und stehen wieder auf, um anschließend abzuheben. Die szenischen Übergänge und performativen Verläufe sind immer wieder überraschend, ohne die Blicke des Publikums auf der Reise zu verlieren. Ohne Worte sprechen sie mit ihren Bewegungen Bände, erzählen Geschichten von Gewalt- und Machtverhältnissen. Durch Fiktion und Phantasmen schaffen beide Performerinnen eine Distanz zu unserer Realität, nur um uns wieder zurückzuholen, und machen somit das Unmögliche möglich. Was für eine Ermächtigung und was für eine Stärke, die immer ambivalent bleiben und zeigen, was Gewalt und Diskriminierung anrichten können.BamBam Frost arbeitet mit ständiger Kontradynamik, die sich durch Wiederholung doppelt und für unglaubliche Spannung sorgt. YES YES! Es ist ein Tanzstück, und trotzdem verblüfft ihre Physikalität! Sogar ein kurzes, wellenförmig synchronisiertes Pas de deux mit zwei Plüschstofftier-Handpuppen findet Platz in der Arbeit und stellt eine weitere Ebene von gewaltvollen Inhalten im Schafspelz dar.

Auch Camilla Schielin macht es deutlich: Aus jeglicher Art von Erbe gibt es kein Entkommen, der Bezug bleibt auch in der versuchten Negation bestehen. So hat selbst der Befreiungsschlag am Ende vor goldenem Lamettavorhang neben seiner Energie auch einen tragischen Beigeschmack, wenn Camilla Schielin in dem Song „Euphoria“ singt: „We are here, we’re all alone in our own universe, we are free.“

DANKE, BamBam Frost und Camilla Schielin, für so großzügige, reiche und kunstvolle Performances! Ich freue mich bereits jetzt auf mehr.

 

Stefanie Sourial, geboren 1981, arbeitet als Performancekünstlerin und lehrt an der Akademie der bildenden Künste Wien. Die Absolventin der Internationalen Schule für Theater Jacques Lecoq in Paris leitete Theaterworkshops mit obdachlosen Jugendlichen in Kairo und kreiert eigene Soloprojekte: u. a. FREAK (2014/15), die Performancetrilogie Colonial Cocktail (2019) und die neue Produktion City of Diaspora (2021) in Koproduktion mit brut Wien. Seit 2012 arbeitet Sourial mit der mehrfach preisgekrönten Kompanie Theatre Ad Infinitum in Großbritannien. Seit 2009 kollaboriert sie regelmäßig mit in Wien lebenden Performancekünstler*innen wie dem ersten Wiener queer-feministischen Burlesquekollektiv Club Burlesque Brutal (2009–2015) und tritt seit 2017 regelmäßig beim PCCC* – Political Correct Comedy Club mit antirassistischen und queeren Stand-up-Skits auf. Ihre Performances sind antirassistisch, queer und gesellschaftskritisch und verbinden zwei Erzählweisen miteinander: die historische und die persönliche – stets fokussiert auf das Politische.

 

 

 
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