Editorial Oktober/November 2021
Liebes Publikum, liebe Künstler*innen,
im Oktober 2001 startete das Tanzquartier Wien offiziell mit seiner ersten Saison. Das liegt nun zwanzig Jahre zurück. Davor wiederum lagen mehr als zwei Jahrzehnte politischen Engagements von Tänzer*innen und Choreograf*innen für eine eigene Institution für zeitgenössischen Tanz und Performance in Wien. Eine Institution, in der Präsentation, Forschung und Weiterbildung ineinandergreifen sollten. Von Anfang an war das Tanzquartier Wien als internationales Koproduktionshaus gedacht. Es sollte eines der maßgebenden Tanzhäuser Europas werden. So wurde es auch bewusst im Zentrum der Stadt angesiedelt – auf dem Gelände des Museumsquartiers neben anderen bedeutenden Institutionen wie der Kunsthalle Wien, dem mumok oder auch dem Architekturzentrum Wien.
Das nun zu begehende Jubiläum ist nicht als kuratorische Retrospektive definiert. Einem solch umfassenden Erinnern kann man aufgrund der Vielfalt des Geschehens am TQW in diesen zwei Jahrzehnten nicht gerecht werden. Der Themenschwerpunkt 20 Years of TQW – Past / Present / Future versteht sich vielmehr als Bestandsaufnahme der Gegenwart mit feinen Linien in die Vergangenheit und möglichen Blicken in die Zukunft. Die im Programm vorkommenden Künstler*innen und ihre Arbeiten verweisen auf brisante gesellschaftspolitische Diskussionen ebenso wie auf ästhetische Fragestellungen rund um alternative Formen der Auseinandersetzung mit Zeit, mit unserer Umwelt und mit der Repräsentation von Körpern und Geschichte(n). Weiters inkludiert das Programm drei Diskussionsveranstaltungen, die um die Fragen Dance & City, Dance & Future sowie Dance & Uprising kreisen und wichtige lokale wie auch internationale Positionen unserer Disziplin zu Wort kommen lassen.
Abschließend muss betont werden, dass Wien mit der Gründung einer eigenen Institution für zeitgenössischen Tanz vor zwanzig Jahren eine wichtige Entscheidung getroffen hat. In manch anderen europäischen Hauptstädten wird noch immer darum gerungen.
Mit Oktober 2021 beginnt auch die zweite Hälfte dieser künstlerischen Intendanz. Zwei wichtige inhaltliche Veränderungen treten mit diesem Zeitpunkt in Kraft. Die Künstlerin, Choreografin und Performerin Linda Samaraweerová übernimmt die Leitung des Training- und Workshop-Bereichs. Sie tritt mit dem Konzept an, dass es am TQW die Tanztechniken des 21. Jahrhunderts zu definieren, zu lehren und zu praktizieren gilt. Als einen ersten Schritt initiiert sie die Umbenennung des Bereichs Training & Workshops in Körper- & Performancepraktiken, in dem sich dieses neue Verständnis manifestiert.
Eine weitere wichtige Veränderung ist die Anstellung der Tanzwissenschaftlerin und Tanzhistorikerin Anna Leon am TQW. Neben den Positionen der beiden freien Theoriekurator*innen Janine Jembere und Thomas Edlinger wird so die Tanztheorie am Haus verstärkt und ausgebaut. Anna Leon überzeugt mit ihrem praxisnahen Verständnis von Theorie und ihrem offenen Blick für transdisziplinäre Forschung. In diesem Programmheft findet sich ein Text, in dem sie ihre Position reflektiert und einen ersten Einblick in ihr Arbeitsverständnis gibt.
Auch wenn es angesichts der gravierenden Probleme der Gegenwart wie Pandemie und Klimawandel fast seltsam anmutet: Mit den Handlungsmöglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen, freuen wir uns trotzdem auf die Zukunft!
Bettina Kogler (Künstlerische Leitung und Programm) & Christa Spatt (Programm)