TQW Magazin
Margareta Sandhofer über SIMULATION UNIVERSE von Fanni Futterknecht mit Camilo Latorre

Eine Ode an die freie Imagination

 

Eine Ode an die freie Imagination

Fanni Futterknecht bewegt sich in ihren Arbeiten zwischen den Medien Zeichnung, Objektkunst, Performance, Video und Installation. In diesen werden gesellschaftliche Strukturen und Dynamiken untersucht, poetisch aufgeladen visualisiert und zum komplexen künstlerischen Ausdruck in multimedialen Szenarien verdichtet. Im Fokus steht das Potenzial der Fiktion.

Die Künstlerin schöpft aus dem Alltäglichen, das oft unbeachtet bleibt. So tauchte sie dieses Jahr gemeinsam mit dem Komponisten und Performer Camilo Latorre während ihres letzten Aufenthalts in Japan in die Untiefen der Welt der fantastischen japanischen Spielwarenindustrie ein und entwickelte daraus die Lecture-Performance SIMULATION UNIVERSE, die sie im Weiteren zu einem Film verarbeiten wird.

SIMULATION UNIVERSE ist weniger ein Vortrag, vielmehr ein Schauspiel, das mit Videosequenzen und Lichteffekten dramaturgisch inszeniert ist. Eine tragende Rolle kommt der musikalischen Gestaltung durch Camilo Latorre zu, der die Narration mit Eigenkompositionen voll Referenzen und Anspielungen unterstreicht, sodass diese zur lustvollen Performance mutiert.

Eingangs sitzt Fanni Futterknecht auf einem der Kuben, die das puristische Bühnenbild kennzeichnen, und sinniert träumerisch über das Spielzeug ihrer frühen Kindheit, Figuren von Waldtieren, mit denen sie in ihrer Fantasie ganze Welten kreieren und erleben konnte.

In die eigene Geschichte wird ein Exkurs in die Historie von Spielzeug eingeworfen. Die Performance springt thematisch vom Spielzeug, das zur Etablierung von gesellschaftlichen Stereotypen und Ideologien dient, über Spielzeug als politisches Werkzeug bis zum Einsatz als kriegerische Propaganda, etwa unter Hitler oder dem aktuellen russischen Regime. Über die Figur des aufziehbaren Atomic Robot Man aus Blech, der einen Roboter vor einer Atomwolke darstellt, wird Spielzeug als Realitätsverzerrung wie als Wirtschaftsfaktor exemplifiziert – wurde der Atomic Robot Man doch in der Nachkriegszeit in Japan für den amerikanischen Markt produziert. Womit Fanni Futterknecht wieder zu ihrer eigenen Geschichte und ihrer Verbundenheit mit Japan zurückkehrt.

Denn die eingangs geschilderten Waldtiere bekamen bald Gesellschaft von den aus Japan kommenden Hello-Kitty-Figuren. Unterschwellige Kritik klingt an, voll humoristischer und selbstironischer Zwischentöne: Erinnerungen an ihr eigenes kindliches Verlangen nach den „süßen“ Hello-Kitty-Figuren und dem zugehörigen vielteiligen Schnickschnack. Die grenzenlose Welt der Fantasie rund um ihre Waldtiere bekam mit den Hello-Kitty-Figuren unweigerlich Konkurrenz, die sich viel mehr an die Schranken des real Verfügbaren hielt.

Trotz aller demonstrativer Argumentation, dass Spielzeug, seiner vermeintlichen Unschuld entkleidet, gezielt als Schnittstelle von Manipulation und Konsumkapitalismus fungiert, beginnt auf der Bühne eine vergnügliche Reise in die Welt der japanischen Spielwarenproduktion.

Fanni Futterknecht führt uns die von der Spielwarenindustrie intendierte Simulation von Realitäten vor, in denen fantastische Dinge vor sich gehen, gruselig, absurd und komisch zugleich: Während sie zunehmend riesige, herrliche Erdbeeren, genäht aus schmeichelndem rosa Samt, heranschafft und sie verheißungsvoll von der Decke baumeln lässt, holt sie aus einem unerschöpflich erscheinenden Vorrat kleine groteske Monster und Ungeheuer, schrille Figuren aus Kunststoff, die aus der Welt der japanischen Mangas, Kinofilme, Videospiele und Freizeitparks auch ihren Weg in die Kinderzimmer gefunden haben. Die Künstlerin agiert zwischen den gigantischen Erdbeeren und den martialischen Spielfiguren, zwischen zwei Welten, die aufeinanderprallen und gleichermaßen in ihre abwegigen Kosmen mit ihren verzerrten Maßstäben locken zu wollen scheinen. Sie erzählt von den (vor allem in Japan) allgegenwärtigen Verführungen in diese fiktiven Welten, sodass man sich unwillkürlich an die Absurdität verschiedener Themenparks (Barbieland, Majaland, Super-Mario-World etc.) erinnert, in denen die Besucher*innen letztendlich selbst zu Spielobjekten des unersättlichen Markts mutieren.

Doch Fanni Futterknecht erzählt auch von einer japanischen Gegenwelt: Im Untergrund formiert sich der subtile Widerstand der Sofubi-Maker. Deren Figuren sind ebenfalls Fantasiewesen, gegossen in Vinyl, jedoch nicht industriell, sondern von Hand gefertigt und durch ein modulares System vielseitig variabel, wodurch sie Anspruch auf den Wert eines Unikats und Kunstobjekts erheben. Für die Künstlerin stellen sie eine mögliche Ausflucht aus dem gefräßigen Szenario des globalen Spielzeugmarkts dar und ein Vorbild, nach dem sie ihren eigenen Soft-Sofubi kreiert: ein Stoffmonster, das sich durch das Aneinandermontieren einzelner Segmente mehrere Meter in die Höhe erhebt – ein Riesen-Sofubi, passend zu den enormen Erdbeeren – welch lustige Ambivalenz. Futterknecht inszeniert mit den Erdbeeren und dem Riesen-Sofubi ihre eigene bizarre Spielwelt. Die Objekte sind zwar in Handarbeit aus Stoff hergestellt, treten jedoch in einer monströsen Plastizität auf. Sie steht schließlich mit dem Rücken zum Publikum vor dieser alles überragenden Gestalt, heroische Sonanzen erklingen – als doppelbödiges offenes Ende.

Fanni Futterknecht begegnete in Japan einer Welt des Spielzeugs und der Spiele in einer für uns ungewohnten Intensität. Sie erlebte selbst das von den fantastischen Kreaturen und den ihnen zugehörigen Universen ausgehende Faszinosum, das sämtliche Altersstufen und Gesellschaftsschichten anspricht und zu erfassen vermag. Im Zwiespalt zwischen deren Bewunderung und der Trauer um die Verdrängung der Funktion des Spielzeugs als Stimulans von Kreativität verortet die Künstlerin in der unersättlichen Vermarktung fertiger und durchdeklinierter Fantasien durch die Spielwaren- und Spieleindustrie die Gefahr der Flucht aus der eigenen Imagination in die Konsumation.

In SIMULATION UNIVERSE betreibt die Künstlerin den Versuch einer Annäherung an diesen japanischen Spielzeugkosmos. Sie baut allerdings in das lustvolle Spiel Brüche ein, wenn sie in reflexiven Momenten auf Distanz zu ihm geht. Ihr Agieren ist spielerisch, doch voller Kritik und Selbstironie. Der Riesen-Sofubi ist Metapher und Held in dieser Ode an die freie Imagination.

 

Margareta Sandhofer (geb. 1968 in Innsbruck) ist Kuratorin, Autorin und Kunstkritikerin mit Wohnsitz in Wien. 2003 schloss sie das Studium der Kunstgeschichte an der Universität in Wien ab und ist seither freiberuflich mit der Konzentration auf das gegenwärtige Kunstgeschehen tätig. Ihre zahlreichen Beiträge erscheinen in Fachmagazinen und Ausstellungskatalogen.

 

 
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