TQW Magazin
Karin Cerny mit Christine Gaigg und Stephanie Haerdle über Go for it let go

Ejakulieren als Lifestyle-Ding

 

Ejakulieren als Lifestyle-Ding

In ihrer aktuellen Arbeit Go for it let go beschäftigt sich die Wiener Choreografin und Performerin Christine Gaigg mit der weiblichen Ejakulation. Geplant wäre eine Premiere am 11. Februar gewesen, aufgrund der Covid-19-Pandemie wird die Performance verschoben. Karin Cerny sprach mit Christine Gaigg und der Berliner Kulturwissenschaftlerin Stephanie Haerdle, die mit „Spritzen. Geschichte der weiblichen Ejakulation“ (Edition Nautilus 2020) ein Buch zum Thema geschrieben hat.

Wie ist die Idee zu einer Performance über weibliche Ejakulation entstanden?

Gaigg: In meinen Stücken geht es schon länger um selbstbewusste weibliche Sexualität. In meiner letzten Arbeit Affair kam in ein paar Textstellen die weibliche Ejakulation vor, und ich habe an der Reaktion von Zuschauer*innen gemerkt, dass es da eine leichte Irritation gibt. Dann habe ich das Buch von Stephanie entdeckt und mich bestätigt gefühlt: Offensichtlich ist es gerade Thema.

Haerdle: Ich habe schon vor über zehn Jahren überlegt, ein Buch darüber zu schreiben, bin aber gegen Mauern aus Widersprüchen und Forschungslücken gerannt. Bis ich gemerkt habe, dass genau diese Mauern interessant sind: Warum wird diese weibliche Flüssigkeit immer wieder vergessen? Warum wird so wenig darüber geforscht? Warum muss man immer wieder von vorn beginnen?

Gaigg: So ähnlich geht es mir auch bei meiner Performance. Ich habe im „Falter“ einen Aufruf gestartet, dass sich Menschen bei mir melden sollen, die Erfahrungen mit weiblicher Ejakulation haben. Ich bin mit allen spazieren gegangen und habe dann drei Frauen aus Wien ausgewählt, die positiv zu ihrer eigenen Ejakulation stehen. Denen gebe ich eine Plattform. Und darum herum erzähle ich von den Widersprüchen, auf die ich während meiner Recherche gestoßen bin.

In Spritzen erfährt man, dass sich sogar die katholische Kirche für den feuchten Orgasmus der Frau ausgesprochen hat. Wann wurde ein Tabu daraus?

Haerdle: Die großen historischen Zäsuren sind das 18. und das 19. Jahrhundert. Mann und Frau standen sich jetzt als komplett gegensätzliche Wesen gegenüber. Früher dachte man, die Befruchtung findet statt, wenn beide zum Orgasmus kommen und Zeugungsflüssigkeiten freisetzen. Der Samen war etwas, das beide Geschlechter verbunden hat. Plötzlich wurde die Flüssigkeit zu einer rein männlichen Angelegenheit. Indem man verstanden hat, wie Befruchtung funktioniert, wurden die Sexualität und die Lust der Frau völlig unwichtig. Sie musste nur noch zum richtigen Zyklusmoment da sein, um vom Mann befruchtet zu werden. Auch die weibliche Prostata geriet wieder in Vergessenheit. Von 1900 bis in die 1970er-Jahre war die Diskussion über weibliche Ejakulation weitgehend verschwunden.

Gaigg: Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, als der G-Punkt wiederentdeckt wurde. Für mich war die Ejakulation etwas sehr Besonderes und Intensives. Erst jetzt in der Recherche habe ich erfahren, dass sie lange ein Tabu war.

Die 1990er-Jahre waren von Judith Butlers Gendertheorie geprägt, davon, dass Geschlecht konstruiert ist. Hat man mittlerweile wieder mehr Freiheit, sich auch mit realer Körperlichkeit auseinanderzusetzen?

Haerdle: Ich komme aus der Verlagsbranche, in den letzten 40 Jahren sind nicht mehr so viele Bücher über Vulva, Vagina, Menstruation und Sex erschienen wie jetzt. Ich habe ein ganzes Regal voll. Aber auch in den sozialen Medien, in Sex-Podcasts und Blogs gibt es eine große Neugier fürs Körperliche.

Gaigg: In Spritzen gibt es auch ein Kapitel über Pornografie, in dem du schreibst, dass es von 2013 bis 2015 einen Squirting-Hype gab, der mittlerweile wieder abflaut. 2014 wurde in Großbritannien beschlossen, dass weibliche Ejakulation in Pornos nicht mehr dargestellt werden darf. Das wurde mittlerweile wieder zurückgenommen, aber mich würde interessieren: Erzählen Pornos etwas über gesellschaftliche Zusammenhänge?

Haerdle: Sie können ein aufklärerisches Element haben, etwa indem sie Nischen von Sexualität und Begehren, die im Mainstream nicht gezeigt werden, sichtbar machen. Auf der anderen Seite koppeln sich Pornobilder oft stark von realen physischen Möglichkeiten ab. Wenn ich sehe, dass drei Körperöffnungen von vier verschiedenen Menschen mit 13 Dildos penetriert werden, setzt das enorm unter Druck. Das sind Bilder, die nichts Emanzipatorisches haben, sondern den*die Einzelne*n klein machen. Und die Sexualität ohne Verbindung zu Emotion und Zärtlichkeit zeigen, ohne Kommunikation.

Ist dieser Erwartungsdruck, dass sie auf jeden Fall ejakulieren müssen, für Frauen schwierig?

Gaigg: Die drei jüngeren Frauen, mit denen ich zusammenarbeite, haben keinen Druck. Wir besprechen für die Performance aber auch, was diese Fixierung auf Technik anrichtet. Es gibt Online-Workshops, in denen Männer lernen können, Frauen zum Squirten zu bringen, oder Frauen lernen es für sich. Ejakulieren wird auf eine Technik heruntergebrochen. Ich habe mit einem Sexualpädagogen geredet, der meinte, dass viele junge Männer diese Pornos kennen und von Frauen erwarten, dass sie ejakulieren.

Haerdle: Ich habe auch gehört, dass Männer irritiert sind, wenn ihre Freundinnen nicht spritzen wie Hydranten. Viele Frauen, die mehr darüber wissen wollen, landen dann wieder bei Pornografie, die falsche Bilder vermittelt. Ejakulation kann ja auch bloß ein paar Tropfen sein.

Was sind die Unterschiede zwischen Ejakulieren und Squirten?

Haerdle: Die Ejakulationsflüssigkeit kommt aus der Prostata, sie ist weißlich und dickflüssiger und wird in kleinen Mengen ausgeschieden. Die Squirting-Flüssigkeit kommt aus der Blase, unterscheidet sich aber von Urin. Ein grundlegendes Problem ist, dass die weibliche Prostata noch immer nicht im medizinischen Kanon angekommen ist. Sie befindet sich nicht wie bei Männern immer an derselben Stelle. Es handelt sich um ein Gewebe, das sehr unterschiedlich aussehen kann. Manche Frauen haben kaum welches. Das erklärt auch die großen Unterschiede, warum einige mehr, andere gar nicht ejakulieren.

Gaigg: Ich wollte ursprünglich ja auch an einem Workshop teilnehmen, aber dann kam Covid-19 dazwischen. Im Internet bin ich auf einen Sex-Educator gestoßen, der behauptet, er habe seine Technik bei 500 Frauen angewandt, und sie habe nur bei zwei oder drei nicht funktioniert. Er kommt aus der Sportindustrie und betrachtet das wie eine Fitnessübung. Ejakulieren als Lifestyle-Ding. Das ist genau das Gegenteil von dem, worum es mir ursprünglich ging: dass eine Frau loslassen kann, um zum Orgasmus zu kommen, dass sie nichts zurückhalten muss.

Haerdle: Bei uns in Berlin werden auch Workshops angeboten. Eine Frau hat erzählt, sie habe sich wahnsinnig viel erhofft, dass es der tollste Moment ihres Lebens werden würde. Aber Ejakulieren und Orgasmus gehören nicht unbedingt zusammen. Sie hat auf eine sehr technische Art und Weise ejakuliert. Und war enttäuscht. Was sie hingegen glücklich gemacht hat, war die Mösen-Massage vorneweg. Sie hat sich Zeit genommen, ihre Vagina Stück für Stück zu erkunden. Das war für sie eine große Entdeckung, wie unterschiedlich sich jeder Zentimeter in ihr anfühlt.

Gaigg: In meinen Notizen aus den frühen 1990er-Jahren ist meine erste Ejakulation sehr euphorisch beschrieben. Mit dem Zusatz: Es kann nicht mit Pinkeln verwechselt werden. Ich muss also von dieser Diskussion gewusst haben. Ich habe zwei Bücher aus dieser Zeit wiedergefunden, in denen steht, dass die Flüssigkeit vom G-Punkt verspritzt wird. Das stimmt zwar nicht, aber ich es gemäß dieser Information so habe empfunden. Wäre ich zehn Jahre früher sozialisiert worden, wäre ich wahrscheinlich ganz anders damit umgegangen.

Haerdle: Das ist ein zentrales Thema meines Buches, wie kulturelle Vorstellungen die Wahrnehmung von Körper prägen. Und eine Flüssigkeit zum Verschwinden bringen.

Gaigg: Deshalb ist Sprache auch so wichtig. Ich habe den Eindruck, seitdem wieder mehr darüber gesprochen wird, ejakulieren auch wieder mehr Frauen.

 

Karin Cerny, 1968 im Waldviertel geboren, hat in Wien und Berlin Germanistik und Theaterwissenschaft studiert. Sie schreibt regelmäßig über Theater im profil und in Theater heute, sowie über Mode im Rondo.

 
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