TQW Magazin
Ari Ban über S_P_I_T_ Tag 3: Nina Sandino / Veza Fernández / Ell Potter & Mary Higgins

Endings happen to me

 

Endings happen to me

Es glüht vom Himmel, vom Asphalt, von den Wänden in dieser Stadt, in der andauernd irgendwo herumgepinselt, der Stuck akribisch gewartet wird. Lethargisch liegen die Menschen auf den Sitzgelegenheiten des MuseumsQuartiers, hier in all dem Kitsch, der kaum weiter auffällt bei den geschmolzenen Gedanken und den niedergebrühten Bedürfnissen. Die Spucke dampft uns allen in den Mundhöhlen. Spit.

Ich bin früh dran. Vor den Studios stehen schon einige Leute herum, es ist schattiger hier, gegenüber vom Aufzug zur Libelle, wo immer irgendwas verräumt oder verladen wird, immer etwas Gastronomisches passiert. Ich spreche kurz mit Hyo Lee, die gleich den Artist Talk moderieren wird, dann gehen wir die Stiege hinauf. Besucher*innen tröpfeln in die Diskussion. Hyo spannt den konzeptuellen Bogen des Festivals auf, fragt, öffnet den Diskurs für das, was noch kommt.

Die erste Show des Abends: Elsewhere von Nina Sandino. Als wir den Raum betreten, ist sie aber noch ganz da, begrüßt uns, nickt, lächelt, kniet vor einer hängenden Textilarbeit. Allerlei Kleidungsstücke, Unterhosen, Röcke, einzelne Stofffetzen, zerschnittene Hemden und abgetrennte Krägen, Taschentücher, Etiketten sind auf dieses große Leintuch aufgenäht. „There’s an emotional support object that you can sit with“, sagt sie. Wir nehmen Platz. Die Ahnung von „elsewhere“ zeigt sich in indigoblauen Händen, in der kreiselnden Projektion am Boden, in Sandino, die sich behutsam zu etwas hinbewegt, das außerhalb dieses Raumes ist. Später die Erweiterung des Kostüms durch Chaps, eine ganz aus bunten Textilfransen bestehende Jacke und eine gehäkelte Maske. Die Sounds von knackendem Feuer, als wäre Sandino genau diesem Geräusch entsprungen. Wer hätte gedacht, dass eine gehäkelte Maske so viel Eindruck auf mich machen würde. Von der Art, bei der ich nicht wegsehen kann, weil sie mir weniger Angst einflößt, als dass sie mich elektrisiert. Elsewhere zeigt sich von blau zu rot zu pink.

In der Pause sehe ich mir Claire Lefèvres Installation Mini Meltdown an. Hier war der Artist Talk, vor den großen Textilbildern von Sophie Utikal, nur ohne den Sound von Zosia Hołubowska, der jetzt den Raum ausfüllt. In einem Eck stehen zwei kleine Tische, auf dem einen Nagellack, auf dem anderen Tattoo-Aufkleber. Ich suche mir einen Vogel aus, eine Tattoo-Schwalbe. Hanna Fasching, die schon den dritten Tag fotografiert, wählt ein Einhorn. Wir hocken neben dem Tischchen, Claire tupft uns mit einem nassen Schwamm die beschichtete Klebefolie auf den Hals und aufs Handgelenk, zieht sie vorsichtig ab. Unsere Tattoos glänzen. Ein paar Meter weiter liegen andere Besucher*innen auf großen Sitzsäcken, unterhalten sich, blättern in Büchern: The Fagotts And Their Friends Between Revolutions, On Cuddling:Loved To Death In The Racial Embrace, Everything Is Erotic Therefore Everything Is Exhausting etc. Warten auf Chantal.

Veza Fernández im White Cube. Zwei Notenständer, eine Loop-Maschine. Veza ist ein Phänomen, eine Lesbe, eine schlummernde Venus in neongrünen Strumpfhosen und weißem Blazer. Clip-on-Strähnen. Chantal.

Das Erste, was ich bewusst höre: „Disorder. But how to keep an order.“ Gerüst der Arbeit ist der unbeschreiblich dichte Text, eine Komposition von einem Text, in der eineinhalb Jahre Arbeit stecken. „I NEED SOME PERSPECTIVE“, kreischt ein Vogel ins Mikrofon, in den Schleifen der Loop-Maschine widerhallend, die vielschichtigen Einstiegspunkte spiegelnd, die Veza in der Struktur ihres Stücks, davor schon im Text angelegt hat.

Dann Stille. „I breathe against the glass“, sagt Chantal, die anatomische Wachsplastik aus dem 17. Jahrhundert. Eine Stiefelsohle quietscht eine gefühlte Ewigkeit über den weißen Tanzboden.

Veza und die Gleichzeitigkeit, das Ausloten von Möglichkeiten des lesbischen Körpers und was er sein könnte, der geflüsterte, geschriene, sezierte, erzählende, der nach Berührung fragende Körper, „refusing to be unaddressed“. Toll. Immer.

Im Gang sagt Denise Kottlett laut, sodass es alle gut hören können, dass die Pause nur kurz ist. Rauchen ODER Klo! Ich entscheide mich für beides, finde obendrein noch ein bisschen Zeit, um mir ein paar von den ausgeklügelten Snacks von Markus Gebhardt & Beta M. Alexander reinzuhauen. Unten ist es endlich etwas kühler. Chantal geistert durch unsere Gespräche. Denise ruft, dass das mit der kurzen Pause ernst gemeint war. Wir dämpfen unsere Zigaretten aus.

Es ist nicht nur die letzte Show des Abends, es ist The Last Show Before We Die. Ell Potter und Mary Higgins machen gleich zu Beginn klar, worum es geht: Sie waren ein Couple, sind jetzt Best Friends, leben zusammen, und zusätzlich kollaborieren sie auch noch (HOTTER Projects). Und eigentlich ist das zu viel. Die ganze Show ist eigentlich zu viel: Glitzerkanonen, Mundhygiene und Spuckerei, Mopp-Slipper, Mandarinen, ein wenig Publikumspartizipation, Tanz- und Gesangseinlagen (über den Zervixriss bei der Geburt), und das alles mit vermutlich sämtlichen Lichteffekten, die der kleine Raum zu bieten hat. Ein Liebesgeständnis an die großen und kleinen Abschiede im Leben. An vereinsamte Klopapierblätter und an das letzte „Goodbye“ des Großvaters. An Trennungen und das Potential, das sie in sich bergen (z. B. in die Berge ziehen, um dort die Tage mit Töpfern zu verbringen). Es ist theatralisch und sentimental, kitschig, vor allem aber sehr, sehr gut. Ich lache viel, und in der finalen Szene muss ich vor Rührung heulen.

Obwohl die Show vorbei ist, sind wir glücklicherweise nicht tot. Ganz im Gegenteil, sogar ziemlich lebendig. Nicht zuletzt wegen des gut kuratierten Abends.

Wir sitzen auf dem Boden der Passage, Ines Bacher macht noch ein paar letzte Fotos für die Dokumentation. Außerdem ist Denice Bourbon plötzlich da, so ist das halt. Wir spiegeln uns in der Decke. Claire Lefèvre fragt Rey Molina Joichl, ob er jetzt mit der Arbeit fertig ist. Nicht ganz, Artist-Care hat einen anderen Rhythmus als Audience-Care. Artists zum Flughafen fahren, letzte Social-Media-Posts, was eben so anfällt.

Ich muss an einen Satz denken, den Potter vorhin noch auf der Bühne gesagt hat: „I am bad at endings, endings happen to me.

 

Ari Ban ist Illustrator, Autor und Garderobier und studiert derzeit Sprachkunst an der Universität für Angewandte Kunst. Sein Hauptaugenmerk liegt auf der Erforschung der queeren Geschichte, insbesondere durch das Studium von Biografien und das Sammeln intimer Details darin. Diese Verlagerung der Aufmerksamkeit auf das Beziehungshafte ist Aris Grundlage für seine Arbeit mit Zeichnung und Text.

 
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