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Florentina Holzinger im Gespräch

„Es ist meine minimalistischste Show“

„Es ist meine minimalistischste Show“

Florentina Holzinger über den weiblichen Körper in der Medizin, die Beschäftigung mit dem Tod, wie der Shitstorm im Altenheim entstanden ist und was sie für die Biennale in Venedig 2026 plant.

Florentina, in vielen deiner Arbeiten werden Männlichkeitsstereotype überzeichnet und lustvoll angeeignet. In Apollon war es der Cowboy, in Ophelia’s Got Talent betrunkene Matrosen. Standen toxische Ärzte schon länger auf deiner To-do-Liste?

Als der Gedanke aufkam, ein Musical zu machen, stellte sich natürlich die Frage: Wer sind diese Männer? Ich fand, dass Emergency Room-Vibes gut zu uns passen, nicht nur wegen der Spritzen und der Heilungsgeschichten. Im Spital spielt sich immer viel Drama ab. Und es gibt Schablonen, mit denen man gut spielen kann. Es war definitiv cool, einen Ärztekittel anzuziehen. Wir hatten Lust, den Topos des Dr. Frankenstein als faustischer Wissenschaftler zu verarbeiten, der sich im Dienst des Fortschritts über moralische Grenzen erhebt und mit den Konsequenzen seiner Schöpfung letztendlich überfordert ist.

Männliche Wissenschaftler haben stets den Körper der Frau definiert und als monströse Abweichung von der männlichen Norm beschrieben.

Definitiv, wir haben uns viel mit Medizingeschichte auseinandergesetzt. Wir sind endlich eine Generation, die darüber zu sprechen beginnt, dass neun Prozent der Frauen Endometriose haben. All diese Krankheitsbilder, die lange komplett ignoriert wurden oder als Mysterium galten. Es war eine grundlegende Idee, dass wir uns in diesem Musical auf humorvolle Weise mit diesen „medical monsters” beschäftigen. Es ging in der Medizin immer viel darum, den weiblichen Körper in seiner Sexualität und seiner reproduktiven Funktion kontrollierbar zu machen. Wir haben uns für unsere aufblasbare Skulptur von Gustave Courbets berühmtem Gemälde Der Ursprung der Welt inspirieren lassen. Bei uns ist die Vulva begehbar, wir treten aus ihr auf.

In den meisten deiner Arbeiten geht es unausgesprochen auch um generationenübergreifende Solidarität unter Frauen, die sehr unterschiedlich sind. Wie wichtig ist Gemeinschaft für dich?

In Wirklichkeit geht es um das utopische Matriarchat, um den Ursprung einer matriarchalen Welt. Ich sehe A Year without Summer als eine Art zweiten Teil von Ophelia’s Got Talent, wo es gegen Ende ja auch viel um unsere Zukunft aus der Perspektive von Kindern ging. Diesmal steht eine ältere Generation im Zentrum. Dass alles langsamer, ruhiger und poetischer geworden ist, liegt auch an deren Tempo. Ich sage immer, es ist meine minimalistischste Show. Es geht um existenzialistische Themen, um das Altern, um Ewigkeitsfantasien, aber auch um die Unmöglichkeit, unsterblich zu sein. Es war spannend, das mit Menschen zu verhandeln, die viel näher an dem Thema dran sind. Ein wenig hatte ich aber auch Panik: Oh my God, it’s fucking depressing! Aber wir hatten Lust, uns auf das Thema einzulassen, ohne es sofort durch Humor und Slapstick zu entkräften.

Trixie Cordua, eine deiner Darstellerinnen, mit der du schon öfter zusammengearbeitet hast, musste zwischendurch ins Krankenhaus.

Sie hat während des Probenprozesses ihre Lungenkrebsdiagnose bekommen. Plötzlich war klar, sie könnte jeden Tag sterben. Sie wartet auf den Tod. Gleichzeitig steckt sie viel Energie in die Arbeit: Maybe, that’s the last cool thing I’m gonna do in my life. Wir haben einen rotierenden Cast, weil man nie weiß, wie es den Akteurinnen an jedem Abend geht. Wir haben die Hälfte der Zeit nicht im Proberaum verbracht, sondern in irgendwelchen Spitälern. Eine Darstellerin ist plötzlich ins Koma gefallen und wacht erst langsam wieder auf. Der Probenprozess war eine ziemliche Herausforderung.

Deine letzte Arbeit Sancta war eine riesige Opernproduktion mit Orchester. Wolltest du etwas Ruhigeres, Kleineres machen?

Für mich gilt grundsätzlich: Man kann immer größer werden. Ich bin schon ein wenig angefixt von dem Genre Oper und seinen Möglichkeiten. Zugleich bin ich aber auch argwöhnisch, wenn ich Angebote für klassische Opern an großen Häusern bekomme. In Schwerin war ideal, dass wir da in einem Underdog-Kontext unterwegs waren. Es war nicht alles so starr, wir wollen den Opernapparat auf unsere Art und Weise nutzen. Retrospektiv finde ich bei A Year without Summer gut, dass ich auf eine andere Art radikal sein musste. Es war ungewohnt für mich als Adrenalinjunkie, mir länger Zeit zu nehmen und ruhigere Dynamiken zuzulassen. Aber man muss eine gewisse Leere aushalten, damit etwas Neues entstehen kann.

Ihr wolltet ursprünglich das Musical Chicago inszenieren. Warum ist es dann A Year without Summer geworden?

Klassische Musicals sind ein Albtraum, was die Rechte betrifft. Und ich bin ja eigentlich eine Copy-Paste-Künstlerin. Wenn ich ein Musical mache, heißt es nicht, dass ich den ganzen Stoff heruntererzählen möchte. Am liebsten würde ich mir meine Favoriten aus allen Musicals aussuchen und zusammensetzen. Weil das nicht geht, mussten wir die Nummern für diese Show selbst komponieren.

Gab es Filme, die wichtig waren, wie das Bodyhorror-Movie The Substance mit Demi Moore?

In vielen aktuellen Filmen wurde gesungen, wir hatten Joker: Folie à Deux, The Substance und Emilia Pérez schon auf dem Radar. Aber auch da habe ich gemerkt, dass es spannend für zwei, drei Songs ist, und dann nervt die Musik eigentlich. Das hat mich ein bisschen skeptisch gemacht, was das Genre anbelangt. Ich war dann eher: Let’s do no longer than 20 minutes singing. Uns haben eher Nosferatu und Frankenstein, auch andere Stummfilme, beeinflusst. Bodyhorror war für meine Arbeiten schon immer zentral. Aber wir wissen ja: Im Kino ist alles SFX, bei uns ist fast alles echt.

Wie die Operation an deinem Bein?

Das ist eine Referenz auf die Schenkelgeburt des Gottes Dionysos durch Zeus. Er hat den Gott des Theaters und der Fruchtbarkeit in seinem Oberschenkel ausgetragen. In unserer Show wird das Musical daraus geboren. Man kann es auch als eine Art von Abtreibung interpretieren. Dieses mythologische Bild hat also in vielerlei Hinsicht sehr gut gepasst – und natürlich musste es in unserem Spital auch Operationen und Geburten geben. Wahrscheinlich löst diese Szene die größte physische Reaktion beim Publikum aus.

Im realen „Jahr ohne Sommer“ 1816 brachen nach einem Vulkanausbruch in Indonesien weltweit Hungersnöte aus. Gleichzeitig war es für die Kunst eine sehr kreative Phase: Mary Shelley schrieb ihren Frankenstein am Genfer See, die erste Vampirgeschichte wurde verfasst, Schauerstorys boomten.

Es ist doch immer so, dass die Krise Künstler*innen inspiriert. Gezwungenermaßen. Caspar David Friedrich hat berühmte Gemälde geschaffen, weil das Licht so speziell gewesen ist. Mich erinnert viel von der damaligen Weltuntergangsstimmung an die Gegenwart. Obwohl es vielleicht absurd sein wird, wenn wir in Wien gastieren, und alle sitzen mit ihren Fächern im Publikum. Aber definitiv steuern wir auf eine Zeit der extremen Wetterbedingungen zu – und politisch ist es auch ein Jahr ohne Sommer. Die meisten würden sagen, dass diese Show eins der poetischsten Dinge ist, die wir je gemacht haben. Eine Weltuntergangsstimmung ist paradoxerweise immer sehr pittoresk. Und natürlich ist Humor wichtig. Die ganze Katastrophe endet bei uns in einer großen Groteske.

Du meinst den Shitstorm im Altersheim?

Ja, es war früh klar, dass es diese Szene geben wird. Bereits beim Casting mit den älteren Performerinnen waren deren eigene Erfahrungen mit Care-Arbeit präsent. Viele haben kranke Partner*innen gepflegt, sich um Menschen gekümmert, die die Kontrolle über ihren Körper verloren haben. Wo alles außer Rand und Band gerät. Es geht auch bei uns um diese Sisyphosarbeit des Krankenpersonals. Am Anfang versuchen beide Seiten, alles mit Sachlichkeit zu lösen. Aber natürlich stellen sich eine gewisse Frustration, Wut und komplette Überforderung ein. Die Patient*innenseite ist dankbar dafür, dass sich jemand um sie kümmert, was schnell in Aggression umschlagen kann. Da sind höchst unterschiedliche Gefühle verknüpft, es hat viel mit Scham zu tun. Bei uns mündet alles in einer grotesken, urkomischen Art von Liebesbeziehung zwischen Pflegepersonal und Gepflegten. It’s fucking strong, but also fucking funny. Und deswegen war es okay, uns eine Szene zu gönnen, die eine halbe Stunde lang geht und richtig reinballert.

Vielleicht noch ein Ausblick zum Schluss: Du wirst 2026 den österreichischen Beitrag für die Biennale in Venedig gestalten. Ist schon klar, was ihr machen werdet?

Wir bespielen nicht nur den Pavillon, sondern machen auch Aktionen im öffentlichen Raum. Wir waren schon vor Ort scouten, natürlich ist in Venedig nichts unentdeckt. Aber es gibt einige coole und überraschende Orte, die wir für unser Étude-Formate nutzen werden. Stay tuned!

Das Interview führte Karin Cerny.

 
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