TQW Magazin
Christa Spatt mit Katerina Andreou, Jaha Koo, Joana Tischkau und Cherish Menzo

Vier Fragen zu Imagining otherwise – How do we move from here?

 

Vier Fragen zu Imagining otherwise – How do we move from here?

Christa Spatt im Gespräch mit vier Künstler*innen, deren für November geplante Performances verschoben werden mussten, über den Bezug ihrer Stücke zum thematischen Schwerpunkt Imagining otherwise – How do we move from here?.

 

Katerina Andreou über Zeppelin Bend

Christa Spatt: In Zeppelin Bend setzt du deinen bisherigen Weg fort. Es geht weiterhin um die Frage, ob bzw. wie Autonomie funktionieren könnte. Aber dieses Mal hast du dich für ein Duett entschieden und beschäftigst dich auch damit, wie wir miteinander koexistieren können. Wie wirkt sich dein Interesse an bestimmten Erscheinungsformen von Bewegung wie beispielsweise Trainingsdisziplinen auf die eher philosophischen und politischen Fragestellungen aus, mit denen du dich beschäftigst, und umgekehrt? Deine Herangehensweise, dich eingehend mit formalen Praktiken und Choreografie auseinanderzusetzen – in welcher Beziehung steht sie zu Vorstellungen von Freiheit und Hybridität?

Katherina Andreou: Anhand eines trainierten Körpers und seiner verinnerlichten Disziplin lässt sich für mich eine alltägliche Realität beobachten: eine komplexe (explizite oder verborgene) Struktur von Macht und einander entgegengesetzten Kräften, die Einfluss auf uns ausüben. Training – d. h. Technik, Arbeit, Regeln, Codes des Körpers / für den Körper und Verlangen – bedeutet Manipulation. Die Stücke, die ich mache, sind nicht immer in diesem Sinn explizit, aber durch die erwähnten Methoden entsteht eine Art kontinuierliche Aktivität im Hintergrund, weshalb ich mich auch stets frage: welche Praktik für welches Projekt? Eine meiner Methoden ist es, verschiedene Trainingskontexte zu untersuchen, zu transformieren und zu übersetzen, denn jede Fertigkeit und Technik hat ihre eigene Philosophie und ihre eigene physische Manifestation. Also lerne ich weiterhin neue Fertigkeiten und wechsle zwischen verschiedenen Diskursen und Ideologien, die sich mit Bewegung und dem Körper befassen, und bringe sie durcheinander. Auf diese Weise bin ich gezwungen, mich jedes Mal an neue Zusammenhänge und Umgebungen anzupassen, was Verwirrung stiftet, aber auch Möglichkeiten schafft. Ich versuche, diese Fertigkeiten nicht nur als Techniken, sondern als „Technologien“ zu betrachten. Indem ich mich mit diesen unterschiedlichen Disziplinen beschäftige, muss ich ständig jeder Praktik, in die ich mich vertiefe, kritisch gegenüberstehen, und das hilft mir dabei, meine Beziehung zu meinem eigenen Körper, zum Anderen, neu zu definieren. Ich lerne immer weiter, um weiter zu verlernen.
Das gibt mir das Gefühl, aus freiem Willen zu handeln.

In Zeppelin Bend war ich nicht mehr allein. Meine Co-Performerin Natali Mandila und ich verfolgten gemeinsam die Strategie, auf einer Art Training zu beharren, das aus sehr einfachen Bewegungen bestand (an einem Seil hängen, mit einem gewissen Schwung gemeinsam springen, headbangen, einander heben etc.), ohne uns mehr davon zu erwarten als herauszufinden, ob es unsere Vorstellungskraft als Individuen und als „Paar“ auf der Bühne anregen würde oder nicht. Durch diese Arbeit, die für uns etwas Asketisches hatte, stießen wir auf „nutzlose“ Materialien, die handwerklich alles andere als ausgeklügelt scheinen, aber in ihrer Einfachheit/Naivität für uns beide sowohl nihilistisch als auch emanzipierend sind … Das ist die Art von Anmaßung, aber auch Spannung, von der ich annehme, dass sie zu jedem Training gehört, zu jeder Art von Leistungsstreben und zu jedem System, das von Disziplin geprägt ist; einschließlich der paradoxen Situation, die durch meine eigenen Bemühungen entstanden ist, ein gewisses Maß an Autonomie zu erlangen. Letztendlich geht es mir darum, Kontexte und Praktiken zu verändern, weiter an DIESER Art Choreografie zu arbeiten, zu versuchen, neues Wissen zu konstruieren, um altes Wissen zu dekonstruieren (das in gewisser Weise eine Form von Identität festgelegt hat), und zu beobachten, was unter dem Vorwand einer Trainingserfahrung tatsächlich vor sich geht: Bei BSTRD war es ein Gefühl der „Zugehörigkeit“, das über das Konzept von Identität hinausging; in Zeppelin Bend ist meine außergewöhnliche Verbindung zum Anderen in den Fokus gerückt in einem Beziehungsknoten, der den Rahmen von Choreografie an sich sprengt, uns beide gleich aussehen lässt und den Eindruck erweckt, nicht nur eine, sondern zwei von uns zu sehen. Das gibt uns gewissermaßen einen weiteren paradoxen Grund, uns in unseren selbstgemachten Ketten (von uns selbst oder von dem, was uns als uns selbst definiert) frei zu fühlen.

 

Jaha Koo über The History of Korean Western Theatre

Wie findest und entwickelst du künstlerische Strategien, die es dir ermöglichen, kontroverse Themen wie Kolonialismus in ein Bühnenstück einzuarbeiten? Welche künstlerischen Ansätze hältst du diesbezüglich für angemessen und sinnvoll? Inwieweit prägen die politischen Aspekte deiner Arbeit deine Entscheidungen hinsichtlich des Formats und der Gestaltung des Stücks?

Jaha Koo: Wenn ich mich mit kontroversen Themen beschäftige, versuche ich, mir Gedanken über unterdrückte oder zum Schweigen gebrachte Stimmen in der Gesellschaft zu machen. Den meisten Stimmen fehlt es an Eigenwirksamkeit. Eine der wichtigsten künstlerischen Aufgaben bei der Behandlung solch sensibler Themen besteht darin, bei der Bearbeitung der Themen für die Bühne nicht auf Sympathie zu setzen. Es ist enorm wichtig, dass ich Vorsichtsmaßnahmen zur Vermeidung politischer Unkorrektheiten treffe. Ich denke, Liveperformances sollten grundsätzlich immer Solidarität fördern oder eine gewisse Zustimmung im Publikum schaffen. Also versuche ich stets, meine Performances künstlerisch, inhaltlich und medientechnisch auf das Publikum abzustimmen, damit durch sie ein Gefühl von Solidarität entsteht.

Im Allgemeinen betreibe ich im Zuge der Erarbeitung eines Stücks Forschungen in drei verschiedenen Bereichen: künstlerische Forschung („artistic research“ – AR), inhaltliche Forschung („content research“ – CR) und Elemente-/Medienforschung („element/medium research“ – ER). Bei AR geht es vor allem um Konzeption und Format. In dieser Phase habe ich auch die Möglichkeit, über meine Rolle als Urheber und Performer auf der Bühne nachzudenken. CR fungiert als kontextbezogene Untersuchung dazu, wie die jeweiligen Themen zu behandeln sind. Dabei kann es sich auch um wissenschaftliche Betrachtungen handeln, je nachdem wie kontrovers das Thema ist. Das Ziel von ER ist, eine Plattform für ästhetische Experimente und Entwicklungen in Bezug auf die jeweiligen Inhalte zu schaffen, einschließlich so unterschiedlicher Elemente wie Musikkomposition, Sounddesign, Videokonzept, Installation, Text, Szenografie etc. In dieser Phase geht es nicht nur um die verschiedenen Medienarten, sondern auch um die Instrumentalisierung der Elemente auf der Bühne in ihrer Gesamtheit.

In der Regel ergibt sich der politische Aspekt meiner Performance während der Forschungsphase. Wenn das Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Forschungsbereichen verloren geht, kann sich das negativ auf die Performance auswirken. Sie kann dann zu einer Art Bericht der Erkenntnisse aus CR oder ER verkommen und ihre Eigenschaft als Kunstwerk verlieren. Daher ist es wichtig, darauf zu achten, dass ein Gleichgewicht zwischen den Forschungsbereichen besteht. Ich möchte, dass der Inhalt durch das Format wiedergegeben und auf äußerst einfühlsame Weise durch verschiedene Elemente auf der Bühne verdeutlicht wird.

 

Joana Tischkau über BEING PINK AIN’T EASY

Dein Stück BEING PINK AIN’T EASY macht die Fragilität (und die Fragwürdigkeit) sozialer Konstruktionen wie Race und Geschlecht sichtbar, bleibt dabei aber spielerisch – wie findest du die Balance in deinem Zugang bzw. in deinen Arbeitsweisen, um Debatten künstlerisch fruchtbar zu machen, die teilweise sehr hart und scharf geführt werden? Wie greifen künstlerische Prozesse und politische Motive/Anliegen/Fragen in deiner Praxis ineinander? Kannst du beschreiben, ob und wie die Themen die formalen Prozesse und Entscheidungsfindungen beeinflussen?

Joana Tischkau: Was diese Debatten in meiner Wahrnehmung miteinander verbindet, ist die inhärente Absurdität. Rassismus folgt keiner Logik bzw. ist ein extrem wandelbares und flexibles System, das seine Unterdrückungsmechanismen ständig erneuert. Mich interessiert das Banale, das Alltägliche daran, an welchen ästhetischen Ausdrucksformen lassen sich Unterscheidungen von Schwarz und „weiß“ ablesen, und inwieweit bin ich als Zuschauende*r überhaupt in der Lage, das zu dechiffrieren?

Die Schärfe und Härte, die hier benannt wird, verweist auch auf die Emotionalität und die Affekte, die diese Diskurse hervorrufen. Wir begeben uns sofort in eine emotionale und somit auch körperliche Auseinandersetzung, da gibt es keine rationale Logik, bzw. der Wunsch danach dient ja nur der Unsichtbarmachung von weißen Affekten wie z. B. weißer Fragilität. In meiner Praxis geht es mir also eher darum, diese Komplexität darzustellen, abseits von Didaktik und einfachen Lösungsversprechen. Als Schwarze Choreografin übernehme ich in BEING PINK AIN’T EASY die Autor*innenschaft für die Performance von Schwarzer Männlichkeit, ausgeführt von einem weißen männlichen Körper. Wenn wir uns in diesem Fall auf eine Diskussion um kulturelle Aneignung einlassen, die ich mit der Arbeit ja auf jeden Fall provozieren will, werden wir schnell merken, wie unproduktiv das Ganze ist. Habe ich als Woman of Color die Deutungshoheit und auch so etwas wie einen Legitimitätspass, was die Verkörperung von Schwarzsein angeht? Ist das, was hier vermittelt wird, authentischer, weil die Arbeit meine Handschrift trägt?

Es geht mir darum, die Grenzen dessen, was Schwarzen Frauen in diesem patriarchalen System weißer Vorherrschaft möglich gemacht wird, zu sprengen. Die Entscheidung, mich nicht selbst auf die Bühne zu stellen, hat im Kontext der Geschichte Schwarzer Menschen in Europa eine ermächtigende Komponente, denn die Bühne ist historisch gesehen immer der Ort, an dem Schwarze Körper oder aber auch die Performance davon (z. B. Blackface) sichtbar waren.

Die Arbeit ist auch eine Kritik an einer Praxis, die Nuray Demir (Dramaturgin bei BEING PINK AIN’T EASY) das kuratorische Paradigma der Identitätspolitik nennt; aber die Sichtbarkeit Schwarzer, queerer oder behinderter Körper garantiert nicht unmittelbar einen strukturellen und nachhaltigen Wandel. Gerade im Kontext von Kunst und Performance soll die Arbeit eine Einladung sein, Zuschauende auf ihre Blickpolitiken und Sehgewohnheiten aufmerksam zu machen. In diesem Bruch, in dieser Konfrontation liegt für mich etwas Lustvolles.

 

Cherish Menzo über JEZEBEL

Was war dein Ausgangspunkt für die Erarbeitung von JEZEBEL? War es eher ein künstlerisch-ästhetisches oder ein politisches Interesse?

Cherish Menzo: Ausgangspunkt für JEZEBEL war die simple Frage: Was machen die Video Vixens heute? Die Frauen, die in den Musikvideoclips zu sehen waren, die ich in meiner Kindheit und Jugend gesehen und bewundert habe.

Während ich am Konzept von JEZEBEL arbeitete, wurde ich auf Bewegungen wie #MeToo und sehr angeregte Diskussionen über soziale Geschlechterungerechtigkeit aufmerksam. Ich bekam den Eindruck, dass der weibliche Körper und die Sexualität (wieder) Raum für sich beanspruchten und versuchten, sich von unterdrückenden Machtverhältnissen und der Objektivierung des Körpers zu emanzipieren.

Gleichzeitig konnte ich spüren, dass Künstler*innen heteronormative Vorstellungen des weiblichen Körpers, sexuelle Stereotype und die Romantisierung bestimmter Körper, die im Bereich der darstellenden Künste durch eine heteronormativ geprägte Kunstgeschichte aufrechterhalten wurden, vehement infrage stellten. Obwohl diese Darstellungen und Fragestellungen etwas in mir auslösten, führten sie auch zu Verwirrung und Reibung. Da gab es eine Unstimmigkeit hinsichtlich der Darstellungen von Weiblichkeit, mit denen ich aufgewachsen bin und mit denen ich mich identifiziere. Ich denke, ich hatte das Gefühl, dass sich diese Darstellungen und Fragestellungen eher auf den weißen bzw. westlichen weiblichen Körper beziehen …

Mir wurde klar, dass diese Fragestellungen rund um den weiblichen Körper und die weibliche Sexualität andere Konnotationen hätten, wenn sie auf Schwarze weibliche Körper bezogen wären. Ich fing an, Archetypen Schwarzer weiblicher Körper zu hinterfragen, die in Hip-Hop-Videoclips der späten 1990er- und frühen 2000er-Jahre zu sehen waren: Video Vixens, hypersexualisierte Frauen, die das Produkt männlicher Fantasie waren.

Eine Fantasie, die einige Rapperinnen der Pop- und Hip-Hop-Kultur von heute wie Nicki Minaj, Cardi B und Megan Thee Stallion weiterhin aufrechterhalten. Eine Hypersexualität, die wieder Einzug in die Popkultur gehalten zu haben scheint, die aber auch als Beanspruchung eines bis dato nicht verfügbaren Raums und als Widerstand gegen soziale Geschlechterungerechtigkeit gesehen werden kann. (Je nachdem wen man dazu befragt.)

Dieses Aufeinanderprallen und diese Widersprüche haben mich wachgerüttelt, und ich spürte das dringende Bedürfnis in mir, mein eigenes Ökosystem und meine eigene aktive Rolle in diesem Kontext zu untersuchen bzw. zu gestalten. Mein Interesse wuchs als natürliche Folge meiner schöpferischen Tätigkeit: Ich kreierte etwas, das sich sehr persönlich anfühlte und das unterschiedliche Ebenen meiner Erfahrungen, Fragestellungen, Konflikte (Reibungen) und Bestrebungen in den darstellenden Künsten berührt. Der nächste Schritt bestand also darin, herauszufinden, wie ich daraus mein eigenes Universum erschaffen und umsetzen könnte.

Wie stehst du zur Frage des emanzipatorischen Potenzials der Künste, und wie hat sich das bei der Erarbeitung von JEZEBEL manifestiert?

Ich denke, es hängt davon ab, aus welchem Blickwinkel man diese Frage betrachtet …

Als Künstlerin habe ich das Gefühl, dass es im Bereich der darstellenden Künste neue Risse gibt, aus denen emanzipatorische Kräfte hervorgehen. Es fühlt sich für mich so an, als ob es neue, diversere Stimmen mit neuartigen Ansätzen und Entwürfen gibt. Sie schaffen ihre eigenen Plattformen und sind bemerkenswerte und wichtige Bereicherungen der Szene.

Wenn es um die Stellung der darstellenden Künste innerhalb der Gesellschaft geht, hat sich meiner Meinung nach die aktuelle Pandemie als aufschlussreicher Spiegel erwiesen. Einerseits fühlt es sich so an, als würden die darstellenden Künste von einem eigenen Motor angetrieben, andererseits stützen sie sich – außerhalb dieses eigenen Bereichs – auf finanzielle Strukturen, die ihre Bedeutung nicht vollständig anerkennen.

 

 
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