TQW Magazin
Christian Höller über Remachine von Jefta van Dinther

Gegenmaschinell

 

Gegenmaschinell

„Welcome to the machine!“ Als Pink Floyd vor 50 Jahren diese Zeilen sangen, begann sich das theoretische Verständnis von Maschinen gerade grundlegend zu wandeln: weg von einer primär technologischen Konzeption hin zu einer kritisch-gesellschaftsbezogenen Sichtweise. Hatte man Maschinen traditionell eher als technische Implementierungen eines bestimmten Funktionsablaufs verstanden – „single-task automata“, wie man sagen könnte –, so rückte nunmehr die Idee umfassenderer maschineller Gefüge verstärkt in den Blick: „Assemblagen“, um einen Begriff der damals tonangebenden „Wunschmaschinen“-Theoretiker Gilles Deleuze und Félix Guattari herzunehmen. Darin spielten subjektive Komponenten eine ebenso tragende Rolle wie institutionelle, soziale, technologische etc. –, ja ein ganzes Feld, eine „Assemblage“ eben, von zugleich verkoppelten und sich stellenweise auch wieder abstoßenden, nie reibungslos ineinandergreifenden Maschinenteilen. „Welcome to the machine“ – sollte heißen: willkommen in einer mitunter abstrakt anmutenden, nichtsdestotrotz mit konkreten Einzelmodulen operierenden sozialen Gesamtmaschinerie. Diese mochte einer*m längst über den Kopf gewachsen sein, sie hörte aber dennoch nicht auf, die Ströme des subjektiven Begehrens (wie Deleuze/Guattari es nannten) unablässig zu „codieren“.

50 Jahre später kann die Gegenwart von derlei Codierung ein Lied singen – und singt es auch. Etwa in Jefta van Dinthers Inszenierung Remachine, basierend auf der Versuchsanordnung einer vergleichsweise einfachen mechanischen Maschine, einer sich horizontal drehenden grauen Scheibe, und fünf dazu/darauf in Stellung gebrachten Tänzer*innen/Sänger*innen. Wohlgemerkt sind die digitale Gegenwart und die damit zusammenhängende „Datafizierung“ von allem und jedem mehr symbolisch denn realiter präsent. So wird nahezu jeder explizite Bezug auf unser aller permanentes Daten-Handling, dem frau*man wie ein an einem maschinellen Tropf hängender Restorganismus unweigerlich ausgesetzt ist, nahezu vollständig ausgespart. (Die überdeutliche Ausnahme bildet ein vom Ensemble praktiziertes Ballett aus manuell ausgeführten Wischgesten, die das „Handgreifliche“ heutiger Datenmanipulation eindrücklich vor Augen führen.) Und dennoch weist die Grundkonstellation aus dem sich beständig – mal schneller, mal langsamer – drehenden Universalrad und den darauf nach ihrem körperlichen Wohlergehen trachtenden Protagonist*innen auf das zuvor erwähnte Codierungsprinzip hin: Alles Subjektive, ja alles individuell wie auch kollektiv Physische wird zusehends von einem gewaltigen Gesamtmechanismus oder besser einer „Assemblage“ ineinandergreifender Teilgefüge erfasst, die wenig Raum für die Illusion autonomer Selbstbestimmung lässt.

„I am restless, […] I am heavy like a stone“, singt gleich zu Beginn der polyphon anschwellende Chor der fünf Tänzer*innen. Er macht damit ein dialektisches Moment geltend, das sich – gleichsam die Leitmetapher individuellen Lebens im Informationszeitalter – durch die gesamte Inszenierung zieht. Rastlosigkeit, Keine-Ruhe-Finden, Ständig-agitiert-und-angetrieben-Sein – all das, was digitale Medialität mit nicht nachlassender verführerischer Vehemenz in den gesellschaftlichen wie subjektiven Körper eingeschleust hat; und zugleich ein sich ausbreitendes Gefühl der Schwere, des permanenten Scheiterns oder Ungenügens angesichts der immer schneller werdenden algorithmischen Vorgaben in sozialen Medien wie auch Arbeitszusammenhängen. Auf Basis dieses Doppels macht der Kollektivkörper der Tanzenden, selbst eine Art feingliedrig abgestimmtes maschinelles Gefüge aus unterscheidbar bleibenden Einzelkörpern, ein grundlegendes Moment heutiger Subjektivierungsdynamiken sichtbar: Mitgeschliffen-Werden, zumindest insoweit, als sich der Fliehkraft trotzen lässt, und zugleich ein hilfloses, obgleich graziles Sich-dagegen-Stemmen, das sich nicht einfach in die passive Opferrolle fügt.Die unablässig aus der individuellen Körpermodulation entstehenden Gruppenformierungen, -deformierungen und -reformierungen lassen solcherart ein „gegenmaschinelles Gefüge“ erkennen, das dem Gedanken der Immanenz verpflichtet bleibt. Zwar betört der Gesang im abschließenden Abschnitt, so wie die gesamte Musik auf grandiosen Adaptionen dreier Stücke von Anna von Hausswolff basierend, mit den Zeilen „Unexpected out of nowhere / Was the truth told for me“. Doch die „Wahrheit“, die hier beschworen wird, ist jenseits jeglichen Mensch-Maschine-Dualismus angesiedelt. Humanes und Mechanisches sind in dem Sinne keine Gegensätze mehr, und Remachine unterstreicht dies mit inszenatorischer Verve, als Menschen- und Maschinenkörper (und -psychen) hier längst eine Symbiose miteinander eingegangen sind. So wenig sinnvoll es ist (oder höchstens zu zusätzlichen Verrenkungen führt), sich dem Lauf der Dinge in den Weg stellen zu wollen, so wenig ist auch damit getan, das Maschinelle (oder Digitale) als völlig von uns abgekoppelte, uns gleichsam äußerlich überkommende Materie anzusehen. Die wechselseitigen Verwicklungen, egal von welcher Maschinengeneration oder Menschheitsphase man spricht, gehen seit jeher tiefer, als dass die saubere Trennung in (1) kaltes Mechanisches hier, (2) warmherziges, dem Untergang geweihtes Humanes da, ihnen gerecht werden könnte.

Und so heißt es gegen Ende von Remachine ritualhaft wiederholt, vielstimmig nachhallend zwar immer wieder: „Will we fall? Will we fall? Will we fall?“ Derweilen haben sich die Protagonist*innen, in labilem Gleichgewicht an elastischen Seilen hängend, in der maschinellen Fliehkraft zumindest provisorisch abgesichert. Mehr lässt sich von einem gegenmaschinellen Gefüge nach Stand der Dinge schwerlich erwarten. Welcome to the machine.

 

 

Christian Höller ist Redakteur und Mitherausgeber der Zeitschrift springerin – Hefte für Gegenwartskunst (springerin.at). Autor und (Mit-)Herausgeber zahlreicher Publikationen, zuletzt Ricarda Denzerganz ohr / all ears. Audio Trouble, Para-Listening, and Sounding Research, Berlin 2024.

 
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