TQW Magazin
Elisabeth von Samsonow über ElseWhere Rhapsody von Jen Rosenblit

Geistwolke über Ausgrabung

 

Geistwolke über Ausgrabung

Jen Rosenblit bringt mit der neuen Produktion ElseWhere Rhapsody ein deutlich textlastiges Stück auf die Bühne. Rosenblit und die Co-Performer*innen Gærald Kurdian, Li Tavor, Colin Self und Nic Lloyd rezitieren ellenlange Passagen aus einem komplexen, aber wundervoll poetischen Text von Rosenblit selbst. Der Text breitet über die Dauer des Stücks hinweg eine Art Geistwolke über die Vorgänge auf der Bühne aus, die klug, leicht und heiter ist. Aus dieser Ebene des Stücks ergibt sich bereits eine neue Syntax der Haltungen: Wie kann man mit einem Mikrofon umgehen? Die Art und Weise, wie dieses so wichtige Mikrofon wie ein Fetisch herumwandert, neu positioniert und wieder gehoben und getragen wird, erfährt ein Echo in der Konstellation der Körper und Figuren. Diese Vorführung verdeutlicht, dass alle zusammen ein im Raum der Affekte und des Begehrens verteilter Körper sind. Die queeren Charaktere erscheinen archetypisch und zugleich monumental in ihrer spielerischen, zarten und wahrhaftigen Präsenz. Die Bewegungen sind achtsam und auch lustig. Wenn dann noch Gesang und Musik anheben, wird das Stück dicht und ergreifend. Der Bogen spannt sich über einen Moment des Dazwischen, zwischen Erinnerung und Zukunft, Ich und Wir, zwischen den Geschlechtern und zwischen „humans“ und der ganzen Welt. Es handelt sich um einen Moment des „fence“, was Zaun oder Hehler*in bedeuten kann. Was Rosenblit als eigene „Phänomenologie“ bezeichnet, kann durchaus in Husserls Idee vom Bewusstseinsstrom, der sich selbst aufzuzeichnen versucht und in der Unbegründbarkeit versinkt, verankert werden. Die Bilder, die Rosenblit findet, sind Momentaufnahmen einer nichtlinearen Erzählung, die eher rotiert als auf ein Ziel zusteuert. „Distributed in time“, schreibt Rosenblit, und dass die Erzählung „based on my body“ sei. Einmal gibt es eine kurze Assoziation zu Marina Abramovićs Video Earth fucking, was aber Zufall sein kann. Die Bühne nämlich wird von Rosenblit auch als „unearthed place“, als „excavated place“ beschrieben, womit die Erde sowieso eingeführt ist. Der Boden ist als Erdboden und nicht als Bühnenboden definiert durch einen Stapel aus Pressstroh und einen Halbkreis aus Pflanzerde, deren Geruch zu Beginn des Stücks, wenn sie fleißig geharkt wird, verstärkt den Raum erfüllt. Der leichte Erdmoder in Verbindung mit den fancy Kostümen und dem Mikrofon-Fetisch, mit dem dunkelrosa Wackelpudding und der orangefarbenen Pferdeperücke hilft, sich auf den Körper zu konzentrieren. Doch das ist nicht alles. Diese Kombination macht aus dem Ganzen eine mittelgroße Allegorie über ein kommendes Erdspiel in Gestalt von Entwürfen, wie die Terrestrischen in Zukunft leben können und was sie hinter sich lassen wollen. Man geht also voller wunderbarer Ideen nach Hause.

 

Elisabeth von Samsonow ist Künstlerin und Philosophin, Professorin an der Akademie der bildenden Künste Wien, Gastprofessorin an der Bauhaus Universität Weimar (2012), lehrt und forscht zu den Schwerpunkten Philosophie und Geschichte in Beziehung zu einer Theorie des kollektiven Gedächtnisses, zum Verhältnis zwischen Kunst, Psychologie und Politik in Geschichte und Gegenwart, zu Theorie und Geschichte des Frauenbildes bzw. der weiblichen Identifikation. samsonow.net

 
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