TQW Magazin
Stephanie Misa über Princess von Eisa Jocson

I AM WHITE, SNOW WHITE

 

I AM WHITE, SNOW WHITE

Es ist bzw. scheint sich um eine Übung in Unmöglichkeiten zu handeln. Es gibt hier zwei Schneewittchen, eines das Ebenbild des anderen, die mit piepsender Stimme zu uns sprechen. Wer jemals in einem der fünf Disneylands der Welt war oder die Videoarbeit „Real Snow White“ der finnischen Künstlerin Pilvi Takala gesehen hat (in der sie als unbefugte Schneewittchen-Darstellerin in Disneyland Paris umgehend von Sicherheitsbeamten umzingelt und vom Management aufgefordert wird, den Vergnügungspark zu verlassen), weiß, wie ernst es Disney mit seiner Authentizität nimmt. „Wo Träume wahr werden“ – das kann nur auf die markenrechtlich und urheberrechtlich geschützte, von Disney genehmigte Art und Weise passieren. Das heißt: ein ausgewiesenes Schneewittchen innerhalb eines genau bemessenen Gebiets, das keinem anderen Schneewittchen in die Quere kommen darf, um die Fans nicht zu verwirren.

Ein mit Sorgfalt zurechtgemachtes Schneewittchen, eine perfekte Kopie als rechtmäßige Prinzessin auf dem Gelände ihres Königreichs.

Da treten die Körper von Eisa Jocson und Russ Ligtas auf, Prinzessinnen in jeder Hinsicht. Die Haarschleife sitzt. Sie bewegen sich anmutig über die Bühne, hauchen synchron die Begrüßung „Hallo, wie heißt du?“ und kichern in simultaner Perfektion. Die Wiederholung der Bewegungen, das aufgesetzte Lächeln, die präzise gestreckten Zehenspitzen und die anmutig gebeugten Arme – alles unverzichtbare Elemente aus dem Prinzessinnenrepertoire –, in den Händen von Jocson und Ligtas verwandeln sie sich jedoch in etwas abgrundtief und beunruhigend Düsteres.

Langsam steigern Jocson und Ligtas sich zu einem turbulenten Crescendo und schaffen es dabei (mehrmals), Schneewittchens Körper auf den Kopf zu stellen, indem sie ihrem „Wesen“ akribisch treu bleiben. Was in der Wiederholung und dem Aufbau der Bewegungen klar und deutlich wird, ist die Arbeit, die hinter dem Schneewittchensein steckt: über die Erschöpfung hinweglächeln, mit vollem Einsatz der Unterhaltung verpflichtet, und dabei an mit piepsender Stimme gemachten Komplimenten und Unterwürfigkeit fast ersticken. Es ist unangenehm mitanzusehen, und es wird noch unangenehmer, wenn die Figuren anfangen, mit dem Publikum zu sprechen. Und der Blick sich verschiebt.

Der Moment der Ent-Synchronisierung ist unaufgeregt: Ein Schneewittchen rückt plötzlich von der Seite des anderen, um den Zuschauer_innenraum zu betreten, und daraufhin beginnt ein kümmerliches Gespräch. Wir sind kein sehr großzügiges Publikum. Nach ein paar Versuchen beantwortet ein Zuschauer endlich Ligtas‘ Frage, woraufhin dieser ausruft: „Sie können ja doch sprechen!“ An diesem Punkt entfernt sich die Disneyland-Prinzessin, deren Aufgabe immerwährende Unterhaltung ist, von dem 1937 entstandenen US-amerikanischen Zeichentrickfilm. Das Interagieren mit dem Publikum, das Lächeln, das Wahrwerdenlassen des Zaubers von Disneys Magic Kingdom – all das sind Mantras des Vergnügungsparks. Im Film musste Schneewittchen nichts weiter tun, als den sieben Zwergen den Haushalt zu führen und dafür zu sorgen, dass sie zur Arbeit gehen. Sie musste nie Autogramme geben oder für Selfies posieren. Das Miteinbeziehen des Nebenbei-Geplauders zweier Unterhaltungskünstler*innen auf Tagalog[1], während sie gleichzeitig mit dem Publikum sprechen, war einer der auffälligsten Brüche in Princess, wodurch das Konstrukt spürbar ins Wanken gebracht und die Performance aufgelockert wurde.

Die Unmöglichkeit des Prinzessinnen-Klischees, mit ihrer permanenten Hilflosigkeit und Rettungsbedürftigkeit, ihrer Redlichkeit und ihrem geradezu zwanghaften Kochen und Putzen, mit ihren „Lippen rot wie Blut“, ihrem „Haar schwarz wie Ebenholz“ und ihrer „Haut weiß wie Schnee“. Haut weiß wie Schnee.

Jocson und Ligtas bitten das Publikum später um Nachsicht („Es tut mir unendlich leid, ich wollte Sie nicht erschrecken. Aber Sie haben ja keine Ahnung, was ich durchgemacht habe! Ich schäme mich so für den Aufstand, den ich gemacht habe. Was tun Sie, wenn etwas schiefläuft?“), wobei sich die Entschuldigung mit der Zeit in eine Beschuldigung verwandelt.

Eine wirkliche Entschuldigung gibt es hier nicht. Der Körper der Prinzessin ist ein leeres Gefäß, das von Menschen gefüllt wird, die auf die Arbeit angewiesen sind. Das Märchenkonstrukt wird vom Schweiß und dem permanenten Lächeln des arbeitenden Körpers getragen, des arbeitenden body of color – eines body of color, der unaufhörlich arbeitet.

Wer mit Jocsons Arbeiten vertraut ist, kennt diese Thematik bereits. Sie ist eine Meisterin der Darstellung alltäglicher (Gefühls-)Zustände von Unterhaltungskünstler*innen, der sexualisierten, fetischisierten Schattenseite eines migrantischen Werdegangs, über die selten offen gesprochen wird, die aber unter der Oberfläche schlummert. Der Körper in diesem Fall, also der der Prinzessin, ist der familienfreundlichste, in den Jocson bisher geschlüpft ist: Die sexualisierte und künstlich geschaffene Rolle ist in zuckersüße Niedlichkeit verpackt und so angelegt, dass unter Dreizehnjährige ihr geradezu verfallen müssen.

Der body of color in diesem Sinn wird durch Schneewittchens häusliche Marginalisierung zum Ausdruck gebracht: Die „Prinzessin“ wurde ihres Ansehens beraubt, muss Böden schrubben und Kamine kehren, kochen und lächeln. Diese häusliche Dienstbarkeit spiegelt die Art von Migrationsverkehr wider, der von den Philippinen vorwiegend kommt: in Form von Haushaltshilfen, Servicepersonal, Kinderbetreuer*innen, Krankenpfleger*innen und Hospizbetreuer*innen. Braune Körper, die dafür sorgen sollen, dass andere es bequem haben. Diese Thematiken sind aus den wohlmeinend-abgedroschenen Sätzen herauszulesen, die Jocson und Ligtas das gesamte Stück hindurch von sich geben: „Warum bist du traurig? Hast du deine Eltern verloren?“

Obwohl Princess weniger „provokant“ ist als ihre anderen Stücke, ist es de facto Jocsons konfrontativste Arbeit. Sie liefert dem Publikum den Begriff des „Weißgesichts“ – ein abstrakter, geradezu absurder Kontrapunkt zu wesentlich weiter verbreiteten Phänomenen wie dem „Gelbgesicht“ oder dem „Schwarzgesicht“. Bisher nicht als weiß wahrgenommen, weil das Whitefacing zu vertraut und beinahe unsichtbar ist in seiner Allgegenwart. Es existiert in jedem kolonialen Komplex, der von ehemaligen Kolonien übernommen wurde, und manifestiert sich im Überangebot an hautaufhellenden Cremes und haarglättenden Produkten in den Supermarktregalen. Wir haben die Idee verinnerlicht, dass weiß gleichbedeutend ist mit schön, begehrenswert, erstrebenswert – der geweihte Körper mit Haut weiß wie Schnee.

Nicht in dieser Konstellation. Schneewittchen ist niemals weiß (die zweite Unmöglichkeit). Sie existiert nur in Disneyland.

 

[1] Die am weitesten verbreitete Sprache auf den Philippinen.

 

Stephanie Misa, geboren in Cebu City auf den Philippinen, ist Künstlerin, Kuratorin und Wissenschaftlerin. Sie lebt und arbeitet in Wien. Studium an der Akademie der bildenden Künste Wien, derzeit als Dissertantin an der Kunstuniversität in Helsinki tätig. In ihren Arbeiten beschäftigt sie sich konsequent mit komplexen und verschiedenartigen persönlichen und soziopolitischen Geschichten und nimmt mit ihren Videoarbeiten, Skulpturen, Installationen, Drucken, Texten und ihrer kuratorischen Tätigkeit auf diese Bezug. stephaniemisa.com

 

 

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