TQW Magazin
Andrea Marbach über Durst - Eine performative Oper über sechs Frequenzen von Linda Samaraweerová / Robert Jíša

Ich male mit Fingerspitzen Öl

 

Ich male mit Fingerspitzen Öl

Erster Teil: Nachkommen

Eindeutig, es ist ein zweideutiger Untertitel. Die Oper beginnt mit ungewöhnlichen Klängen und Geräuschen, alles ist dunkel und ich verstehe nicht, was die Figuren im Kreis sitzend und „Ha“ rufend tun. Endlich ein Satz, der mich berührt: „Ich male mit Fingerspitzen Öl zwischen deine Zehen.“

Die Gesichter der Darsteller*innen sind nun bemalt, durch helle und dunkle Striche geteilt, manche haben Ranken oder runde Flecken. Sie erinnern mich an Masken, im Sinne von interessanter und schöner wie auch weniger individuell. Sie gehen über den dunklen Boden, der mit hellen Flecken überzogen ist, und rufen laut: „Ha ha, wir laufen über brennende Kohlen, verbrennen uns das Herz. Ich kann dich nicht fassen, bin fassungslos!“

Diese doppeldeutigen Sprichwörter sind faszinierend.

 

Zweiter Teil: Grundlos

Es beginnt mit einem Gesang, der mich an die klassische Oper erinnert, so tief berührend, so tragisch, und ich verstehe den Text erst nach einiger Zeit: „Wir klauben unsere Einnahmen zusammen, horten Besitz, können nichts halten, bekommen nicht genug.“ Eine Frau lässt Sand durch ihre Finger rieseln, streicht ihn über ihre Arme und erinnert mich an das kindliche Vergnügen, im Sand am Meer zu sitzen.

 

Dritter Teil: Katzentau

Aus der Finsternis taucht eine Gestalt in einem glänzendem Mantel auf, steht langsam vom Boden auf, fast wie ein Vogel, eine Fledermaus, sich schüttelnd tanzend. Erst jetzt verstehe ich, dass das die Sequenz ist, die die einzelnen Szenen voneinander trennt. Die Bewegung wird von einem Geräusch begleitet, das an das Quietschen eines Rades erinnert. Ich fühle mich wie ein Kind, das zwar sieht, hört, Wörter versteht, aber nicht „begreift“, worum es „sich dreht“, und sich in der „Dunkelheit“ unsicher fühlt.

Der Blick der Kamera fällt auf ein gesticktes „Ich“, dann erst wird das Bildfeld größer, das „Ich“ ist Teil des Gewandes einer Frau, die singt. Auf dem Hemd des Mitsingenden ist ein Drachen. Auch die übrigen Gewänder wirken wie Bilder oder Graffiti. Die Hosen sind durch Knöpfe mit den Oberteilen verbunden und erinnern so an Pieter Bruegels Figuren, deren Gewandteile durch Schnüre aneinandergebunden sind. Zwei Skelette werden getragen: ein Katzenskelett auf dem Kopf, ein menschliches auf dem Rücken.

Der gesungene Text „Du hast mich morgens mit Nachtmilch gestillt, mittags mit Traumsand, du hast mich abends mit Trauer gefüttert. Am nächsten Tag war ich dir fremd, bin dem Nebel entstiegen und hab Tau aus dem Fell der Katzen getrunken“ erinnert mich an Paul Celans schwarze Milch der Frühe. Das Skelett wird hingelegt, die Frau kann nun ihre Arme bewegen, die Zunge wird herausgestreckt: „Ich habe Blut geleckt, ich bin der letzte Hund, der dich beißt.“

 

Pause, Dunkelheit, die Figur bleibt länger liegen, richtet sich nur ein wenig auf, zwitscherndes, knarrendes Geräusch: „Ich suche dich im Dunkeln, nimmermüd, meine Finger werden Wurzeln, ich werfe meinen Atem aus, ziehe dich an der Nabelschnur der Nacht.“

Eine sitzende Frau in blauer Dunkelheit mit offenem Haar nimmt einen Streifen dünnen Stoffs und beginnt, ihn zu essen. Das Licht flimmert über das helle Band, das nach oben zum Mund gezogen wird. „Komm zurück zu mir in mein Herz. Ich ziehe dich an der Nabelschnur aus dem Meer.“ Die Frau zieht das aufgegessene dünne Stoffband aus ihrem Mund, drückt es aus und legt es in die kleine Schale vor ihren Füßen. Erst durch die Untertitel verstehe ich den Text: „Ich bin Neuland, unbetreten, wohne in mir, leg dich zu mir in den Bauch der Nacht.“

 

Pause, zwitscherndes Geräusch, die Figur am Boden bewegt sich kaum, Drachensteigen.

Im Hintergrund grasen Kühe unter Windrädern. Die Landschaft als Ort der Milchproduktion und der Stromgewinnung, kein idyllisches Plätzchen für Vorbeikommende. Zwei Figuren sitzen hinter einer Stoffwand, wir sehen sie, fast wie bei Platons Gleichnis, nur als Schatten. Sie reichen sich ein kleines Tierskelett mit Grazie und Würde hin und her. Ist es eine Katze gewesen, oder ein kleiner Drache? Eine dritte Figur sitzt hinter der weißen Wand, ohne sich zu bewegen. Sie erinnert mich an außereuropäische Kulturen.

 

Letzter Teil: Fontanellen

„Wir legen einander die guten Worte in den Mund und in die Hände. Die Sprache der Augen, der Hände.“ Ein Lichtfleck erscheint im rechten Bildfeld des Videos, wird größer und bewegt sich tanzend. „Ende ist Anfang ist Rhythmus ist Wiederkehr.“ Unglaublich tragisch, dicht, verwirrend, entwirrend und genial, diese performative Oper in sechs Teilen.

 

Andrea Marbach ist in Salzburg geboren, in Oberösterreich aufgewachsen und lebt seit 33 Jahren in Wien.
Nach dem Studium der Kunst hat sie in Wien Kunstgeschichte studiert. Wenn sie nicht malt, arbeitet sie als Kunstvermittlerin im Kunsthistorischen Museum Wien.

 

 

 

 
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