TQW Magazin
Nicole Sabella über S_P_I_T_ Tag 2: Flávia Mudesto, Sunny Pfalzer mit Lau Lukkarila & Slim Soledad, natalie ananda assmann & Maximilian Prag, Dornika

Im Spiegel liest sich S_P_I_T_ wie _T_I_P_S. Ein persönlicher Streifzug durch einen Abend ohne Ratschläge, aber mit Budget

 

Im Spiegel liest sich S_P_I_T_ wie _T_I_P_S. Ein persönlicher Streifzug durch einen Abend ohne Ratschläge, aber mit Budget

Letztens war ich bei einem Austausch zwischen Künstler*innen/Aktivist*innen aus dem Umfeld queer*feministischer elektronischer DIY-Musikkollektive. Es ging um neue feministische Allianzen. Die Initiatorinnen waren auf der Durchreise, die meisten Anwesenden relativ frisch in Wien. Sehr schnell wurde über Geld gesprochen. Dazu eine Person: „In Wien höre ich selbst von aus Subkulturen stammenden Künstler*innen: ‚Schauen wir mal, ob wir die Förderung bekommen. Dann können wir gerne was zusammen machen.‘ Das kann schon mal sechs Monate und länger dauern. Wie sollen wir da spontan bleiben und widerständig auf politische Entwicklungen reagieren können?“

Aber der Reihe nach.

Der zweite Abend von S_P_I_T_ beginnt wie der erste: kulinarisch. Im Durchgang vor dem Eingang zu den TQW-Studios wartet das Buffet Eat Meat Politically von Flávia Mudesto. Ich liebe Gratisessen. Aber Pferdeleberkäse??? Oh, VEGAN … Schweiß-von-der Stirn-wisch-Emoji. Fleisch ist nicht mein Ding, ich brauche daher auch keinen Fleischersatz. Der verspiegelte Schaukasten von Ernst Caramelle  an der Wand wirft mir das S_P_I_T_-Logo als _T_I_P_S zurück. Zum Glück gibt es neben Geschnetzeltem auch Kaiserschmarren. Eine leckere Option, die ohne Ratschläge, also „tips“, auskommt. Denise wird uns später in ihrer kurzen Ansprache nahelegen, dem heutigen Geburtstagskind Mudesto beim Pausieren am Essensstand „tips“, also Trinkgeld, zukommen zu lassen. Zuvor moderiert Hyo Lee einen Artist Talk mit vier Festivalkünstler*innen in einer Sesselreihe vor der Publikumsbestuhlung.

Hyo Lee: „Welchen Raum willst du für dich und für das Publikum schaffen? Macht es für den Prozess einen Unterschied, ob dein Stück bei S_P_I_T_ oder woanders gezeigt wird?“
Helena Araújo: „Ich möchte Femme-Sein feiern, Femmes dazu bringen, mit mir zu arbeiten, sie empowern, sie sichtbar machen. Ich möchte hyperdramatisch, zu viel und eine Heulsuse sein.“
Theo Emil Krausz: „Bei S_P_I_T_ muss ich nichts erklären, es wird verstanden. Und das ist eine schöne Erfahrung.
Rebecca Merlic: „Es macht einen Unterschied, ob ich GLITCHBODIES in Tokio oder in Wien zeige. In Tokio sprang die Institution wieder ab, weil ich ihr zu radikal war. Ich mag es, eine ordinäre Architektin zu sein.“
Stella Myraf: „Mithilfe von Performance queere Räume zu schaffen oder zu erforschen ist für mich etwas sehr Persönliches. Es war besonders, das gestern mit einem Publikum teilen zu können. Es war wirklich bewegend. Ich bin immer noch überwältigt.“

Der liebevolle Austausch bestätigt die Bedeutung des Festivals sowohl für einen von Queers für Queers gestalteten sicheren Raum als auch für die Sichtbarmachung queerer Körper. Und doch bleibt die klassische Trennung in Podium und Publikum gewahrt.

Was sich in I know what to do von Sunny Pfalzer, einer Kollaboration mit Lau Lukkarila und Slim Soledad fortsetzt. Regenbedingt wurde die Performance flugs vom Außenraum ins Studio verlegt.

Die neue Ausgangskonstellation: Drei Personen lehnen lässig in drei der vielen Fenster. Die Kostüme: casual, Jeans mit dekonstruierten Karohemden, Schlapphut, Kopftuch und Bandana. Jeweils einen Arm bedeckt ein bis über den Ellbogen reichender Musketierhandschuh. Sweet & hot jenseits fixer Geschlechtsidentitäten.

Musik erklingt, Aufwärmübungen setzen ein. Das Trio wird im selben Rhythmus bleiben, sich ab und an zu einer Moment-Skulptur zusammenfügen, meistens aber das gleiche Bewegungsmaterial persönlich variieren. Drei Teenager, die sich in Spiegelposen werfen für ein real anwesendes Publikum:

Ich-ruf-dich-an-Choreo

Haarwurf-Choreo: nach rechts – nach oben – nach links – nach unten

Hey-Baby-Choreo

Durchs-Haar-streich-Choreo

Luftgitarre
Luftgeige
Luftkeyboard

Zwinker-Kussmund-Zwinker-Choreo

 Wie wäre es wohl draußen gewesen, wo das Publikum sich freier hätte bewegen können? Wäre es näher gekommen? Ausgewichen? Gegangen? Wäre der Flirt aufdringlicher ausgefallen? Nun also wieder ein in Stuhlreihen gezähmtes Publikum. Die Zusehenden wippen vereinzelt mit. Es gibt Gelächter. Fühlen wir uns alle ein wenig ertappt?

Kurz schweife ich zu meinem siebenjährigen Ich ab. Befrage mein Spiegelbild in der Doppelrolle der Moderator*in/Künstler*in auf Deutsch mit einem Akzent, den ich für Amerikanisch halte und durch das Kauen eines Kaugummis erzeuge: „Und, was willst du werden, wenn du groß bist?“ Antwort: „Sängerin, Tänzerin oder Schauspielerin.“ Performer*in würde ich es heute nennen. 27 lange Jahre sollte es dauern, zu dieser Gewissheit zurückzufinden. Ich glaube, mich als Teenager*in nicht mehr viel in Spiegelposen geübt zu haben. Vielleicht war ich zu sehr damit beschäftigt, im Westdeutschland des Kalten Krieges meinen in die kapitalistische „Freiheit“ geflüchteten tschechischen Eltern zuliebe als „deutsch“ und „bildungsbürgerlich“ durchzugehen, drei kleinere Geschwister mit großzuziehen, auf der Suche nach Zugehörigkeit unzählige Stunden ehrenamtlicher deutsch-tschechischer Jugendarbeit zu leisten, während ich die verbleibende Zeit im Dunkeln sitzend zu trauriger Musik (Doors-Revival! Grunge!) traurig war. Apropos traurige Musik: Die von Augend & Addend zusammengestellte Playlist des Abends bleibt für mich Hintergrundplätschern. Bis plötzlich die Zeile „Oh, this uncertainty is taking me over“ aus einem Portishead-Song an mein Ohr dringt und mein 90er-Jahre-Ich leicht wässrige Augen bekommt. Alsbald bekommen sie mit STAR of Xanax – a fairytale von natalie ananda assmann und Maximilian Prag eine performative Installation aus glitschigen digitalen Wulstlandschaften, löchrigen analogen Hautvorhängen, Salzanhäufungen und einer liegenden Gestalt (Performer DaDa JV) zu sehen.

„Hello, how do you feel? I feel so connected to you … I radiate sexual energy … I just go to sleep … dream until it’s all reality … My body heals automatically … I feel like I’m on clouds“, löst sich eine AI-artige Stimme aus sphärischen Klängen und virtueller Schwerelosigkeit heraus.

Die Gestalt mit blondem Pferdeschwanz im kurzen hautartigen Latexkleid beginnt mit Tanzbewegungen auf das Videogeschehen zu reagieren. In mehreren Überblendungen wird aus Fleischlandschaft Wald, davor erscheint ein neongrünäugiger gehörnter Avatar mit Krebsklauen, schleimigem pinkfarbenem Körper und unheilvollen Verheißungen: „I know that my government cares … My digital footprint is my holy sanctuary … The ego is the audience.“

Indes verbindet sich das humanoide Wesen im phygitalen Raum mit Materie, indem es sich mit einer pechartigen Masse beschmiert und die Bewegungen zu einsetzendem Technobeat und Strobo-Lichteffekten intensiviert. Zum Schluss versichert es seinem weißen Umriss auf der Leinwand, im ungewissen Hier und Jetzt bleiben zu wollen, und lässt Salz auf seine Beine rieseln. Das Publikum antwortet mit Riesenapplaus.

Auf dem Weg zum Konzert von Dornika behindern wir Putzarbeiten in Studio 2: Auf die Materialschlacht der Performanceinstallation folgt nun wieder Minimalismus. Studio 3 ist in bläulich-pinkfarbenes Licht getaucht. Dornika tritt auf, das maskenartige Make-up leuchtet im Schwarzlicht in bunten Neonfarben.

„This is not a drill. It is time to abort the patriarchy. All eyes on the revolution!“

Der Einstieg sitzt.

„My girls won’t stop won’t stop won’t stop no
My queers won’t stop won’t stop won’t stop“

Die Stimme: mit Hall unterlegt, aber klar.
Die Musik: poppig, soulig, rappig, tanzbar.
Die Message: politisch.
Nach jeder Nummer: tosender Beifall.

„Give it up for all the plus-size people!
It’s a journey and I’m still on it everyday.“

Plötzlich entschuldigt sich Dornika für die möglicherweise zu kitschigen Worte.

Kein Kitsch: Den Club als politischen Ort zu verstehen, in dem politische Statements nicht als Killjoy-Moment verstanden werden, war und ist dem Kurator*innenteam Denise Kottlett und Lisa Holzinger nicht erst seit ihrem queeren Clubperformance-Format Sisters ein Anliegen.

Gegen Ende fordert Dornika das Publikum zum Mittanzen auf. Auch hier gibt es statt inklusiver, beweglicher Sitzangebote wieder fixierte Stuhlreihen, die die sprichwörtliche Wiener Tanzfaulheit unterstützen. Ein paar wagen sich in den Randbereich der Bühne vor, die meisten machen folgsam ein paar Ölsardinenmoves vor ihren Stühlen. Niemand sitzt mehr, und doch tanzt keine*r aus der Reihe.

Ich stelle mir den Abend an einem selbstorganisierten Ort vor. Im Club. Wo die Vorgängerformate eine andere gemeinschaftliche Nähe zuließen.

Institutionelle Teilhabe, faire Bezahlung künstlerischer Arbeit oder Budgets, die material- und technikintensive Performances ermöglichen, sind notwendig, aber zweischneidig – bei wem kommen etwa die „fairen“ Honorare zurzeit wirklich an? Verstärken sie nicht ungewollt soziale Ungerechtigkeiten wie Klassismus oder Rassismus? Mehr Sichtbarkeit aller in der Institution: ja. In Wien braucht es aber auch mehr und vor allem mietfreie Räume für selbstorganisierte Kultur. Wir Künstler*innen werden alle älter und benötigen entsprechend mehr finanzielle und gesundheitliche Absicherung. Auch können oder wollen nicht alle weiter ein Nachtleben führen. Die Kämpfe aber müssen immer parallel geführt werden.

Dornikas Performance schafft es jedenfalls dann doch, ein Gefühl von Club entstehen zu lassen.

Vor der Zugabe skandieren alle zusammen: „Nobody fucking owns my body. Nobody, nobody, nobody!“ Funktioniert auch in Wien erstaunlich gut. Die Körper verlassen spürbar aufgelockert den von Nebel durchzogenen Raum in Richtung Sichtbarkeit.

Der Festivalanspruch erfüllt sich, der Kampf um selbstbestimmte Räume geht weiter.

 

Nicole Sabella ist Künstlerin, Kulturwissenschaftlerin und Kulturarbeiterin in Wien. Sie ist Teil verschiedener Kollektive, darunter HEATHERS production, Radio Ironie Orchester und Mz*Baltazar’s Laboratory.

 
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