TQW Magazin
über Hope Hunt & The Ascension into Lazarus

Indre Kirsaite im Gespräch mit Oona Doherty

 
Oona Doherty

Indre Kirsaite im Gespräch mit Oona Doherty

Der Vorplatz eines Theaters, eine Menschenmenge, etwas Chaos. Plötzlich ertönt laute Musik aus einem alten, roten Auto, das vorfährt. Der junge, männliche Fahrer steigt aus, öffnet den Kofferraum und eine kleine, gelenkige Performerin springt tanzend heraus. Ihre schrillen Bewegungen und ihr Street Style verleihen ihr ein männliches Auftreten. Ihr Name ist Oona Doherty, eine international mit Preisen ausgezeichnete Tänzerin, deren Performance „Hope Hunt & The Ascension into Lazarus“ das Leben von Männern aus unterprivilegierten Verhältnissen darstellt.

 

„Hope Hunt & The Ascension into Lazarus“ stellt Fragen nach sozialer Ungerechtigkeit und Geschlechterstereotypen. Wie siehst du unsere heutige gesellschaftliche Situation und welche Probleme ergeben sich aus ihr?

Ich habe mir vor allem junge Männer aus unterprivilegierten Verhältnissen angesehen. Die haben eine besondere Weise sich zu kleiden – der Trainingsanzug ist da so etwas wie eine Tracht. Sie leben normalerweise auch in einem bestimmten Gebäudetypus, in Sozialwohnungsbauten der 60er, 70er oder 80er Jahre. Noch heute kann man sie in vielen Ländern sehen. Auf kleinstem Raum versammeln sich da viele Menschen mit einer entsprechend hohen Arbeitslosigkeitsrate. All das führt dazu, dass sich gewisse Rhythmisierungen in die Körper einschreiben. Diese Jungs trinken literweise Softdrinks und ernähren sich meist ausschließlich von Fastfood – das führt zu beinahe schon neurotischen Körperbewegungen und Ausdrucksweisen. In Belfast habe ich mir zum Beispiel die körperlichen Angewohnheiten von diesen Jungs angesehen. Aber genauso bin ich nach Slowenien, Russland, Deutschland, Großbritannien und zu vielen anderen Orte gereist.

Was hat dich dazu bewegt geistliche Musik und das biblische Lazarus-Motiv für deine Performance zu verwenden? Gerade Lazarus, der nach vier Tagen im Grab von Jesus wieder zum Leben erweckt wurde…

Vielleicht hat das mit den politischen Problemen zu tun, die wir in Irland erleben. Und ich weiß zwar, wie das jetzt klingen mag, aber ich glaube, dass die Religion in gewisser Weise daran schuld ist. Die Politik teilt sich seit langer Zeit ein Bett mit der Religion. Das kommt daher, dass wir kein Geld hatten, aber die Kirche hatte welches. Und das hat alles nur noch komplizierter für Bildung, Politik und alles andere gemacht. Bestes Beispiel dafür ist gerade wieder die Volksabstimmung über das Abtreibungsgesetz. Das hat eine Menge mit Religion zu tun. Also glaube ich, dass Religion auf jeden Fall eine Rolle in meiner Performance spielen muss. Es geht auch um die Ikonen, Statuen und Heiligen, die man in Kirchen als verklärt und unerreichbar wahrnimmt – im Vergleich mit den Jungs auf der Straße. Die halten die Leute nicht für Götter. Ich denke da auch an ein wunderbares Buch der britischen Lyrikerin Kate Tempest, das ‚Brand New Ancients‘ heißt. Darin beschreibt sie die Warteschlange für das Arbeitslosengeld. Sie schreibt über die verschiedenen, wartendenden Charaktere und betrachtet sie, als wären sie griechische Götter – also habe ich mich auch von Literatur inspirieren lassen.

Geht es dir darum, die Zuschauer_innen zu provozieren, Gefühle auszulösen?

Sobald man das Auto, diese Musik und den Trainingsanzug wahrnimmt, löst dieses Gesamtbild schon etwas aus. Ich stelle hier nämlich Menschen dar, die sich eben nicht im Publikum befinden. Genau darum geht es.  Diese Leute gehen nicht auf Festivals für zeitgenössischen Tanz. Ich will aber nicht Kapital aus der Furcht vor diesem Stereotyp schlagen, ich will vielmehr das Klischee entlarven, um allen zu zeigen, dass es sich hier auch nur um Menschen handelt. Ich habe deswegen auch in einer ganzen Reihe von Gefängnissen und Jugendhaftanstalten in Irland performt. Und ich würde gerne auch mehr dahingehend machen wollen, aber es ist sehr kompliziert, solche Touren zu planen. Mir würde es jedenfalls mehr geben, als meine Arbeit einfach nur vor dem durchschnittlichen Kunstpublikum zu präsentieren. Ich will mich zwar überhaupt nicht beschweren, und ich bin sehr dankbar dafür es überhaupt vor so einem Publikum zeigen zu dürfen, aber irgendwie stimmt manchmal was nicht an der Art und Weise, wie sich die zwei Subkulturen in diesem Setting begegnen. Man läuft schnell Gefahr, dass einfach nur ein Hipster dem anderen zuschaut. Vor zwei Jahren, also ein halbes Jahr nachdem ich „Hope Hunt“ zum ersten Mal präsentiert habe, ist nämlich genau sowas passiert: die großen Firmen wie ‚Ellesse‘ und ‚Adidas‘ haben angefangen Kleidung zu verkaufen, die ganz nach Arbeiterklasse der Neunziger aussah. Damit hat sich die Aussage meines Stückes komplett verändert. Das heißt, ich weiß nicht, ob ‚Hope Hunt‘  vielleicht inzwischen tot ist. Es könnte sogar sein, dass ich einfach nur ein Hipster bin.

 

Dieser Text entstand im Rahmen einer Kooperation mit dem Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien (Dr. Olga Kolokytha).

 

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[1] criminalisation of abortion

[2] where you wait to get your social benefit money if you are unemployed.

 
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