TQW Magazin
Monica Titton über Wir sind Henkel von Jakob Lena Knebl und Markus Pires Mata

Inspired by Nature

 

Inspired by Nature

„My wife once taught a ceramics class at a downtown night school. The first night two rather well-dressed women came into the ceramics room and, when they saw piles of wet clay around, asked with horror, ‚You mean you have to do it with your hands?‘ When they were told that, yes, they did have to do it with their hands, they left and got their money back.“
Howard S. Becker, „Art Worlds“[1]

„Performativität wird nicht als der Akt verstanden, durch den ein Subjekt dem Existenz verschafft, was sie/er benennt, sondern vielmehr als jene ständig wiederholende Macht des Diskurses, diejenigen Phänomene hervorzubringen, welche sie reguliert und restringiert.“
Judith Butler, „Körper von Gewicht“[2]

„Der Körper des Bodybuilders gleicht einem Kunstwerk; die Wirkung eines berühmten Gemäldes kann ruiniert werden, wenn es unvorteilhaft zur Schau gestellt wird, wenn Rahmen, Beleuchtung und Hintergrund nicht dazu geeignet sind, es optimal zur Geltung zu bringen.“
Arnold Schwarzenegger, „Die große Bodybuilding-Bibel“[3]

 

Ein grauer, frostiger Wintertag. Seventies-Spacesynth-Klänge. Andächtig schreiten Ruth Anne Knebl und John Boy Pires Mata durch den Wald, ihr kennerhafter Blick schweift über die sie umgebende Natur, sie verständigen sich mit stummen, dramatischen Gesten. Die Stimme aus dem Off erklärt uns, dass es sich bei den beiden um „curators of West German seventies pottery“ handelt. Die Naturkulisse wird von Ruth Anne Knebl und John Boy Pires Mata als potenzieller Ausstellungsort inspiziert; Baumstämme, abgebrochene Äste und diverses Gehölz sollen als Displays für die von ihnen ausgewählten Objekte dienen, die ursprünglich von ebendieser Natur inspiriert wurden. Die bunt glasierten Vasen und Gefäße werden von den kundigen Kurator*innen behutsam und liebevoll an den Ort ihrer gestalterischen Genealogie zurückgeführt, um schließlich zu Lautsprechern und Echoräumen konvertiert zu werden, in die ein finales kuratorisches Sprechchorstatement rezitiert wird.

Das ist die Handlung des kurzen, dokumentarisch angelegten Films, der die Performance Wir sind Henkel von Jakob Lena Knebl und Markus Pires Mata eröffnet. Auf drei im Raum verteilten Plattformen posieren in changierenden Formationen fünf Bodybuilder*innen (Jekaterina Übelacker, Stefan Wottawa, Kevin Stütz, Katharina Stütz und Lara Tasharofi) zwischen den Bodenvasen, Krügen, Blumenvasen und Lampen. Knebl und Pires Mata zitieren einen Aufsatz von Georg Simmel („Der Henkel“, 1909), in dem der Henkel zum entscheidenden liminalen Element erklärt wird, das mit seiner Funktionalität die Grenzen zwischen Kunst und Design setzt … Die Performer*innen heben die Gefäße also an ihren Henkeln behutsam vom Boden, umschließen sie konzentriert mit ihren golden bemalten Händen und bauen die Objekte in ihre Wettkampfposen ein. Die Athlet*innen führen ihre angespannte Muskulatur vor, und die wuchtigen Keramikgefäße wirken auf einmal fragil und zerbrechlich.

Die faszinierende skulpturale Körperlichkeit und die beeindruckende performative Präsenz der Bodybuilder*innen wecken Neu- und Begierde, die Körper verschmelzen mit den Keramikobjekten zu einer Szenografie der Geschlechterkonstruktion. Ihre einstudierten, sich wiederholenden Posen erinnern an Judith Butlers Theorie der Performativität von Geschlecht; Butler schreibt in „Körper von Gewicht“, dass „es die regulierenden Normen des ‚biologischen Geschlechts‘ [sind], die in performativer Wirkungsweise die Materialität der Körper konstituieren und, spezifischer noch, das biologische Geschlecht des Körpers, die sexuelle Differenz im Dienste der Konsolidierung des heterosexuellen Imperativs materialisieren“[4]. Die Bodybuilder*innen werden hier also zu Chiffren eines genderqueeren Körperbegriffs, und die Praxis des bodybuilding kann im Sinne des building bodies als eine Subversionsstrategie heteronormativer Geschlechtertypologien gelesen werden. Die einstudierten Akte der Bodybuilder*innen werden mithilfe der passiven behenkelten Gefäße zu Komponenten einer transhumanen Rauminstallation, in der die künstlerische Qualität von Design bzw. die gestalterische Qualität von Kunst, aber auch die Künstlichkeit von Geschlechterrollen und ihren körperlichen Attributen neu infrage gestellt werden.

Zum Schluss bleibt die als befreiende Exklamation gestellte Frage: Wer oder was ist hier jetzt noch mal Kunst??

 

 

Monica Titton ist Soziologin, Modetheoretikerin und Kulturkritikerin. Sie lebt und arbeitet in Wien.

 

 

[1] Howard S. Becker, Art Worlds, Berkeley / Los Angeles / London 1992, S. 205.
[2] Judith Butler, Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts, Frankfurt am Main 1997, S. 22.
[3] Arnold Schwarzenegger / Bill Dobbins, Die große Bodybuilding-Bibel. Das Standardwerk ungekürzt und aktualisiert, E-Book, München 2019.
[4] Butler 1997 (wie Anm. 2).

 

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