TQW Magazin
Persson Perry Baumgartinger (…/…) über Seek Bromance von Samira Elogaz (he/him) unter Mitarbeit von Cade Moga (they/them)

Inszenierte Trans-Realness, oder: Drei Liebende, eine davon die Kamera

 

Inszenierte Trans-Realness, oder: Drei Liebende, eine davon die Kamera

In der fast vierstündigen Film-Live-Performance Seek Bromance begeben sich die zwei trans Protagonist_innen Cade Moga und Samira Elagoz zu Beginn der Covid-Pandemie in eine toxische Beziehung, in der sie einen Austausch über Trans, Männlichkeiten, Testosteron, ihre vormaligen high femme-Charaktere, Brustimplantate, Dildo-Stretching, digitale Passing-Versuche, die Beziehung zu Vätern u. v. m. vor der Kamera inszenieren. Im ichzentrierten Stil à la Instagram sehen wir Interviews, Selfie-Handy-Videos, Tanzsequenzen, als Grenzerfahrung geframte Grenzüberschreitungen, eher monologe Dialoge im Zoom-Stil, gedämpfte Streitereien on und kurzes, lautes Streiten off camera, diachrone, parallel geschnittene Videotagebücher … inszenierte Intimität mit dem Ziel, eine (vermeintliche?) Liebesbeziehung und transmännliche Erfahrung zu dokumentieren.

Die Tempi und Blickwinkel wechseln: von schnell geschnittenen Autofahrten mit lauter Musik auf mehrspurigen US-amerikanischen Straßen, in denen die zwei gemeinsam vor der Kamera zu sehen sind; zu exzessiven Einzelperformances ein* der beiden vor der Kamera, mit Anweisung der jeweils anderen Person hinter der Kamera; zu langsam geschnittenen zoom-artigen Gesprächen mit vielen Pausen; zu vlog-artigen Aufnahmen der beiden Künstler_innen allein mit Botschaften an die andere Person; zur Anwesenheit nur eines Künstlers bei der Live-Performance. Die Kamera scheint das Wichtigste zu sein, um ihre Aufmerksamkeit buhlen die beiden immer wieder – Selbst-/Inszenierung als das Zentrum der Performance. Die Aussage von Moga am Anfang: „Eine Beziehung zwischen drei Liebenden, eine davon die Kamera“, scheint insofern sehr passend.

Während der knapp vier Stunden Filmvorführung sitzt Elagoz auf der Bühne, stoppt den Film hin und wieder und erzählt uns seine Interpretation der Erlebnisse.

Der Kontakt des finnisch-ägyptischen Performers Elagoz und d* brasilianisch* Künstler_in Cade Moga beginnt vor dem ersten Dreh auf Facebook. Moga kontaktiert Elagoz über seinen männlichen Avatar namens Aris. Später fragt Elagoz Moga für ein gefilmtes Treffen an. Gerade als sie das Projekt starten wollen, greifen die pandemiebedingten Reiseeinschränkungen auch für Halter_innen von europäischen Pässen – Elagoz und Moga entscheiden, sich bei Moga in L. A. zu treffen und die vermeintlich kurze Lockdown-Zeit gemeinsam zu verbringen. Der Schock des unbekannten Ausnahmezustands Pandemie steht den beiden anfangs ins Gesicht geschrieben, kurz darauf sehen wir Szenen von Stille, Langeweile, kurzen Gesprächen, Wohnung-Video-Sporteinheiten, Essenbestellen … wohlständige zweisame Einsamkeit in vier Wänden, unterbrochen von Autofahrten auf mehr oder weniger leeren mehrspurigen Straßen mit lauter Musik. In diesem Ausnahmezustand, in dem Moga über deren Transmännlichsein ausgefragt wird, beginnt Elagoz mit Testosteron zu experimentieren – unter „Supervision“ d* testo-erfahreneren Moga. Die filmisch dokumentierte Transition beginnt, oder zumindest der Anfang einer hormonell induzierten Transition – inklusive der klassischen trans Stimmtest- und Foto-Timelines mit „soundsoviele Monate auf Testosteron“-Labels, mit denen das Internet bereits gut gefüllt ist. Auf die Frage von Moga, warum er das Testosteron ausprobieren will, hat Elagoz keine Antwort. Später meint er, dass er schon immer transmännlich sein wollte. In der Live-Performance erklärt er: „Ich habe zuvor keinen trans Mann gesehen, der, wie ich, eine hyperfeminine Vergangenheit hatte.“ Der Kampf, aus seiner bürgerlichen Cis-Weiblichkeit auszusteigen, scheint eröffnet und wird hart inszeniert: experimentelle Selbstmedikation, autodidaktische Blutabnahme im Close-up, Trinken des Blutes der anderen Person, ebenfalls im Close-up, Abarbeiten an der bisherigen high femme-Performance, Trippen in der Wüste, verschiedenste sexualisierte Annäherungsversuche, Gespräche über ihre Rollen in der Beziehung und im Sex etc. Wir sehen Bilder von schockierenden Grenzüberschreitungen, die an Horrortrips oder Splatter-Movies erinnern. Eine Inszenierung, die einen alten Mythos von trans Personen als „verrückten Hormonmonstern“ hervorruft – ohne die wütende, selbstbestimmte Aneignung von Susan Strykers „My Words to Victor Frankenstein above the Village of Chamounix“ oder die gesellschaftspolitische Kontextualisierung von Paul B. Preciados Testo Junkie. Trans wird vor allem auf der Bildebene wie ein klarer Weg von Frau zu Mann und von hyper femme zu (trans) männlich dargestellt. Auch wenn von einem offenen und nichtlinearen Prozess gesprochen wird, muss das Testosteron für klassisch-binäre Projektionen von Cis-Männlichkeit herhalten und wird als sinnbildlich für Transition dargestellt. Ein weiterer, medizinisch geprägter Trans-Mythos, eine Transition beginne mit der Einnahme „gegengeschlechtlicher“ Hormone statt mit alltäglicheren Mitteln wie Kleidung, Änderung des Vornamens oder der Pronomen etc. Die ersten Monate mit der Spritze werden dargestellt „als substanzbeflügeltes Wunderland, ein Spektakel des Körpers, das es auszuschlachten gilt, noch bevor mensch selbst die Tragweite der eigenen Transition erfassen kann“, wie Frederik Müller im Missy Magazine (04/2022) treffend formuliert.

„Dich selbst zu performen ist einfacher, als du selbst zu sein“, wird Elagoz bei der Veranstaltungsankündigung zitiert, und dieser Satz scheint Programm für die gesamte Performance zu sein. Denn die Selbstinszenierung steht so sehr im Zentrum, dass ein Privatwerden nicht möglich scheint, obwohl oder gerade weil ständig Privatheit und Authentizität vermittelt werden sollen. So betont Elagoz in einem weiteren Zitat der Veranstaltungsankündigung, er wolle eine „echte [trans] Geschichte“ erzählen, und grenzt sich damit von anderen Trans-Erzählungen ab. Interessanterweise erfahren wir ausgerechnet von Elagoz, der ja schlussendlich zum Hauptprotagonisten wird, in den Gesprächen eigentlich sehr wenig. Er hält sich in den Filmaufnahmen und in der Live-Performance zurück. Moga vermutet in der Videobotschaft einige Monate nach der Trennung: „Du wolltest T wegen mir oder weil es eine gute Geschichte war.“

Auch wenn Moga anfangs von „einer Beziehung zwischen drei Liebenden“ spricht, ist bis zum Schluss nicht klar, inwiefern es sich um Liebende handelt und ob der Film konsensuell produziert wurde. Moga scheint sich von Szene zu Szene immer unwohler zu fühlen, vor allem bei der Videobotschaft einige Zeit nach dem inszenierten Dreh. Elagoz erklärt vor Ort, Moga habe den Film nicht mehr finalisieren wollen und ihm freie Hand gegeben. Ein fahler Beigeschmack bleibt. Auch weil Moga von Elagoz vor Ort durchgehend mit „er“ angesprochen wird, obwohl im Abspann um den respektvollen Gebrauch von Pronomina gebeten und Mogas Pronomen als they/them angegeben wird.

Der Film endet mit einer Videobotschaft von Moga an Elagoz, die Elagoz – mittlerweile in Berlin – immer wieder unterbricht und ebenfalls im Stil einer Videobotschaft kommentiert. Die Performance endet mit einer Verneigung und Applaus. Seek Bromance ist eine sehr persönlich inszenierte, unpolitische, „in your face“ Trans-Geschichte, eine von vielen, vielen Arten und Weisen, Transitionen zu repräsentieren – die eine, echte gibt es nicht.

Zurück bleiben Fragen. U. a. darüber, warum eine gesellschaftspolitische Kontextualisierung der ersten Testo-Erfahrung auch in der Nachbereitung ausgeklammert wird. Oder darüber, warum eine kulturelle Kontextualisierung zu Transcestors, zu Trans-Präsentationen auf YouTube und Social Media, zu trans und queerer Kunst- und Kulturproduktion, zu Filmen, Literatur, aber auch zu queeren und trans Räumen fehlt. Und darüber, warum eine so intransparente, ichzentrierte und doch eher klassischen Trans-Narrativen folgende Inszenierung diesen positiven, institutionalisierten Widerhall hat. Was sagt das über das Bild von Trans und trans Menschen im derzeitigen Kulturbereich aus?

Und die Fragen werfen einmal mehr den Wunsch auf, dass der Kunst- und Kulturbereich Trans-Produktionen bzw. Kunst von trans Personen viel mehr Raum gibt. Raum für viele, für unterschiedliche und für differenzierte Performances zu Trans und von trans Künstler_innen. Damit nicht ein einzelnes Stück für die Repräsentation heterogener trans Communitys und Zugänge herhalten muss bzw. medial dafür hergenommen wird.

 

Persson Perry Baumgartinger. Trans—Arts & Cultural Production. Forschen, Vermitteln, Beraten und Kuratieren. Angewandte Sprachwissenschaft, Sozialgeschichte, Wissenschaft & Kunst, Kulturproduktion. Lehre, Vorträge, Trainings und Prozessbegleitung zu Trans_Inter*Queer, Sprache & Kommunikation, Kritisches Diversity, Trans—Arts & Cultural Production in den Fachbereichen Zeitgenössische Kunst und Kulturproduktion, Geschlechterforschung, Soziale Arbeit, Soziologie bei diversen Hochschulen, NGOs und Kunsteinrichtungen wie Kunsthochschule Kassel (Johanna Schaffer), Akademie der Bildenden Künste Wien (Ashley Scheirl), Kunsthalle Wien, Schwules Museum* Berlin, Initiative Minderheiten, Brunnenpassge, Wienwoche. Diverse aktivistische und künstlerische Forschung und Veranstaltungen zu Trans, Anti/Diskriminierung u.v.m. im Rahmen des kollektiv.institut.büro diskursiv und des kritischen Lexikonprojekts queeropedia.

 
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