News
„Ich hoffe, dass ich unerklärliche Dinge zustande bringen kann“

Florentina Holzinger im Interview

 

Florentina Holzinger im Interview

Florentina Holzinger über Apnoetauchen, die Schwierigkeit, in Theatern riesige Pools aufzustellen, den Spaß daran, betrunkene Matrosen zu spielen, popkulturelle Referenzen und warum sie demnächst eine Nonnenoper inszenieren wird.
Florentina, wie ist es dir beim Apnoetauchen ergangen?

Florentina Holzinger: Wir haben für Ophelia’s Got Talent statische Apnoe trainiert. Ich habe einen niedrigen Blutdruck, deshalb ist es mir von Anfang an leichtgefallen, mich zu entspannen und das System runterzufahren.

Man würde annehmen, du wärst der energetische Typ.

Ich bin ein Kaffeejunkie, sonst würde ich ewig nicht aus dem Bett kommen. Weil ich relativ gechillt bin, werde ich aber auch keine Burnout-Patientin – hoffe ich zumindest.

Wie ist die Idee entstanden, eine Show zum Thema Wasser zu machen?

Das stand seit 20 Jahren auf meiner To-do-Liste, obwohl Wasser der Albtraum jedes Theaters ist. Technik und Wasser vertragen sich nicht, das Gewicht von Wasser ist immens. Der erste Schritt war, das Element rein körperlich zu erforschen, uns mit Tauchen, Schwimmen, Apnoe auseinanderzusetzen. Wahrscheinlich lag es an der Berliner Volksbühne, einem der bekanntesten deutschen Sprechtheater, dass ich Lust darauf hatte, mich dezidiert mit Goethe, Schiller und der Romantik auseinanderzusetzen, die sich ja obsessiv Halb- und Fabelwesen wie Melusinen und Undinen widmeten. Unser Ansatz war, was es heute bedeuten würde, wenn man dieses Ophelia-Sein im Rahmen einer Casting- oder Talenteshow trainiert. Kann man Dinge wie das Ertrinken üben?

In einer Szene spielst du Ophelia im Wasser. Aber du kannst und willst nicht ruhig sterben.

Die ersten Fragen die wir uns stellten, waren: Warum ist sie nicht einfach geschwommen? Warum hat sie als Tote so glücklich ausgesehen? Shakespeares Ophelia ist eine Figur, die in der Kunstgeschichte unglaublich präsent ist. Die schönste Darstellung der Frau ist die einer Toten. Vieles in der Romantik wirkt auf den ersten Blick lieblich, ist aber blutrünstig. Zugleich hat das Meerjungfrauen-Narrativ aber auch einen gewissen Camp-Aspekt, der mich interessiert hat.

Wie schwierig war es, diese riesigen Pools aufzustellen?

Die Volksbühnen-Probebühne war nicht dafür geeignet. Wir haben am Stadtrand von Berlin eine industrielle Halle gemietet, bei der wir sicher sein konnten, dass der Boden die Last trägt. In der wir herumspritzen durften, ohne ein Desaster anzurichten. Wir konnten auf keine Expertise zurückgreifen. Es war eine lange Trial-and-Error-Phase, jeden Tag hat irgendetwas nicht funktioniert: Es gab ein Leck, oder der Chlorstand kippte und das Wasser war plötzlich grün. Wir wussten, die Volksbühne hat ein Becken, das man wie eine Badewanne einlassen kann. In Stadttheater-Inszenierungen kommt ja oft ein Teich vor. Schauspieler*innen stehen gern bis zu den Knien im Wasser, wenn sie sprechen. Aber wir wollten tauchen.

In Ophelia’s Got Talent treffen sehr unterschiedliche Rollenbilder aufeinander: Frauen sind am schönsten im Tod, Matrosen und Piraten erleben Abenteuer. Wolltest du als Kind auch zur See fahren?

Wir sind definitiv eine Gruppe von Leuten, die Piratenfilme lieben und vom Meer fasziniert sind. Es steht ständig auf unserer Urlaubsliste, länger auf See zu sein. Oder eine Atlantiküberquerung mit dem Ruderboot zu machen. Das sind lustige Archetypen, zu denen es viele filmische Einflüsse gibt. Beim Licht für die Matrosen-Gruppentanzszene haben wir uns vom Fassbinder-Film Querelle inspirieren lassen. Der war auf unserem Moodboard, ich mochte diese theatralische, sehr artifizielle Ausleuchtung.

Für diese Szene stand der Musicalfilm On the Town von 1949 Pate. Männer, die in den Krieg ziehen müssen, lassen darin vorher in New York noch einmal die Sau raus: Saufen, Schlägereien und Sex.

Das ist mit aller kritischen Distanz unsere Lieblingsszene. Jede*r spielt gern einen besoffenen Macho. Es ist eine ironische Überzeichnung von Männlichkeitsstereotypen, aber gleichzeitig auch eine Aneignung und Selbstermächtigung. Bisher verkörperte immer Annina Machaz toxic masculinity, angefangen beim Cowboy in Apollon. Alle anderen waren neidisch, dass sie immer die Arschlöcher spielen durfte. In dieser Show können wir alle so sein. Das ist unser Musical-Moment.

Es gibt auch eine schräge, düstere Version eines Helene-Fischer-Hits. Wie kommt die Musikauswahl eigentlich zustande?

Oft über die Darsteller*innen selbst. Zora Schemm vom RambaZamba Theater, die in der ersten Szene Teil der Talenteshow ist, steht voll auf Schlager. Sie ist sofort mit Udo Jürgens und Helene Fischer gekommen. Zum Geburtstag hat sie sich nur Merch von Helene Fischer gewünscht. Deshalb versuchen wir ja auch, dass sie ihr Idol einmal treffen kann.

Bei der Premiere an der Volksbühne waren viele Promis im Publikum, von der Sängerin Peaches bis zur Regisseurin Schauspielerin Maria Schrader. Lernst du die dann auch kennen?

Manchmal kleben wir schon einen Fan-Letter unter den Sessel. Cate Blanchett hätte kommen sollen, als sie in Berlin Tár gedreht hat. Da haben wir geschrieben: „We are big fans of you. Can you come to the dressing room after the show?“ Leider waren die Dreharbeiten zu stressig, sie hat es dann doch nicht in die Volksbühne geschafft. Aber es ist nice, dass man im Bewusstsein von solchen Leuten überhaupt präsent ist.

In einer Szene haben die Darsteller*innen Sex mit einem Hubschrauber – ein Verweis auf den Film Titane, in dem die Hauptdarsteller*in ein Kind mit einem Auto zeugt. Ist dir wichtig, dass diese Popkulturzitate vom Publikum dechiffriert werden?

Wenn Leute über den Film reden, dann vor allem über diesen Teil – auch bei Ophelia’s Got Talent wird vor allem diese Hubschrauberszene in den sozialen Medien gepostet. Ich glaube aber nicht, dass es notwendig ist, das zu wissen. Autos waren schon vor Titane in meiner Arbeit sehr präsent. Der Ausgangspunkt war, dass die Performerin Saioa Alvarez Ruiz den Wunsch hatte, das Thema Schwangerschaft zu bearbeiten. Wir mussten also überlegen, wie wir darstellen, dass sie möglichst schnell schwanger wird, und da fiel die Wahl auf den Helikopter.

Es gibt viele persönliche Textstellen, du erzählst etwa von deiner Magersucht als Teenager. Sind diese Geschichten echt oder erfunden?

Wir spielen ja oft damit, dass man nicht weiß, was stimmt und was nicht. Aber mir die Story meiner Magersucht auszudenken, das hätte ich zu wenig dramatisch gefunden. Es trifft doch auf 90 Prozent der Frauen zu, dass sie Probleme mit ihrem Körperbild haben. Mir ging es darum, herauszufinden, wie diese alten, romantischen Rollenbilder und Erfahrungen nach wie vor unser Leben prägen. Ich wollte sie in persönlichen Erfahrungsberichten verorten. Dass jemand die Leda spielt, entstand aus der Geschichte einer Vergewaltigung, über die eine Darstellerin im Probenprozess erzählte.

Du arbeitest zum ersten Mal mit Kindern auf der Bühne. Fühlst du dich selbst zu alt, um über die Zukunft zu reden?

Es ging bisher eher in die andere Richtung, ich habe mit älteren Tänzer*innen zusammengearbeitet. Mittlerweile gehöre ich selbst einer älteren Generation an und hatte Lust, mich auf diesen Austausch einzulassen, gerade wenn es um Fragen des Klimawandels geht. Die Kinder sind da, um die Zukunft zu repräsentieren. Natürlich war es eine enorme Herausforderung.

Wie habt ihr den Kindern erklärt, worum es geht?

Für uns war klar, dass wir unsere Arbeit nicht zensieren wollen, nur weil Kinder mitwirken. Wir wollten aber auch nicht, dass sie ahnungslos nur für eine Szene auf die Bühne kommen. Die Kinder sollten wissen, wovon sie ein Teil sind. Wie redet man über eine Vergewaltigung mit ihnen? Ich war da angewiesen auf Expert*innen, denen ich vertrauen konnte, die ihnen auf adäquate Art und Weise alles erklärt haben. Das war ein cooler Lernprozess für uns alle. Mir war aber auch wichtig, dass es ihnen Spaß macht, auf der Bühne zu stehen. Die Idee zum Ed-Sheeran-Song stammt übrigens von den Kids.

Dein nächstes Projekt ist eine Oper, die auch bei den Wiener Festwochen 2024 zu sehen sein wird. Worum geht es da?

Ich wollte keine berühmte Oper wie Don Giovanni inszenieren, an der man musikalisch kaum etwas verändern kann. Bei einer früheren Recherche bin ich schon einmal über Nonnenopern gestolpert. Von Paul Hindemith gibt es Sancta Susanna, eine 25-Minuten-Oper, deren Handlung komplett banal ist: Es geht um sexuell besessene Nonnen, also voll das Klischee. Aber es ist ähnlich wie bei den Matrosen: Wer spielt nicht gern eine Nonne? Wir inszenieren eine Art Messe, arbeiten mit Noise-Leuten, um durch das Aufeinanderprallen der beiden Musikwelten eine göttliche Erfahrung zu ermöglichen. Ich war auch in Las Vegas, habe mir David-Copperfield-Zaubershows reingezogen. Ich hoffe, dass ich unerklärliche Dinge zustande bringen kann.

 
Loading