TQW Magazin
Walter Seidl über Borderlines und Permanent Collection von Manuel Pelmuş

Körper als Erinnerungsmoment

 

Körper als Erinnerungsmoment

Manuel Pelmuş gehört zu jener Generation von Künstler*innen, die in ihrem Werk Performance und bildende Kunst miteinander verschränken und genreübergreifende Möglichkeiten der Repräsentation ausloten. Ursprünglich wurde der in Rumänien geborene Künstler als Tänzer und Choreograf ausgebildet. In den letzten Jahren setzte er sich jedoch vermehrt mit Fragen der Performance im Kontext zeitgenössischer Kunst auseinander. Sein ständiges Neudenken von performativen Strategien macht Pelmuş zu einem Vertreter des „new performance turn“. Während im „geographic turn“ der 1960er-Jahre bildende Künstler*innen wie Allan Kaprow, Robert Morris oder Carolee Schneemann an unterschiedlichen Orten unter Einsatz ihres Körpers agierten, fokussiert der „new perfomance turn“ seit Mitte der 1990er-Jahre auf die Eingliederung von Momenten des zeitgenössischen Tanzes ins Museum. Anlässlich des 20-jährigen Bestehens des Tanzquartier Wien arbeitete Pelmuş an zwei Interventionen, der Performance-Lecture Borderlines und dem Enactment von Permanent Collection in der Kunsthalle Wien. Dabei steht der Körper im Zentrum der Debatte über Erinnerung und Geschichte, der sich der Künstler mit unterschiedlichen Wahrnehmungsmodellen nähert.

In der gegenwärtigen Ausstellungspraxis ist der „White Cube“ seit Mitte des 20. Jahrhunderts als ideale Präsentationsform für zeitgenössische Kunst etabliert, der von Künstler*innen und Kurator*innen jedoch zunehmend konterkariert wird. Pelmuş’ Performance-Lecture etwa fand komplett im Dunkeln statt. Nur zu Beginn war ein leeres Pult mit Minilampe zu sehen, dann ging das Licht aus und erst am Schluss wieder an. Der Künstler betrat im Dunkeln die Bühne, um vom Pult aus zu lesen, zu hören waren seine Schritte beim Betreten und Verlassen der Bühne. Eine Dreiviertelstunde lang las er Passagen aus einem autobiografischen Text, der sich mit den Grenzen des Körpers, sowohl physisch als auch hinsichtlich der Fortbewegung über Ländergrenzen hinweg, auseinandersetzt. In den 1990er-Jahren galt es für den Rumänen zunächst, in den Schengen-Raum zu gelangen, zuerst in die Niederlande und dann aufgrund mehrerer Engagements nach Berlin, Paris, Düsseldorf oder Wien. Mit dem EU-Beitritt Rumäniens 2007 wurde die Visumpflicht aufgehoben, wodurch sich ein neues Körpergefühl auftat, das zwischen Leere und dem Aufbruch ins Neue oszillierte und Pelmuş als Thema für sich, aber auch in Bezug auf Rumäniens Vergangenheit aufgriff. Als Inspiration zu Borderlines dienten ihm eine Produktion des kongolesischen Choreografen Faustin Linyekula, bei der Tänzer*innen aus Afrika im Dunkeln performen, sowie Martin Creeds Arbeit Work No. 227, bei der das Licht im Galerieraum an- und ausgeht und für die dem Künstler 2001 der Turner Prize zugesprochen wurde. Während für Pelmuş die osteuropäische Identität allmählich an Bedeutung verlor, war es die Begegnung mit einem iranischstämmigen Schweden, die ihn über körperliche Erfahrung und Formen des „Othering“ nachdenken ließ. Dieser musste in den 1980er-Jahren als illegaler Immigrant auf den Erteilung der Aufenthaltsberechtigung warten und wurde zudem Opfer eines Schussattentats, verübt von einem xenophoben Serienkiller. Das Nachdenken über Körper, Schmerz und Formen psychischer Wahrnehmung steht im Zentrum der Auseinandersetzung von Pelmuş’ „Grenzüberschreitungen“.

In der Kunsthalle Wien setzte sich der Künstler mit Arbeiten internationaler Künstler*innen auseinander, die Teil einer Museumssammlung bilden könnten. In den Foyerräumlichkeiten stellten Performer*innen mehr als 30 Kunstwerke von VALIE EXPORT, Carl Andre, Geta Brătescu u. a. nach und aktivierten diese mit ihren Bewegungen und Posen. Diese performative Geste hatte der Künstler erstmals bei der Biennale in Venedig 2013 gemeinsam mit Alexandra Pirici erprobt: Performer*innen hatten im leeren Pavillon von Rumänien über 100 Kunstwerke aus der Geschichte der Biennale nachgestellt. Dadurch schufen sie eine performative Kunstgeschichte, die Pelmuş über die Jahre erweiterte und nun erneut ins Spiel bringt, indem er die Geschichte der Kunst mit jener über Körperdiskurse und ihrer aktuellen Gültigkeit verknüpft.

 

Walter Seidl lebt in Wien und arbeitet als Kurator, Autor und Künstler. Kuratierung von Ausstellungsprojekten in Europa, den USA und Japan. Zahlreiche Essays für Künstler*innenmonografien und Beiträge in internationalen Kunstzeitschriften.

 
Loading