TQW Magazin
Thomas Edlinger über lost in freaky evolution_L.I.F.E. von Liquid Loft

KONNEX TRENNUNG

 

KONNEX TRENNUNG

Am Rechner, wieder einmal. Musik läuft. Nobody here heißt das geisterhafte Stück von Oneohtrix Point Never. Es lässt ein Sample aus dem alten Chris-de-Burgh-Schmachtfetzen Lady in Red in Dauerschleife laufen. Das Video dazu zeigt die Fahrt auf einer digital billig animierten Straße, die auf ein simuliertes Stadtzentrum zuläuft und sich alle paar Sekunden neu zentriert. Auf der Road to Nowhere, das wussten schon die Talking Heads, kommt man nie ans Ziel. Das Mikrogenre, dem solche Musik zugerechnet wird, nennt sich Vaporwave. Es ist ein Geschöpf des Internets – eine psychedelisch orientierte Musik, die popkulturelle Erinnerungsfetzen fetischistisch auflädt, mit extremen Zeitdehnungen arbeitet und damit auch bizarren Verfremdungsreizen den Boden bereitet: So werden etwa Songs von Radiohead oder Lady Gaga um 800 bis 1.600 Prozent verlangsamt und anschließend als Ambient-Readymades ins Netz gestellt.

Auch in Liquid Lofts neuer Bühnenkreation lost in freaky evolution_L.I.F.E., dem zweiten Teil des fortlaufenden L.I.F.E.-Zyklus, weiß das auf fünf Personen abgespeckte Ensemble nicht wirklich, wohin die Reise geht. Aus dem Gemurmel, das auf den weitgehend ungefilterten Aufzeichnungen von Probengesprächen und Internetfunden von Selbstdarsteller*innen basiert (und wie meist bei Liquid Loft von den Performer*innen auf der Bühne lippensynchronisiert wird), schält sich ein Satz heraus: „He went to places he has never been to before.“

Dort, wo man noch nie war, glitzern die Oberkörperoutfits im Retro-Glam-Stil. Das Licht leuchtet weiß, rot, blau und grün auf eine Bühne, die nach und nach bevölkert wird. Die beiden in stumpfem Winkel zueinander ausgerichteten Projektionswände werden mit Live-Bildern von zwei mobilen Minikameras gespeist, die ihr visuelles Material aus dem Spiel des Ensembles mit den davor in immer neue Stellungen gebrachten PVC-Spiegelfolien gewinnen. Mithilfe der technischen Transformation entstehen so visuell wandelbare Konstellationen jenseits naturalistischer Repräsentationen. Gleichzeitig bekunden reale Körper in Verrenkungen und anderen Nöten ihre „natürliche“ Grundlage, eine unter digitalen Bedingungen prekär gewordene Präsenz. Nur weil es Medien gibt, die zaubern können, gibt es diese eigentümliche Erfahrung von freigestellter und für den Blick des Publikums nachvollziehbarer Verfremdung. Die künstlerische Intelligenz der technisch simplen und von Liquid Loft in den jüngsten Stücken doch so raffiniert eingesetzten Kombination von Kamerabildern und Spiegelfolien schafft imaginäre Bilder, die sich vor dem Erfindungsreichtum künstlicher Intelligenz nicht verstecken muss.

In diesem Setting finden und verlieren sich Körper, die ins Nichts greifen, die Leere umarmen und einen Paartanz ohne Gegenüber andeuten. Die existenzielle Verlorenheit der Gesten, der Mangel an Responsivität, also an befriedigenden Antwortmöglichkeiten und gelingenden Weltbezügen, grundiert lost in freaky evolution_ – selbst wenn choreografisch immer wieder brüchige Beziehungen zwischen den einzelnen Performer*innen gestiftet werden. Ein Wirbel, ein Strudel, der manchmal eine erratische Sogkraft zu entwickeln scheint – ähnlich wie in Science-Fiction-Filmen, die den Blick auf die Finsternis und Schwerelosigkeit des Weltalls im Rücken der taumelnden Protagonist*innen lenken. Das Stück geht von der zunehmenden Präsenz eines Phänomens aus, das Roberto Simanowski die Alltagsdominanz der „Smombies“ (oder in der Langform „Smartphone-Zombies“) nennt. Diese Smombies sind wir selbst: Wesen, die nicht mehr zwischen Körper und Technologie, Bewusstsein und Netzwerk unterscheiden wollen, können oder müssen. Wir alle sind Influencer*innen oder Influencer-Beobachter*innen, die in einem endlosen Jetzt der Netzwerkteilhabe leben und die differenzierte Raumwahrnehmung verlieren, weil alles gleich weit weg erscheint – alles nur einen Link, einen Post, eine Google-Suche entfernt.

Liquid Loft gestaltet diesen Bedeutungsverlust analoger Raum- und Zeiterfahrungen als ambivalenten Zustand, in dem sich der „Inforg“, der informationelle Organismus, jenseits von Affirmation, aber auch jenseits von Kritik an den Verhältnissen zu bewegen scheint. Die Geschwätzigkeit der „Däumlinge“ des Internets (Michel Serres) bekommt genauso ihren Auftritt wie über den Kopf gestülpte Spiegelfolien, die dem Daten-Ich Flügel verleihen könnten, oder Projektionen einsamer Köpfe, die von ihren Körpern getrennt erscheinen. In den sich stetig wandelnden, teils traumwandlerischen Szenen entstehen Räume, die illusionär und desillusionierend zugleich wirken, in denen die Banalität von Fragen wie „Are you recording?“ ebenso verhandelt wird wie die existenzielle Frage nach dem Status von Wirklichkeit und Gewissheit. In sich beinahe wiederholenden, nur leicht variierten Abläufen stecken Köpfe in zu Hundetrichtern geformten Spiegelfolien fest – und sehen zugleich wie durch ein Wurmloch in eine andere, nicht zu begreifende Dimension. Dort wartet zerstäubte, feingliedrige Musik, die sich manchmal zum Zerrbild von Unterhaltung verbiegt, dann wieder verdichtet und hochgepitcht wird zu enervierendem Hyperpop – oder auch abgebremst zu tiefgelegten Alien-Sounds.

Roberto Simanowski schrieb die Liner-Notes zu dieser Bühnenarbeit über die erzwungene und zugleich genossene Anpassung an die Realität des Virtuellen, ohne den Zusammenhang zu Stück und Musik zu kennen: „Man ist schon verschwunden, wenn man noch da ist. Smombies sind nicht Untote, die zurückkamen, sondern Abwesende, die ihren Körper zurückließen. Sie sind dem hiesigen Raum entzogen, weil sie sich einem anderen verbunden fühlen. Konnektivität der Trennung.“

 

Thomas Edlinger (geb. 1967 in Wien) ist Radiomacher (FM4 Im Sumpf, Ö1), freier Kulturjournalist, Buchautor und seit 2017 künstlerischer Leiter des Donaufestivals in Krems.

 

 

 

 
Loading