TQW Magazin
Stefan Hulfeld über Please Please Please von La Ribot / Mathilde Monnier / Tiago Rodrigues

Lasst uns doch vielleicht eine Zukunft haben, please please please

 

Lasst uns doch vielleicht eine Zukunft haben, please please please

Starr bleibt in dem von La Ribot und Mathilde Monnier choreografierten und getanzten Stück Please Please Please nur jenes große, schlangenähnliche Tier aus Rohren und Drahtgitter, das in einer geschwungenen Linie die Bühne in eine vordere Arena und einen hinteren Rückzugsraum unterteilt. Im Gegensatz dazu befinden sich die Arme und Beine der Tänzerinnen, jene Bilder und Assoziationen, die aus den von ihnen während des Tanzens erzählten Episoden aufsteigen, sowie die Zeitebenen zwischen einem katastrophischen Endpunkt und einem in Aushandlung begriffenen Zukunftsversprechen in stetiger, zirkulärer Dynamik.

Die zirkuläre Struktur des dreiteiligen Tanzstücks erlaubt es, mit dem Ende zu beginnen. Eine Mutter verspricht dem eben entbundenen Kind ewige Fürsorge. Allerdings vermag der eigensinnige Säugling schon zu sprechen und stellt das überdimensionierte Versprechen und damit auch den Vertrag zwischen den Generationen infrage. Ausgerechnet jene Generation, die den Planeten in den Kollaps treibt, gelobt ewige Fürsorge? Das in fremden Zungen sprechende Baby erweist sich als harter Verhandlungspartner und erkundigt sich nach der Definition der Lichtgeschwindigkeit. Die Mutter gibt an, über dieses Wissen grundsätzlich zu verfügen, es aber gerade nicht weitergeben zu können. Vielleicht wird dieser vertrackte Vertrag zwischen den Generationen noch geschlossen. Viel Zeit bleibt jedoch nicht. Der erwachsene Säugling drängt, JETZT muss die Katastrophe abgewendet werden.

Vielleicht ist dieses Zwiegespräch aber auch nur eine der im zweiten Teil erzählten Episoden, die immer auch Träume und insbesondere Albträume sein könnten, in denen zwischen widersprüchlichen Welten, die sich eigentlich ergänzen könnten, keine Verbindung mehr besteht. Eine Tochter schreibt an den Vater einen Brief, in dem sie ihm erklärt, dass ihr an seinem Leben alles falsch scheint. Aber weil sie keine Briefmarke zur Hand hat, bleibt der Brief liegen, und so wird auch an den kommenden Wochenenden mit den üblichen Gesprächen gemeinsam gegessen. In einer weiteren Erzählung gerät der vom Zähmen eines Karussellpferdes träumende Mensch in Erwartung der dabei spielenden Musik und der flirrenden Lichter sowie des fröhlichen Stimmengewirrs in ein Hochgefühl. Dieses Karussell lässt sich aber auch als Ratte aus dem Untergrund beobachten, durch eine kleine Öffnung, die sich bei der Drehachse auftut. Dort ist es finster und eng, und es lässt sich einbilden, man selbst sei für das Rotieren der gleißenden Welt verantwortlich, die von oben bruchstückhaft herunterrieselt wie kleine Reste von Zuckerwatte. In einer anderen Episode träumt das Kind von einem Monstrum und wacht erschrocken immer dann auf, wenn dieses zubeißt. Doch nachdem das Kind gelernt hat, in Albträumen seinen Willen durchzusetzen, schnappt es selbst nach dem Monster, das daraufhin verängstigt aufwacht und seiner Mutter erzählt, es habe von unheimlichen Menschen geträumt. La Ribot und Mathilde Monnier erzählen abwechselnd und bleiben dabei als Tänzerinnen immer in Bewegung. Durch ihre vom Rhythmus getriebenen Füße, Arme und Hände gewinnen die Erzählerinnen Distanz zu den Geschichten, und sie vermitteln deren Atmosphären und Haltungen. Dieses Tanzen begleitet das Sprechen, indem es in den Köpfen des Publikums das Fließen der Assoziationen antreibt, wodurch die von Tiago Rodrigues geschriebenen poetischen Episoden wie Wolkengebilde entstehen und vergehen. Und zuweilen glaubt man in ihnen Bedeutungen zu erkennen, die aber auf den zweiten Blick schon wieder zerrinnen.

Kakerlaken überleben Katastrophen, besagt ein modernes Märchen. Nach der Auslöschung menschlichen Lebens durch Menschen, wenn alles starr und stillgestellt scheint, kriechen sie als Erste wieder durch die Ritzen der Trümmer. Möglicherweise beruht auch darauf die geringe Sympathie der Menschen für Kakerlaken. Die tanzenden Erzählerinnen Monnier und La Ribot mögen sie, sagen sie. Auf jeden Fall vermögen sie ihnen im ersten Bild in schillernden Ganzkörperanzügen Gestalt zu geben, ohne sie zu imitieren. Da winden sich Körper auf dem Boden, da werden Beine verdreht und durchgestreckt, Köpfe eingeknickt, Arme und Hände verwinkelt, da juckt und kratzt es. Vor allem aber bricht sich ein zäher Überlebenswille Bahn, von dem auch James Browns Leib kündet, wenn er beim Singen seines Hits „Please, please, please“ in die Knie geht, ehe er sich dann doch wieder zu erheben vermag. Es sind skurrile und mechanistische Bewegungen, welche die Bitte in den Raum zeichnen, es möge doch vielleicht eine Zukunft geben.

 

Stefan Hulfeld ist seit 2006 Professor für Theater- und Kulturwissenschaft am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien. Zu den aktuellen Publikationen gehört „Theatre in the Context of the Yugoslav Wars“, gemeinsam hg. mit Jana Dolecki und Senad Halilbasic (Palgrave Macmillan, 2018).

 
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