TQW Magazin
Lisa Emanuely über Lesson von Krõõt Juurak

Lesson against the Freeze

 

Lesson against the Freeze

Der Scherz, den der Humor macht, ist ja auch nicht das Wesentliche, er hat nur den Wert einer Probe; die Hauptsache ist die Absicht, welche der Humor ausführt […]. Er will sagen: Sieh her, das ist nun die Welt, die so gefährlich aussieht. Ein Kinderspiel, gerade gut, einen Scherz darüber zu machen!

– Sigmund Freud, „Der Humor“, in: GW XIV, S. 389

 

„Habt ihr eure Hausaufgabe gemacht?“ Die Frage erwischt eiskalt. „Nein, natürlich nicht“, ist der erste Gedanke. Es könnte ja auch sein, dass man glaubt, keine Hausaufgabe zu haben, weil man selbst die Hausaufgabe ist, schlägt Krõõt Juurak vor. Und auch das erwischt, denn darin steckt etwas Uneinlösbares. Und wäre da nicht das erste Aufflackern von Juuraks Humor, dann wäre dem Verzweifeln nicht nur ein Spalt, sondern Tür und Tor geöffnet.

Die Tafel ist ein Flipchart, und der erste Punkt, der darauf steht, ist: Therapie. „I am the analysand“, sagt Juurak. Doch werden wir eines Besseren belehrt – immerhin heißt das Stück ja auch Lesson. Wir sind mittendrin – nicht nur dort, wo wir tatsächlich aufgefordert sind, Stellung zu beziehen, uns zu Wort zu melden. Mitten hinein geht es vielmehr dort, wo nicht gleich Stellung bezogen werden kann und wo wir dem Schriftzug an der Tafel nicht mehr folgen können, nicht sehen können, was da Unerhörtes hingeschrieben wurde. „Unknown“ wird später zu lesen sein. Aber zuerst sind wir nun mit Krõõt Juurak gemeinsam auf derselben Seite – im Abgedunkelten. Juurak ist zwischen uns, bewegt sich. Und da ist etwas Unheimliches, sich zwischen uns Bewegendes – e(E)s, das sich in uns regt; etwas wird nah, greift Platz und blitzt auf. Sigmund Freud beschrieb solch eine Form der Begegnung einst in einem Brief als Begegnung mit dem Unbekannten im Havelock (Mantel), dessen Gesicht er nicht deutlich sehen kann. Die*Der Unbekannte zwischen uns. Und wir sind plötzlich dort, wo sich Unbewusstes und Unbewusstes – das der*des anderen und das eigene – gute Nacht, guten Morgen sagen und einander süße Träume wünschen.

Krõõt Juurak zeigt uns, was im Theater passiert. Wie es über die Begegnung von Unbewusstem zu Unbewusstem – dem der*des Performer*in und dem des Publikums – plötzlich zu diesen Funkenschlägen kommt, die ausmachen, was wir dann erleben. Juurak zeigt es uns, unterrichtet uns darin und lässt es uns zur selben Zeit erleben.

Man könnte nun tatsächlich im Unheimlichen verfangen und verheddert bleiben, wäre da nicht der Humor. Dort, wo uns Krõõt Juurak abermals tief blicken lässt – und abermals nicht nur in sich –, doch wir nicht darin ausharren müssen. Der Schmierstoff, der uns angeboten wird, während Juurak Kreide auf die Tanzschuhe reibt, ist Humor, der das Ungewisse und Unheimliche in die Ecke stellt. Und von dort aus kann es dann ja zusammen mit uns anderen zuschauen, wie Juurak Tango Argentino tanzt – Krõõt mit Krõõt ; doch wir drehen uns fast mit, auch wenn wir auf später vertröstet werden: „I will show you how to turn, but you can do that later at home.“

Welche Hausaufgabe bekommt man nach so einem Stück? Zumal Krõõt Juurak uns diese vielleicht würde ersparen wollen (wenn man das glauben will). „Dream a lot and tell strangers about your dreams – blurt them out.“

Wir könnten das Stück auch entlang des Widerstands erzählen, der sich gegen das „Verstehenwollen“ richtet. Der Widerstand, der das Unheimliche stets in die Knie zwingen will und nicht sehen will, was hinter den „ochos“ (Tanzfiguren), die gezogen werden, steht. Dort, wo Juurak sagt, „one of my greatest fears is the freeze“, das Einfrieren, das bedingt, dass vermeintlich nichts mehr unter Kontrolle ist, nichts mehr geht. Der wird dann aber ausgekostet, den anderen vorgeführt: „I hold it. As an example for the others. So they can learn from it.“ Juurak bewegt den „freeze“, er wird beweglich und geht vom Eigenen hin zu den anderen. Sollen die sich doch mit dem „freeze“ befassen! Im Tango Argentino gibt es so viele tänzerische Figuren. Würde da ein Fehler unterlaufen, so könnte man noch immer auf eine der angeblich 400 Figuren zeigen. Alles wäre wieder unter Kontrolle gebracht. Fehlleistung und was auch immer sie erzählen möge, ade!

Doch wer will sich bei dem Stück schon mit dem Widerstand befassen?! Krõõt Juurak hat ihn und uns um den kleinen Zeh gewickelt, und da dürfen wir uns im Tango mitwiegen.

„It’s a game“, ruft jemand aus dem Publikum. „Thank you for reminding us“, lacht Juurak, und wir lachen mit. Wobei – vielleicht besser nicht zu laut, nicht zu sehr auf sich aufmerksam machen. Sonst könnte bemerkt werden, dass das Lehrstück gelungen ist und nun alle mit dem Gefühl hinausgehen, dass sie keine Hausaufgabe haben, weil sie selbst die Hausaufgabe sind.

 

Lisa Emanuely studierte Sinologie in Wien und in der VR China, anschließend an der Universität für angewandte Kunst Wien und war eineinhalb Jahrzehnte im Kunst- und Kulturbereich tätig, bevor sie in der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung die Ausbildung zur Psychoanalytikerin begann. Sie arbeitet beim Verein TAMAR (Frauen- und Familienberatungsstelle) und in eigener Praxis.

 

 
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