TQW Magazin
Fanni Futterknecht über New Old von Alma Söderberg

Manifest einer Mutterschaft oder Die Geschichte eines Beckenbodens

 

Manifest einer Mutterschaft oder Die Geschichte eines Beckenbodens

Eine junge Frau in einem leuchtend roten, luftigen Kleid, mit festem Schuhwerk und beiden Beinen fest auf dem Boden, sitzt aufrecht auf einem Stuhl vor dem Publikum und liest vor: Laute, Töne, Gesten kommen aus ihr heraus.
Ausdrücke. Bedürfnisse. Beschwörungen.
Laut. Rhythmisch. Ironisch.
Eine Vokalpercussion mit Mund, Stimme und Zunge, die sich wie eine Skulptur vor uns aufbaut. Alma ist die Bildhauerin dieser Skulptur.

P P P P P P P P P P P P P

PELVIC FLOOR
PELVIC FLOOR
PELVIC FLOOR
PELVIC FLOOR

Als ich Alma vor über 15 Jahren in Amsterdam kennenlernte, ist mir ein Moment besonders in Erinnerung geblieben. Es war, als sie mit meiner Freundin Martina im Wohnzimmer musizierte und sich voller Inbrunst und Euphorie mit Stimme und Cajón in andere Sphären teleportierte.

Heute sehe ich Alma wieder den Faden ihres stimmlich-rhythmischen Lebens weiterspinnen, auf der Bühne der TQW Studios in ihrer aktuellen Performance New Old. Ich nenne New Old Performance und nicht Stück, denn es wird schnell klar, dass es sich dabei um eine eindringliche Geste in Stimme, Klang und Körper handelt, die sich sukzessive in den Körper des Raumes einschreibt; und im weiteren Laufe der Darbietung auch in die Körper der Betrachter*innen.

FIFIFIFIFI
FIFIFI
FITA

Almas Körperhaltung spiegelt zunehmend ihre Ausrufe wider, die immer direkter werden. Sie sitzt nun mit gespreizten Beinen, ähnlich wie in einer Gebärhaltung, um ihrer Stimme und ihrem Oberkörper Raum zu geben. Sie spricht über Mutterschaft, erzählt von ihren zwei Kindern und davon, wie schwer es ist, nach einem Geburtsprozess einfach körperlich so weiterzumachen wie zuvor. Das Einzige, was ihr im Moment bleibt, ist zu sitzen. Zu sitzen und wahrzunehmen. Sie spricht über ihren Körper, ihre Flamenco-Praxis und ihren Beckenboden.

Almas Lautsprache wird zunehmend eindringlicher, expressiver, rhythmischer. Ihre choreografierten Bewegungen, Gesten und Ausdrücke, die sie, immer noch vor uns sitzend, von sich gibt, werden lauter und konkreter. Ja, man kann sagen, dass ihre Sprache eine einzige Geste ist, ein Gebären, ein Entstehenlassen und Zur-Welt-Bringen. Ein „In and out“-Prozess, wie Alma ihn beschreibt, ein Aus-sich-herauskommen-Lassen, Zu-sich-kommen-Lassen, Den-Beckenboden-Heraufbeschwören. Ein Appell und eine Anklage zugleich.

Es ist eine Performance über postnatale Körper, eine Collage aus persönlichen Geschichten und Klängen über die sinnlichen und weniger sinnlichen Ausdrucksformen des Körpers, ein persönliches, eher intimes Stück Kunst, eine Performance, die so viele von uns betrifft; oder betrifft sie uns alle? Schließlich haben wir alle irgendwann einmal diese Bekanntschaft mit Mutters Beckenboden gemacht, haben dort Spuren und Narben hinterlassen, bis wir uns schließlich durch die Vagina unserer Mutter rausgequetscht haben oder rausgequetscht wurden. Einige wählten einen anderen Weg.

Es ist eine Performance über den Instinkt von Mutter. Ein Sprechen ohne Worte und doch dann wieder mit Worten. Ein Zusammentreffen von Intuition und Bedeutung, eine Art Beschwörung, ein Ritual, ein Moment gemeinsamer Erfahrung.

PERIOD
PBLOOD
PMS
POLITICS

Immer wieder mischt sich in Almas akustische Äußerungen ein Hauch von ironischer Beiläufigkeit, der wiederum die Beiläufigkeit widerspiegelt, mit der Themen wie postnatale Phänomene oder die weibliche Menstruation in der Gesellschaft abgetan werden, und der Performance eine gewisse Komik verleiht.
Auch wenn es immer mehr Bereitschaft gibt, über solche Themen zu sprechen, ist der postnatale Körper etwas, das  nicht allzu oft im kulturellen Schauraum unserer Gesellschaft auftaucht.

Almas Interesse liegt auf einer „polyzentrischen“ Herangehensweise, wie sie es selbst beschreibt: verschiedene Zugänge, die alle gleichzeitig und parallel ihr eigenes Leben haben. So, wie sich Almas Leben polychrom und multilingual bewegt und formt, so tut es auch diese Performance: mehrere Dinge gleichzeitig verhandeln.

Alles, was im Bühnenraum produziert wird, kommt aus Almas Körper. Alma ist der Rhythmus, die Stimme, die Geste, die Bewegung. Nichts gibt den Ton an. Alles wird gelenkt durch diese einzelne Kraft, unterschiedliche Tempi und Leben miteinander in Harmonie oder Polyphonie halten zu können. Die Performance steht und fällt mit ihr.

Als ein Moment der Erschöpfung und der Ruhe erreicht ist, füllt Almas schöne Stimme nun singend den Raum: Gracias a la vida (Danke für das Leben) stimmt sie an und übersetzt uns Wort für Wort den Liedtext von Mercedes Sosa, eine Ode an die Schönheit des Lebens.

Schließlich:

WE ALL COME FROM THE SAME PLACE

Nach und nach manifestiert sich Almas Geste im Raum. Der Raum wird als Körper angesprochen und infrage gestellt. Wieso sind die Wände so trocken? Warum sind die Wände so gerade? Alma formt ihren Körper und den Raum wie eine Bildhauerin. Der Klang schafft Raum, schafft Form: ein feministischer Klangappell mit und ohne Worte über die Kraft, die Wucht und die Schönheit von Mutterschaft.

Almas Performance wurde nach New Old mit der Präsentation der Installation WOURLND in der von Andrea Maurer kuratierten und von Christoph Meier gestalteten Performance Passage mit einer kurzen Live-Intervention fortgesetzt.

Das Aufleuchten der sieben Lichtkästen mit den Buchstaben W O U R L N D, die in unterschiedlichen Kombinationen verschiedene Wörter ergeben, und Almas vokale Interpretation formten einen Dialog.

Gerne hätte ich Almas stimmliche Manifestation noch länger vernehmen wollen, wäre ich noch länger in der Wucht der Bedeutungen ihrer Stimme verweilt, hätte mich weiterführen lassen in die akustische Wahrnehmung von körperlichen Prozessen und Forderungen an uns alle, hätte sie noch länger sprechen, lärmen, singen, klagen und betören gehört; denn vieles von ihrem Körpermanifest hat auch in meinem Körper Resonanz gefunden.

 

Fanni Futterknecht ist bildende Künstlerin und bewegt sich in einem interdisziplinären Bereich zwischen Video, Performance und Installation. Ihre Praxis untersucht Performance in zeitbasierten bildenden und darstellenden Künsten und deren Beziehung zu Text und Sprache. www.fannifutterknecht.com

 
Loading