TQW Magazin
Robert Misik über Work Body von Michael Turinsky

Mehr Humor im Klassenkampf!

 

Mehr Humor im Klassenkampf!

Michael Turinskys Work Body ist eine kurzweilige Ideen-Performance, aus der man schlauer hinausgeht, als man hineingegangen ist.

Michael Turinskys Tanzperformances sind klug, unterhaltsam. „Virtuos, witzig und lehrreich“ nannte sie einmal die Frankfurter Allgemeine Zeitung, und das trifft es ziemlich gut. Work Body ist eine hinreißende Ideen-Performance. Der Künstler ist eine gute Stunde lang allein auf der Bühne. Er setzt seinen Körper ein, der ein behinderter Körper ist. Er schuftet, er bastelt und stemmt mit dem Bohrhammer, singt und agitiert, er stellt die Körperlichkeit des Tänzers aus und die Körperlichkeit dessen, der arbeitet, also müht und plackt. Er umgibt das sichtbare Geschehen mit Theorie und Gedankengängen von Antonio Gramsci und Pier Paolo Pasolini, diesen beiden seltsamen Kommunisten aus der an Seltsamkeiten nicht armen revolutionären Bewegung, und zudem mit (gegenwarts-)diagnostischen Reflexionen über die Einpressung des Körpers in kapitalistische Zeitregimes und das Diktat des Funktionierens.

Es gehört zu Turinskys Arbeiten dazu, dass er sie mit Interviews und Texten umgibt, also mit Diskursen, die sich nicht nur auf der Bühne entfalten, sondern auch im Davor, im Rundherum, in ausgestellten Zitaten im Foyer. Eine Leseliste liegt auf. Aber nichts davon ist mühsam pädagogisch, also belehrend oder hermetisch.

Es wird in Turinskys Arbeit viel gelacht. Turinsky lacht auch viel.

Man sieht einen Mann, der arbeitet. Turinsky hat einen Blaumann an, eine Latzhosen-Arbeitskluft, Arbeitshandschuhe, er schiebt einen mechanisierten Gabelstapler durch den Bühnenraum, so eine Hochhub-Karre, wie man sie aus den Supermärkten kennt. Das Publikum sitzt nicht auf Sesseln, sondern direkt auf der Bühne, was heißt, es ist gelegentlich im Weg, wenn Turinsky sich in strapaziösen Bewegungen einen neuen Tisch holt, aus dem er seine Bühne auf der Bühne baut. Das Setting gibt der ganzen Sache etwas Improvisiertes, Leute stehen, lungern, sitzen, während einer performt. So etwa muss das bei den ersten Happenings gewesen sein.

Turinskys Plackerei ist ein körperlicher Diskurs über die körperliche Arbeit, damit über die Arbeiterklasse, über Körper der Arbeiterklasse, aber auch über deren Lebenswelten und Werte, und das Amüsante ist, dass sich das natürlich nicht nur vor dem Publikum vollzieht, sondern auch mit dem Publikum, das Publikum macht ja das Kunstwerk, ist immer Co-Autor.

Was heißt: Einer arbeitet und müht sich, und die anderen schauen zu. In den wirklichen Lebenswelten proletarischer Arbeit wäre das völlig unmöglich, da heißen Leute, die zusehen, während einer mühsam malocht, „Kolleg*innenschwein“. Man sitzt als Publikum da und hat den Impuls, dem, der sich hier müht, bei der Arbeit zu helfen. Proletarische Arbeit ist ja nicht nur Körperlichkeit, sondern kooperative, kollegiale Körperlichkeit. Im Theater freilich ist genau das verpönt, das Publikum hat zuzusehen, nicht mitzutun. Zudem ist es ja ein behinderter Mann, der hier arbeitet, und ihm zur Hand zu gehen, hätte sofort einen miefigen paternalistischen Hautgout.

Eine Vielzahl von Gedankenreihen schießen einem durch den Kopf, für die man dem Künstler dankbar ist, weil man schlauer aus der Aufführung hinausgeht, als man hineingegangen ist. Es ist Klassenkampf, aber auch lustig. Es braucht sowieso mehr Humor im Klassenkampf.

Der arbeitende Körper, der sich müht, bringt eine Leistung, was selbst schon eine theatrale Handlung ist in einer Gesellschaft, die die Leistung so hochhält, dass sie dafür ein eigenes Wort gefunden hat, nämlich „Leistungsgesellschaft“. Die heutige Achtsamkeitskultur will die Behinderten in diese „Leistungsgesellschaft“ inkludieren, aber, so fragt Turinsky, will man in den peitschenden Taktschlag des Kapitals überhaupt inkludiert werden? Andererseits, warum sollte das überhaupt jemand wollen? Der behinderte Körper hinterfragt kapitalistische Zeitregimes, schon allein weil er für vieles länger braucht. Der Kommunist hinterfragt auch viel, ist in der heutigen Zeit aber der eigentliche Exkludierte, wie Turinksy in einer der Schlüsselpassagen singt: „Es ist heute im Westen jedenfalls einfacher, sich selbst als behindert oder als queer zu identifizieren denn als Kommunist.“

Turinsky hat einen Hammer dabei, der baumelt von seinem Blaumann herunter, aber der humorvolle Philosoph, der er ist, weiß, dass der Holzhammer ein zweifelhaftes Werkzeug ist im Klassenkampf in der Theorie. Es bleibt ein Rest dessen, was Adorno einst den „Rätselcharakter“ des Kunstwerks nannte, kurzum, der Teil, den sich das Publikum selbst dazudenken muss. Körperkultur männlicher Arbeiterklasse, sie war immer eingebettet in Lebenswelten von Kollegialität und Gemeinschaftlichkeit, hat sich heute in Vereinzelung aufgelöst und gerät in die Fänge des rechten Extremismus. Ob Turinsky damit gleich gegen den Rechtsruck anhämmert? Man kann das so sehen oder auch anders.

Draußen im Foyer prangen in großen Lettern Antonio Gramscis Gedanken zu Kunst, Volkskultur, Hegemonie und Befreiung und verabschieden das Publikum mit dem Pathos, vor dem auch Turinksy glücklicherweise keine Furcht hat: „Man muss nüchterne, geduldige Menschen schaffen, die nicht verzweifeln angesichts der schlimmsten Schrecken und sich nicht an jeder Dummheit begeistern. Pessimismus des Verstandes, Optimismus des Willens.“

 

Robert Misik ist Journalist, Sachbuchautor und Dramaturg bei den Wiener Festwochen. Er lebt und arbeitet in Wien. Jüngste Buchveröffentlichung: Das große Beginnergefühl. Moderne, Zeitgeist, Revolution (2022).

 
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