TQW Magazin
Claudia Slanar über Stranger Than Paradise von Liquid Loft

Melancholie und Gemeinschaft

 

Melancholie und Gemeinschaft

Dieser Tage kann wohl kaum jemand umhin, in Betrachtungen über performative Künste die Aufführungssituation miteinzubeziehen. Premieren online statt auf der Bühne, Zuschauen vom Computer aus, Stücke auf dem Bildschirm. Bei Onlinegesprächen – nach beinahe einem Jahr „Praxis“ – kann es mittlerweile zu einer Demokratisierung der Sprecher*innen kommen, vorausgesetzt die Tools sind so gewählt. Die Hemmschwelle, Fragen zu stellen, ist wesentlich niedriger; es ist leichter, in den Chat zu schreiben, als aus einem Zuschauerraum Richtung Bühne zu rufen. Und scheinbar ist es ebenfalls leichter, Lob und Dank auszudrücken. Dies alles geht natürlich zu Lasten der „Anwesenheit“: Die Tänzer*innenkörper zu sehen und zu hören, die anderen Zuseher*innenkörper zu spüren, zu riechen, zu hören – all das ist nicht möglich.

Warum diese lange Betrachtung zur Einführung? Stranger Than Paradise kann ebenfalls nicht beginnen, ohne über seine Aufführungssituation zu berichten. Zu Beginn sehe ich eine Bühne, acht Performer*innen, die sich darauf bewegen, aufwärmen, proben. Der Bühnenrand ist sichtbar, mit Kleidung, die während des Stücks getauscht werden wird, und Stoffen, mit denen performt werden wird, bedeckt. Erweitert ist dieses Außen um die Aufnahmeapparatur: Kamera, Monitore, Computer mit Schnittprogramm, Ton- und Lichtmischpult. Dieser Beginn gleicht einem „establishing shot“ im Film: der Ort des Geschehens, der Kontext wird etabliert, meist aus der Vogelperspektive, auch hier von schräg oben. Nach dem Schnitt bin ich tatsächlich näher am Geschehen, und bald, von Kameraauge und Regie geführt, mittendrin. Wie ich so mit guten Kopfhörern vor meinem Computerbildschirm sitze, draußen ist es dunkel, fühlt es sich plötzlich tatsächlich wie ein Film an, den ich mir ansehe. Das macht im Zusammenhang mit Liquid Lofts Praxis Sinn, werden die Körper doch oft als bereits mediatisierte, das Performen als eine von Filmbildern, ja sogar einer filmischen Sprache definierte Praxis mitgedacht. Die Musik – der Score – trägt dazu bei. Er etabliert die Atmosphäre, unterstreicht etwa die Höhepunkte der Solos. Durch und mit ihm driften die Tänzer*innen ab in eine andere (Traum-)Welt und werden am Ende wieder aufgefangen und schließlich, nachdem die Musik verstummt ist, überrascht, konsterniert, ratlos zurückge- und in die – ja wohin eigentlich? In das filmische Off? In die Wirklichkeit? – entlassen.

Dazwischen liegen 40 Minuten Reflexion über Körperbilder, Menschenbilder; über Einsamkeit und die Möglichkeit und gleichzeitige Unmöglichkeit, in der Gemeinschaft zueinanderzufinden. Weniger Maschinen oder Roboter denn fluide Wesen zeigen sich, was durch das Setting mit halbhohen konkaven Spiegeln unterstrichen wird. In diesem Spiegelkabinett der Vermischung von Deleuze’scher Aktualität und Virtualität – außerhalb dessen sich das Individuum nicht mehr denken kann (so die These) – ist eine unendlich tiefe Trauer und Melancholie angelegt. Denn das Außen, das Aufeinandertreffen dieser Individuen birgt ebenfalls Erstarrung, ein Auf-der-Stelle-Treten. Es gibt nur eine (weit) entfernte Ahnung eines Werdens. Dieses „becoming“ (animal, machine, post-human?) ist ebenfalls mit Arbeit und Leid verbunden. Die allgegenwärtige neoliberale Selbstoptimierung schwingt hier mit, ist aber nicht das dringlichste Anliegen. Es sind eher die Konstellationen und die Möglichkeiten zu kommunizieren, die da nicht existieren und erst neu verhandelt werden müssen. Die Pas de deux laufen nebeneinander ab. Die Körper als Zeichen (der Automatenhaftigkeit, der Tierhaftigkeit, des Menschseins) wiederholen sich in ihren Gesten, erstarren dabei immer wieder zum Bild, manchmal auch zu unheimlichen Schatten. Am berührendsten sind jene Momente, in denen sich einer Verbindung angenähert wird, für eine kurze Zeit ein Gleichklang erreicht werden kann.

Nach dem Ende des Stücks, die Credits laufen noch, kann ich nicht umhin, die Musik zu googeln und auf so manche Überraschung zu stoßen: Penelope Trappes’ Interpretation von Nick Cave und The Birthday Party ist kälter als Eis; eine verlangsamte Annie Lennox klingt plötzlich wie Soul aus den 1970ern und dann wieder wie David Bowie. Das lenkt die Aufmerksamkeit zuletzt wieder auf das Verflüssigen eines starren Identitätskonzepts und auf die noch nicht ausgeschöpften Möglichkeiten des Werdens. Bei aller Melancholie, bei aller Trauer über eine so ungewisse Zukunft bleibt ein Glücksgefühl, eine Ergriffenheit, die nachwirkt.

 

Claudia Slanar ist Kunsthistorikerin und Kuratorin des Blickle Kinos im Belvedere 21. Sie schreibt über Film und bildende Kunst, manchmal über Performances, gerne auch site-specific.

 
Loading