TQW Magazin
Imayna Caceres über Climatic Dances von Amanda Piña / nadaproductions

Artenübergreifende Tanzbewegungen durch gefährdete Welten

 

Artenübergreifende Tanzbewegungen durch gefährdete Welten

Was geschieht mit mehr-als-menschlichen, in Koexistenz lebenden Gemeinschaften, wenn der von Konzernen betriebene Extraktivismus weiterhin Leben zerstören darf und somit Auswirkungen auf eine große Vielfalt von Ökosystemen und Lebensweisen hat? Für Amanda Piña ist das eine äußerst beunruhigende Frage. Sie hat ebendiese Auswirkungen auf das Bergwesen Apu Wamani bei Santiago de Chile in der Nähe ihres Geburtsortes, wo ein Teil ihrer Familie bis heute lebt, beobachtet. Sie möchte mithilfe von rituellen Tänzen aus dem Hochland die Energie, die durch eine Zusammenkunft entsteht, in aktive Formen des gemeinsamen Überlebens channeln.[1]

Dieses Performance-Ritual-Event, in dem uns Amanda Piña nicht nur als Performerin begegnet, sondern von Anfang an auch als Teil des Geflechts, das sie ausmacht, wird von einer emotionalen Ansprache eröffnet. Danach wendet Piña sich vom Publikum ab und verschwindet im Berg in der Mitte der Bühne. Dann beginnt der Berg zu atmen, und sie taucht aus ihm hervor. Auf der Zunge, die uns durch das Dunkel ihres Mundes begrüßt, glitzern ihre verborgenen Schätze. Das Bergwesen beschwört eine Reihe von Körpersprachen herauf, die von Organismen, die mit dem Berg in Symbiose leben, verwendet werden: Der Kondor gleitet entlang der Luftströmungen, die den Berg umgeben, Wurzeln graben sich in den Boden, der einbalsamierte Körper einer Mumie sitzt in Embryonalstellung am Boden. Das tanzende Wesen bewegt sich ständig um seine eigene Achse und folgt den Rotationsbewegungen der Erde, aus der es sich als Falte emporstreckt. Wachstum und Verwitterung führen dazu, dass sich der Körper zusammen- bzw. auseinanderfaltet: eine Transformation der holobiontischen Erfahrung in eine metaphorische Bedeutung als Katalog von Bewegungen-mit-anderen, die von dem komplexen Wesen ausgeführt werden, das den Berg Apu beseelt. In Anlehnung an die Anthropologin Marisol de la Cadena können Apus als empfindungsfähige Wesen verstanden werden, die nicht in den Bergen leben, sondern die Berge „sind“, und in wechselseitigen fürsorglichen Beziehungen mit Menschen stehen.[2]

Die Tänzerinnen arbeiten mit Bewegungen und Schritten aus rituellen Tänzen (Tipekajomeh und Wewentiyo) der Masewal, die im Puebla-Hochland in Mexiko ansässig sind. Sie inkarnieren die Erdwesen, aus denen sie entstanden sind und mit denen sie koexistieren, sie channeln die Landstriche und Gewässer der Orte, an denen sie leben, und „konferieren miteinander“, wie Piña es ausdrückt. Der Gedanke dabei ist, zu „verstehen, wie wir die Körper anderer Lebewesen wahrnehmen, und den Berg als Holobiont zu begreifen“.[3] Piña möchte erreichen, dass ihr Publikum den Willen, das Verlangen und die Handlungsfähigkeit des Berges hört, sieht und miterlebt, wie er sich für sie und diejenigen manifestiert, die mit ihm eine Lebensgemeinschaft bilden. Sie betont, dass ihre Arbeit „keine Repräsentation der Kosmologien anderer Völker ist“, sondern eine Darstellung dessen, wie sie die Welt wahrnimmt. Sie beschäftigt sich damit, wie unterschiedlich der Körper im Theater und bei der Teilnahme an gemeinschaftlichen rituellen Tänzen der First Nations des amerikanischen Kontinents eingesetzt wird, und untersucht, ob dieser Unterschied in der Beziehung zum Boden besteht oder in der Art und Weise, wie mithilfe des Körpers etwas zum Ausdruck gebracht wird. Und das Mit-Erdwesen-Sein erlebt sie durch die Anwendung „ökosomatischer Praktiken, als Praxis dekolonialer Ökologie“.

Ich verstehe, was Piña meint, wenn sie den rituellen Tanz als „praktisch“ bezeichnet, da er direkt auf die Umstände Bezug nimmt, die sich auf das tägliche Leben der Menschen auswirken.[4] Anders, als der Name vermuten lässt, bleiben traditionelle rituelle Tänze nicht statisch. Vielmehr wird ein ritueller Tanz von jedem Körper, der ihn tanzt, umgestaltet und wächst deshalb wie ein lebendiges Wesen ständig weiter. Diese Tänze sind manifestiertes körperbasiertes Wissen, das „Menschen“ als Wesen versteht, die künstlich von der „Natur“ getrennt wurden, und dieses Wissen erkennt symbiotische Beziehungen zu anderen Erdwesen an, die eine „intensivierte Relationalität“ (invested relationality) mit dem gesamten Kosmos aufrechterhalten. Als Praktiken der Wechselseitigkeit sind sie sich unserer radikalen gegenseitigen Abhängigkeit bewusst und erkennen, dass das Künstlerische spirituelle, soziale, funktionale und weltliche Aspekte hat und mit allen Lebensbereichen verflochten ist. Angesichts der vielfältigen sozioökologischen Krisen unserer Zeit benötigen wir dringend künstlerische Praktiken, die (wie Climatic Dances) alternative Wege zur Wissensgenerierung durch pluralistische Daseins-, Denk- und Bewegungsformen-mit-anderen umsetzen und mit ihnen Schnittpunkte bilden.

 

[1] Ich habe in verschiedenen Regionen der Anden die Gegenwart von Bergwesen gespürt, bin jedoch nicht mit dem Apu Wamani vertraut. Diese Teilansicht des Apu Wamani (Cerro el Plomo) (https://bit.ly/wamani) hat mir dabei geholfen, mir ein Bild von der Bedeutung des Begriffs „konferieren“ zu machen.
[2] „Beseelte Wesen“ (sentient entities) ist der Begriff, den Marisol de la Cadena in Earth-Beings: Ecologies of Practices in Andean Worlds, Durham (NC) 2015, zur Beschreibung von Erdwesen verwendet.
[3] Holobiont bezieht sich auf ein „Gefüge aus einem Wirt und vielen anderen in oder um ihn herum lebenden Arten, die zusammen eine eigenständige ökologische Einheit bilden“. Der Ausdruck stammt von der Mikrobiologin Lynn Margulis in Symbiosis as a Source of Evolutionary Innovation, Cambridge (MA) 1991.
[4] Piña fügt hinzu, dass in der von ihr untersuchten Region der Konzern Anglo American plc und ein Konsortium aus dem US-amerikanischen Unternehmen AES Gener und dem österreichischen Konzern Strabag SE aktiv sind.

 

 

Imayna Caceres ist Künstlerin und Wissenschaftlerin. Ihr Interesse gilt der Entstehung von Gemeinschaften in mehr-als-menschlichen Welten. Sie schöpft aus alternativen Daseinsformen in der Welt und beschäftigt sich mit Wissensformen, die über die Dichotomien der Moderne und des westlichen Wissens hinausgehen. Caceres arbeitet mit verschiedenen Formaten, z. B. rituellen und relationalen Praktiken, digitalem und analogem Zeichnen, Video, Projekten im öffentlichen Raum und Schreiben.

 

 
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