TQW Magazin
Katalin Erdődi über Blab von Sonja Jokiniemi

Objekte und ihr Vergnügen

 

Objekte und ihr Vergnügen

Ich bin eine mehrere Meter lange Kette, die durch deine Finger gleitet und zu Boden fällt und klirrt. Manchmal sanft wie das Prasseln von Regen, manchmal etwas abrupter. Die Klangkulisse deiner Performance entsteht durch mich. Ich bin eine Leine, ich umarme weiche Objekte und fessle sie sanft. Ich werde gezogen, ich werde geschleift. Ich bin in einem Tauziehen gegensätzlicher Begehren aufgespannt und werde mit einem Klang abgeworfen. Ich bin Musik. Ich bin Widerstand, ich bin stramm. Ich bin ein Haushaltsgerät, glatt und kühl in deinen Händen. Ich bin auch Eroberung. Ich nehme dich entgegen deinem Willen fest, reibe an deiner Oberfläche durch eine Fesselung, die nicht mehr sanft ist, und errege dich mit dem Gefühl, von mir umschlossen zu sein. Ich wärme mich an der Berührung deiner Lippen und gleite unter die Keramik deiner Zähne, wenn dein Mund mich umschließt. Ich bin verspielt, ich baumle von der Decke und stürze von den Rohren herab wenn man plötzlich an mir zieht. Wie ein Köder schwinge ich mich von oben herab, und dringe langsam in deinen Mund ein. Das erinnert manche an einen Zaubertrick. Das Schlucken von Flammen wird zum Schlucken von Ketten.

Ich bin ein Stück Fleisch, ein Torso, vielleicht der Körperteil eines Menschen. Rosa auf der Außenseite baumle ich am Ende einer Kette, als hinge ich über der Theke einer Fleischerei, meine Innereien zusammengehalten von einem Netz aus Schnüren und Ketten. Ich bin ein wirres Chaos, ich bin eine Skulptur. Ich werde getragen wie eine Jagdtrophäe, ich hänge von einem provisorischen Kruzifix aus Plastikrohr und Gartenschuppenholz. Rücken beugen sich unter meinem Gewicht, ich bin ein Objekt der Anbetung, ein Idol, unentbehrlich für deine heidnischen Rituale und schräge Magie. Ich bin Opfer, ich bin Fleisch. Finger stochern in mir herum, erforschen meine Hohlräume und wühlen sich gierig durch meine Schichten. Ich vergieße meine Innereien – schlauchartig, transparent und lang. Ich bin ein wirres Chaos. Meine Eingeweide werden zur Verbindung, in ihnen vermischt sich heißer Atem mit Speichel, sie werden zu den Lebensadern zwischenmenschlichen Kontakts. Münder blasen, saugen und schnappen nach Luft, durch meine Eingeweide fließt menschliches Abgas. Ich werde langsam auseinandergenommen. Mein Schwanz, mein Reiz, mein Stolz, der prächtig und eindrucksvoll schimmert mit seinem langen, glänzenden Haar, in das viele hineingreifen wollen, werden mir genommen. Ich fühle mich beraubt. Dann, um einen dramaturgischen Höhepunkt zu markieren, werde ich zertrümmert.

Ich bin das Rohr eines Staubsaugers, eine Verlängerung deines Atems, ich bin ein Instrument. Ich bin ein Rock aus Haaren, weiß-blond, ich wickle mich um deinen Kopf. Ich bin dein Kostüm, porös und schwarz, ich klettere deine Beine hinauf wie ein Spinnengewebe und umspanne deinen Schritt in einer festen und zarten Umarmung. Ich bin ein blauklebriger Klecks, der wie ein Stück Ton von deinen Händen gedrückt und geformt wird. Ich versuche, durch deine Finger zu gleiten, eine flüssige Spur zu hinterlassen, bevor du mich auf den Boden klatschst. Ich bin ein phallozentrischer Strauß, der deinem Begehren dient, jedes meiner Glieder ist bunt schillernd, lang gezogen und fest verschnürt. Zuerst hänge ich als Ornament, dann lande ich in deinen Händen, in vielen Händen und vielen Mündern. Ich bin ein Knebel und fühle an einem meiner Enden deinen heißen Atem. Ich lasse mich auf den Tanz ein, wackle zwischen dem festen Biss deiner Zähne, komisch und vielleicht auch lächerlich. Ich bin ein Knebel. Ich bin eine Voodoo-Puppe, bunt schimmernd, lang gezogen und fest verschnürt.

Wir sind die Tänzer*innen, wir sind singulär, aber handeln im Plural, wir teilen Gesten, Bewegungen und Temperamente. Wir erkunden durch Berühren, Beißen, Stoßen und Ziehen. Manche würden sagen, wir sind in der oralen Phase, schließlich kommt mehr in unsere Münder als in unsere Hände. Aber es geht uns nicht um das Freud’sche Konzept psychosexueller Entwicklung. Wir genießen die Sinnlichkeit und Intimität unserer Umgebung, die Oberflächen, die Formen und die Dinge, auf die wir stoßen. Wir nehmen Kontakt auf. Wir sind Koexistenz, wir sind Koperformance. Wir geben Töne von uns, ohne sie in Worte transformieren zu wollen. Wir treten vor andere als Partner*innen. Wir greifen nach ihnen und packen zu. Wir greifen nach ihnen und streicheln sie. Wir greifen und lassen dich in unsere Münder. Wir greifen und ziehen dich an uns heran. Wir erkunden Hohlräume, Winkel und Verstecke. Wir sind gewissenhaft und gründlich, unsere Finger hören nicht auf zu bohren und zu stochern. Wir sind untrennbar miteinander verbunden, wie ein elastischer Ganzkörperanzug, der eine von uns wie eine zweite Haut umschließt und aus dem der in Überfluss vorhandene Schweiß über den Kragen austritt und spritzt. Wir bewohnen unseren Raum, unsere Bühne, als wäre sie eine zeitlose Höhle. Eine Höhle voller fein gearbeiteter Zeichnungen, die wie Puzzleteile auf unser überschreitendes Begehren schließen. Wir kämpfen uns in animalischer Raserei um einen Knochen. Einer von uns kommt mit einem schmalen teleskopischen Rohr daher, trägt es wie einen Speer in der Hand, angriffsbereit und prähistorisch. Einige mögen sich wundern: Wann sind wir, und wo sind wir?

Das leise Dröhnen elektronischer Musik verbindet uns mit dem, was die meisten von uns als Realität begreifen. Wir lösen uns schließlich von unseren Objektpartner*innen und erheben unser singulär und selbstbestimmt tanzendes Selbst in einer fast familiär wirkenden Choreographie.

 

 

Besonderer Dank geht an Aziza Harmel und Julia Zastava für ihr Feedback.

 

Katalin Erdődi arbeitet seit 2004 als freie Kuratorin, Dramaturgin und Wissenschaftlerin in den Bereichen zeitgenössische darstellende und bildende Kunst. Seit 2019 Kuratorin für unabhängiges Theater, Tanz und Performance in der Kulturabteilung der Stadt Wien. Tätigkeit als Kuratorin für Kunstinstitutionen und Festivals, u. a. steirischer herbst (Graz), brut/imagetanz-Festival (Wien), GfZK – Museum für zeitgenössische Kunst (Leipzig), Ludwig Museum – Museum für zeitgenössische Kunst (Budapest), PLACCC Festival (Budapest) und Trafó House of Contemporary Arts (Budapest), sowie für verschiedene selbstorganisierte Plattformen, z. B. die experimentelle Musik- und Performance-Reihe Der Blöde Dritte Mittwoch (Wien). Neben ihrer kuratorischen Tätigkeit arbeitet Erdődi auch als dramaturgische Beraterin/Outside Eye mit Performancekünstler*innen wie Gin Müller, Oleg Soulimenko, Sööt/Zeyringer und Doris Uhlich zusammen. Als Autorin und Herausgeberin schreibt sie für verschiedene Zeitschriften, u. a. tranzitblog, Mezosfera, Színház, etcetera – Performing Arts Magazine und Bildpunkt.

 

(Übersetzung Caroline Wellner, überarbeitet von Barbara Juch)

 

 

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