TQW Magazin
Evgenija Filova über Natural Drama von Sorour Darabi

on beauty, the endings

 

on beauty, the endings

The one that
captures –
your feelings.
Breathes
the air of your
lungs.
The world
that haunts, its
Ending.

Auf dem Weg die Stufen hinunter zum Performance-Abend zeigt sich die Bühne in leuchtendem Sulfatblau. Die Luft badet förmlich in Nebel. Der Blick gleitet langsam die Ränder einer Plattform entlang, die eine eisige Fläche darstellen könnte. Dahinter sitzt Sorour Darabi. Langsam elektrifizieren Sounds den Raum, ein riesiges Netz aus Haaren dringt aus der leuchtenden Plattform hervor.

Natural Drama erstreckt sich über vier Lieder, Gedichte, die die Grundlage der heutigen Veranstaltung bilden.

Sky dreams,
sulfate blue,
because it’s not true:
a real goddess has no blood.
Like a witch,
the ocean knows
how deep it goes.
Fake goddesses for the fake world, [1]

Haare erfüllen die Bühne, wie ein großer Vorhang fallen sie auf die leuchtende Fläche, bilden einen Pfad. Lichter blenden von hinten, strahlen direkt in die Augen der Zuschauer*innen und künden von den göttlichen Mächten, die Sorour Darabi heute Abend beschwört. Eine Spannung zwischen Fluidität und Solidität, die sich im Tanz aus Bewegung und Klang ausdrückt.

Gequeerte Schönheit

Die vom Westen betriebene Praxis des Othering (sprich: Moderne) bedient sich binärer Formen von Geschlecht und Sexualität als immanenten Daseinsformen, um sämtliche Kulturen und Körper zu terrorisieren, die anders leben und gelebt haben. Natural Drama inszeniert Unterschiede in der Natur der Schönheit, die dazu benutzt wurden, zulässige heteronormative Geschlechter und Sexualitäten vorzuschreiben und zu regulieren. Schönheit wird an der Schnittstelle von zweier namhafter Persönlichkeiten erzählt, die in der Gunst der Öffentlichkeit standen: der hochgeschätzten iranischen Prinzessin Zahra Khanom Taj al-Saltaneh und der gefeierten amerikanischen Choreografin Isadora Duncan. Beide lebten an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, beide erreichten gerade einmal ein Alter von 50 Jahren, und beide waren zentrale Figuren in den Sphären, in denen sie lebten. Sie genossen hohes Ansehen und Respekt für ihre Arbeit und wurden für ihre Schönheit zutiefst bewundert. Weniger bekannt ist, dass beide ein aufregendes und zutiefst queeres Leben führten. Sorour Darabi verortet Schönheit ganz klar in der Queerness, indem er gezielt die Queerness der Schönheit einsetzt, Naturen zusammenführt und das Konzept des Wesens der Schönheit, das wir alle verinnerlicht haben, hinterfragt.

Schließlich ist Natural Drama eine schöne Performance.

Queerness an sich ist Teil der Schönheit, denn Schönheit ist queer und Queerness ist schön. Binäre Auffassungen von Queerness, Sexualität und Gender sind somit Produkte der kolonialen Praxis der Ausbeutung von Körpern, Ressourcen, Natur, Werten. Natural Drama zeigt uns, wie andere Arten von Schönheit und Queerness, jenseits dualistischer Daseinsformen, miteinander in Einklang gebracht werden können.

Haar

Wir sehen von oben herabfallendes Haar, Haar, das über den Boden gleitet, Haar, das göttliches Licht beugt, Haar als Teil des Körpers und Haar als Teil der Umgebung, des Nicht-Körpers, wo fangen Körper überhaupt an, und wo hören sie auf? Haar als Kontinuum von Körper und Nicht-Körper. Haar als Verb, haaren. Haar als Bewegung des Unterschieds zwischen Zahra Khanom Taj al-Saltanehs Schönheit und Isadora Duncans Schönheit. Haar oder besser gesagt die Abwesenheit von Haar, Haare, Haarigkeit, als Mobilisierung von Gewalt, die Queerness ausgrenzt und dem (queeren) Körper den Wert der Schönheit abspricht. Der Tanz des Haars. Der Haare. Ein Naturstück, denn Haare sind lebendig und tot, Natur und Nicht-Natur.

Mund

Geräusche, die aus der Mund-/Fleischöffnung kommen: Flüssigkeit, Spucke. Lautsprecher, Beschleunigung, Verstärkung, Geräuschlosigkeit. Das Publikum hört zu, die Augen auf den Text gerichtet.

Watching you,
from thorax to throat,

Der Blick, der auf den Mund trifft, das Zentrum der Desorientierung, die Begrüßung der Worte. Den Kiefer sehen wir, die Zähne, die Innenseite der Lippen, das Hinter-ihren-Kulissen. Fühlen wir mit dem Mund?

Gefühle

Meisterhaft gelingt es Sorour Darabi, unseren Atem zum Schmelzen zu bringen, uns die Luft zum Atmen zu nehmen. Der-die-das Haar-Vorhang-Tür-Eingang-Bewegung schließt sich, es wird dunkel, Licht und Sound verklingen, lösen sich in Luft auf. Gefühle schwelgen in der grenzenlosen Liebe zwischen Natural Drama und dem Publikum. Das innere Wesen tief zu berühren ist die ultimative Errungenschaft der Kunst, des Künstlers! Heute Abend feiern wir!

Die mit Worten gefüllten Seiten sollten mittlerweile vier erreicht haben. Ich halte den Atem an, ich kann diesen Moment nicht abgleiten lassen, von der Bühne.

Will the, world
end
today
or can we still
say goodbye
wait for tomorrow
as long as it takes

but beauty
is continual

 

Vielen Dank an Sorour Darabi, dass sie*er einige Gedanken zur Performance mit mir geteilt hat!

 

Evgenija Filova ist Forscherin für visuelle Kultur am Institut für Sozial- und Kulturanthropologie der Universität Wien. Sie*er arbeitet derzeit an ihrer*seiner Dissertation über (Anti-)Rassismus in der Kunst- und Kulturproduktion. Evgenija Filova hat einen Research-MA-Abschluss in Critical Gender Studies von der Central European University und einen BA in Kunst und Kunstgeschichte von der New York University Abu Dhabi. Intersektionaler Trans- und queerer Feminismus prägen ihre*seine Forschungs-, Lehr- und Schreibpraxis.

 

[1] Die kursiv gesetzten Gedichte sind aus dem Abendprogramm zitiert, die restlichen stammen von der*m Autor*in.

 

 

 
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