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Die etwas andere Nähe im Tango

PARASOL Gespräche I

 

PARASOL Gespräche I

Im Format PARASOL Gespräche treffen sich die Teilnehmer*innen des Fortbildungsprogramms PARASOL – der Tanzgruppe des Tanzquartier Wien – mit Luca Büchler und geben Einblicke in den Entstehungsprozess der beiden Stücke, die in diesem Rahmen entwickelt werden. Aktuell finden die Proben für das Projekt SCHOOL unter der künstlerischen Leitung von Krõõt Juurak statt. Lens Kühleitner, Julia Müllner und Oneka von Schrader – drei der fünf PARASOL-Teilnehmer*innen – erzählen von den Herausforderungen, die das Erlernen von Tango und Stand-up-Comedy mit sich bringt, und wie es ist, plötzlich wieder in der Schule zu sein.

Luca Büchler: Was war in der Schule euer Lieblingsfach?

Julia Müllner: Ich muss kurz überlegen. Definitiv nicht Werken, denn das war nach Geschlechtern getrennt. Und am technischen Werken durften nur die Buben teilnehmen. Ich mochte Analogfotografie. Wir hatten eine Dunkelkammer, in der wir selbst entwickeln konnten.

Oneka von Schrader: Bei mir war es generell Englisch. Ich hätte wahrscheinlich auch Musik gemocht, aber wir hatten ständig andere Musiklehrer*innen, und die meisten waren eher fadisiert oder recht streng.

Lens Kühleitner: Alle außerschulischen Aktivitäten, bei denen ich, vor allem an der HTL, Fächer legal schwänzen durfte.

LB: Wie bei dir, Oneka, hing es bei mir meist mit den lehrenden Personen zusammen, wie ich das Schulfach fand.

OvS: Ja, total. Ich hatte in den letzten zwei Jahren meiner Schulzeit in der Walz eine Lehrerin für Kunstgeschichte, die begeistern konnte. Sie wusste zu jedem Bild im Kunsthistorischen Museum etwas zu erzählen und hat das so gut verpackt, dass es extrem spannend war, ihr zuzuhören. Darüber haben wir auch heute Früh mit Krõõt geredet: Wie kann eigentlich am besten eine Leidenschaft für etwas ausgelöst werden?

LK: Genau, wir hatten eine spannende Diskussion über Obsession. Ich habe das Gefühl, dass ich sehr obsessiv werden kann, vor allem dann, wenn ich mich einbringe. Bei PARASOL haben wir einen vorgegebenen „Schulalltag“, daher gibt es diese Möglichkeit nur begrenzt. Es wird von mir allerdings auch nicht erwartet, meine Expertise zu teilen. Krõõt interessiert, so habe ich es verstanden, das „Nichtproduktivsein“, doch wir wären produktiv, würden wir uns zum Beispiel gegenseitig anleiten.

JM: Ich denke, Schule geht mit Produktivität einher. Ständig kommen Fragen auf wie: Muss ich was nachholen? Gibt es Hausübungen? Gerade deswegen kann es spannend sein, Produktivität und Lernen anders zu denken.

LB: Welche Erfahrungen habt ihr in Bezug auf Lernen gemacht, und wie beeinflusst es euch in SCHOOL?

OvS: Es macht auf jeden Fall etwas mit mir, das Lernen so zu konzeptualisieren. Ich habe gemerkt, dass ich dadurch auch außerhalb anders auf Lernerfahrungen reagiere. Ich kann mir selbst mehr zuschauen, und manchmal ist es lustig, beim Lernen schwierige Situationen zu haben oder frustriert zu sein. Das willkommen zu heißen finde ich spannend.

JM: Ich kann das Gefühl sofort aufrufen, wenn die lehrende Person vor der gesamten Klasse eine Frage an mich stellt und ich gar nicht abliefern kann oder rot im Gesicht werde. Bei SCHOOL sind aber genau diese unangenehmen Momente gefragt.

LK: Ich habe eine Seite in mir, die das, was wir hier tun, theoretisch und konzeptuell spannend findet und daran teilhaben kann, die ist aber noch nicht sehr aktiv. Ich versuche noch, herauszufinden, wie das möglich ist – aktiv zu sein und dabei nicht produktiv. Dann gibt es noch eine andere Seite, in der produktiv sein zu müssen, die Zeit und den Raum gut zu nutzen, stark wird; weil ich so geprägt und sozialisiert bin und weil ich es als großes Privileg wahrnehme, hier zu sein und dieser Form von Arbeit nachzugehen. Wenn ich den Leuten vom Tanzquartier im Gang begegne, habe ich z. B. das Gefühl, ich muss so ausschauen, als würde ich schwitzen, damit die das Gefühl haben, dass wir was machen.

OvS: Dass es so ausschaut, als würden wir richtig hart arbeiten.

LB: Was ist aktuell die größte Herausforderung für euch?

JM: Für mich ist es, die ganze Zeit sich selbst zu performen.

LK:  Für mich ist Stand-up-Comedy meine größte Challenge. Ich bin sehr gerne auf der Bühne und dabei lustig, z. B. bei meinen Konzerten. Bei Stand-up habe ich allerdings das Gefühl, das in einer bestimmten Form sein zu müssen, abzuliefern und dabei eben auch wieder etwas, das ich gerne „einfach so“ mache, produktiv werden zu lassen.

OvS: Ich habe Sorge, dass ich bei der Performance nicht abliefern kann und alle runterziehe. Oder aber auch dass wir es alle gut machen wollen und es dadurch zu ernst wird.

LB: Das heißt, Tango macht euch gerade keine Bauchschmerzen?

JM: Doch, beim Tango bin ich schon noch unsicher. Denn es wird eng zusammengetanzt, und ich traue mich fast nicht zu atmen. Dadurch versteife ich mich. Es gibt zum Glück Hilfen: etwa die Schultern zu entspannen und das Gewicht zu verlagern. Dann kann ich loslassen und vergessen, dass ich gerade der anderen Person ins Auge atme.

LK + OvS: *lachen*

LK: Ich finde es so spannend, weil ich mit Personen, die mir nahestehen, gerne körperlich bin, aber die Tango-Nähe ist anders. Durch die Hinweise unserer Tango-Lehrer*innen Martin Maldonados und Maurizio Ghellas merke ich, wie ich versuche, den Menschen nicht zu nahe zu kommen, nicht zu viel zu sein. Beim „Closed Embrace“, also wenn wir sehr nahe miteinander tanzen, fallen diese Bedenken weg, weil wir uns ohnehin sanft aneinanderlehnen.

JM: Ich empfinde auch die unterschiedlichen Körpergrößen als Herausforderung. Ich weiß nicht, wo ich hinschauen soll, und dann starre ich immer auf einen Punkt, z. B. auf das Schlüsselbein. Aber dann frage ich mich, ob das Gegenüber denkt, dass ich ihr auf die Brüste schaue, weil ich kleiner bin. Da gibt es schon unangenehme Momente.

OvS: Für mich ist eine große Challenge, im Tango als „Proposer“ die Schritte vorzuschlagen. Gleichzeitig ist es faszinierend, dass es in dem sensiblen Tangostil, den wir in den Klassen mit Martin und Maurizio lernen, darum geht, vom „Pushen“ wegzukommen und stattdessen in den Rollen als „Proposer“ und „Interpreter“ aufeinander einzugehen. Diese Sensibilisierung kann fast wie Physiotherapie sein. Mir ist etwa schon passiert, dass Martin mir von vorne zugeschaut hat und mich daraufhin auf die Spannung in meinem rechten Schulterblatt hingewiesen hat. Das finde ich sehr beeindruckend.

JM: Ich habe das Gefühl, Tango hat das Potenzial, zu einer Obsession zu werden. Die Stunden mit Martin und Maurizio vergehen total schnell, ohne dass ich ein einziges Mal auf die Uhr schaue.

LK: Ich muss sagen, dass ich es am Anfang sehr schwierig fand, dass wir Tango tanzen. Eine Tanzweise aus einem Kontext, mit dem ich nichts zu tun habe, verbunden mit der Frage nach kultureller Aneignung. Im gemeinsamen Tun mit Martin und Maurizio und auch in deren historisch-methodischer Kontextualisierung kann ich mich besser darauf einlassen.

JM: Für mich ist noch nicht ganz klar, wie das rüberkommen wird. Da es gemeinsam mit Stand-up-Comedy gezeigt wird, könnte es auch wirken, als würden wir uns lustig machen. Oder umgekehrt, das Publikum könnte unsere bescheidenen Kenntnisse belächeln. Ich denke, da müssen wir einen guten Rahmen finden.

OvS: Ich glaube, es geht darum, in welche Beziehung wir uns zum Tango setzen.

LK: Den Ansatz des Tangos, den wir lernen, haben Martin und Maurizio (weiter-)entwickelt. Er beinhaltet auch eine queere Perspektive. Martin und Maurizio konzeptualisieren Tango als eine Tanzweise, die aus und in der Arbeiter*innenklasse entstanden ist. Diese Hintergrundinformationen sind für mich sehr wichtig.

LB: Klingt, als wäre das eine sehr intensive Auseinandersetzung, nicht nur körperlich, sondern auch theoretisch. Was hattet ihr euch von dem Projekt PARASOL erwartet?

JM: Ich hatte davor keine spezifischen Erwartungen, weil es so viele unvorhersehbare Faktoren gab, etwa die Frage, wie wir als Gruppe funktionieren. Ein großer Pluspunkt ist natürlich, dass wir für sechs Monate einen Job und damit eine mehr oder weniger sichere Struktur haben. Das ist, glaube ich, für uns alle gut.

LK: Ich habe mir unterschiedliche Dinge erwartet. Z. B. hatte ich Lust, mehr zu tanzen, das war mir in der Vergangenheit u. a. wegen meiner Körperlichkeit teilweise verwehrt. Was ich ebenfalls sehr schön fand, war die Idee, etwas zu lernen, das ich mir sonst nicht leisten könnte.

OvS: Ich hatte vermutet, dass im Projekt mit Krõõt Stand-up-Comedy aufkommen könnte, aber Tango war eine tolle Überraschung, genauso wie diese coole Gruppe.

 
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