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HEU TO GO

PARASOL Logbook I

 

PARASOL Logbook I

Mit PARASOL – eine Tanzgruppe des TQW haben wir ein hybrides künstlerisches Fortbildungsprojekt, das sich an junge Tänzer*innen richtet, gestartet. Jedes Jahr werden zwei renommierte Choreograf*innen mit einer von ihnen ausgewählten Gruppe von fünf jungen Tänzer*innen je drei Monate ein Stück erarbeiten. Das PARASOL Logbook wird in unregelmäßigen Abständen Einblicke in die Arbeitsprozesse der Gruppe geben. Die Texte von Gianna Virginia Prein und Fotos von Marcella Ruiz-Cruz begleiten die Proben für die Performances mit Ian Kaler im Frühling 2022 und mit Alix Eynaudi im Herbst 2022, dokumentieren und portraitieren aber auch darüber hinaus das Projekt und seine Teilnehmer*innnen: Alex Bailey, Camilla Schielin, Júlia Rúbies Subirós, Shahrzad Nazarpour, Theresa Scheinecker. 

 

07.+ 08.02.2022

Beschreiben, was noch nicht stattgefunden hat: PARASOL textuell zu begleiten bedeutet, einzelne Probenprozesse zu beobachten und damit das Entstehen eines Stücks, das noch nicht existiert.

Wie oft kann ein rausgerutschtes Lächeln wiederholt werden? Oder ein Blick, der sucht, noch nicht performt? – Wie viel davon wird mit den Proben verschwinden?

Der Prozess beginnt mit einem sich annähernden Kennenlernen. Mit Kaffee, im Kunstmuseum, auf Post-its, dem Tanzboden, an der Schulter der*des Anderen. In den Übungen auf der noch kargen Probebühne treffen Gesten aus unterschiedlichen Vorbildungen, Trainings und Präferenzen vereinzelt aufeinander. Noch gibt es keine gemeinsame Geschichte, aus der eine Bewegungssprache hätte entstehen können, nur Input und Kommunikation. Letzteres als Schlüsselbegriff, der sich in meinen Notizen zu den Proben im Studio und zum Recherchetrip ins KHM unzählig verändert. Auch: Versuch. Und: sammeln. Die Hintergründe der Performenden sind vielfältig, in den Feedback-Runden geht es vorwiegend um empfundene Connections zueinander oder zu eigenen Körperteilen – und um den Moment kurz vor dieser Empfindung, diesem Erahnen. Umso spannender, wenn sich diese noch eher schüchternen Verbindungen durch die Bewegungen punktuell offenbaren.

 

18.02.2022

Ab wann wird der Augenaufschlag an den Rhythmus des restlichen Körpers angepasst? Wie sehr müssen kleinste Details einstudiert werden, um ein Gesamtbild zu kreieren, das nicht beliebig wirkt?

Nach ein paar Wochen: Zwei provisorisch aufgebaute, meterhohe Screens stehen im Studio. Neben ausgedruckten Makramee-Anleitungen liegen meterlange selbstgeknüpfte Seile die stark an Führstricke erinnern. Alex hält mir eine McDonald’s-Papiertüte unter die Nase, darin hat er etwas Heu gepackt, ein kleiner Immersionstrick oder -witz. Die Körperhaltungen während der Improvisationsübungen sind neuerdings gebeugter, und das rausgerutschte Lächeln hat sich zu einem beinah vertrauten Zwinkern entwickelt; die Gruppe war schon bei den Pferden. Eigenschaften scheinen bekannter, die Bewegungen zueinander etwas gefestigt. Anzeichen des Neu-Kennenlernens tauchen dennoch auf – oder sind das nur die neuen Requisiten? Ian schwingt sich die überdimensionalen handgeknüpften Stricke über die Schulter und legt sich, den Oberkörper halfterähnlich eingewickelt, zwischen Camilla, Theresa und Shahrzad und prob(ier)t mit.

 

24.02.2022

Die Hände sind rötlich geschwollen. Im Stall ist es kalt. CALYPSO, MIRRA, ALIBI, DANNY THE STREET und REY MYSTERIA treffen DINO, den alten Hengst (so oder so ähnlich könnte auch die schillernde Besetzung eines John-Waters-Films klingen). Entgegen der Annahme, dass Reiten im Umgang mit den Tieren zentral ist, passiert auf den Pferderücken wenig; die Interaktion spielt sich vorwiegend auf Augen- bzw. Hüfthöhe ab. Denn wenn du auf dem Pferd sitzt, siehst du sein Gesicht nicht.

Die Übungen im Stall überschneiden sich mit denen im Studio, nur dass die Vierbeiner nicht immer mitspielen. Je niedriger die Haltung und je abwechslungsreicher die Geräusche und Bewegungen, so scheint es, desto größer die Bereitschaft der Tiere, sich beispielsweise kontaktlos durch die Dualgassen führen zu lassen. Ihre charmante Sturheit und ihr wirkungsvolles Desinteresse, wenn sie abrupt stehen bleiben, karikieren die Menschen nahezu, die sich hochmotiviert und entzückt um sie herum bemühen. Mit geschlossenen Augen und den Händen am warmen Fellbauch wird der eigene Atem in einer der vielen angeleiteten Übungen aber auch achtsam an den des Tieres angepasst. Der Effekt ist erstaunlich; beruhigt und vergegenwärtigt treten alle in die finale Reflexionsrunde: Wenn du dich einem Pferd öffnest, lernst du vor allem dich selbst und deine eigenen Widerstände kennen.

 

Gianna Virginia Prein arbeitet als Künstlerin und Autorin. In ihrer transmedialen Praxis untersucht sie Überschneidungen von körperlichen und technischen Phänomen mit posthumanistischen Konzepten. Diplom in Szenografie an der Akademie der bildenden Künste Wien, Sprachkunst und TransArts an der Universität für angewandte Kunst Wien und Print & Time Based Media an der University of the Arts London. Veröffentlichungen u. a. in Spike Art Quarterly, im Katalog zu Tanzplattform 2018, auf viereinhalbsätze.com, in Jenny; sowie diverse Künstler*innenbücher – zuletzt MOTION SICKNESS zusammen mit Katrin Euller.

 
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