TQW Magazin
Andrea Heinz über On Earth I'm Done: Islands von Jefta van Dinther

Pas de deux mit Haushaltsroboter

 

Pas de deux mit Haushaltsroboter

On Earth I’m Done, so heißt das aus den Teilen Mountains und Islands bestehende Diptychon von Jefta van Dinther, und das können im Prinzip wohl viele unterschreiben derzeit: Mit der Erde bin ich durch. Die einen, weil es ihnen demnächst wirklich gelungen sein wird, die Erde fertig zu machen. Die anderen, weil sie nicht mehr mitansehen können, wie sich die Menschheit als komplette Fehlkonstruktion erweist. Das Stichwort Konstruktion führt dabei schon auf die richtige Fährte. Denn van Dinther untersucht in seinem Diptychon, wie es weitergehen könnte mit uns, wenn wir den Planeten und unsere aktuellen Lebensformen mal erfolgreich abgerockt haben werden. Also so circa in 20 bis 30 Jahren. Während Freddy Houndekindo im Solo Mountains ganz allein die existenzielle Ausgesetztheit des Menschen im Anthropozän schultern musste, sind es in Islands 13 Performer*innen der schwedischen Tanzkompanie Cullberg, die neue Wege des Zusammen- und Überlebens proben. Von wuchtiger, drängender Sinnlichkeit aber ist auch dieser Abend.

Zu treibenden Beats krabbeln aus mystischem Dämmerlicht einzelne Figuren in einen schmalen Lichtstreifen am Bühnenrand – beinah ein Schöpfungsmoment. Unklar, ob es sich um Menschen oder um archaische Lebewesen handelt, um Golems oder um Roboter. Unklar auch, wie sie an diesen von Zeit und Raum losgelösten Ort gelangt sind, ob sie die Besatzung eines Raumschiffs auf einem fernen Planeten sind, Ausgestoßene auf einer verlassenen Insel … Man weiß genauso wenig über Sinn und Zweck ihrer Existenz, wie wir Menschen über die unsere wissen. Klar ist, für sie wie für uns: Diese Existenz, das Zusammenleben müssen gestaltet werden. Die Gruppe jener Tänzer*innen, die zuerst ins Licht gekrabbelt kam, ist in geschlechtsneutrale schwarze Trikots gekleidet, auf denen sich ochsenblutrot Formen von Muskeln und Organen abzeichnen. Ihnen entgegen kriecht – bedrohlich, hilfesuchend? – eine Gruppe nackter Gestalten. Auf dem Weg streifen auch diese sich die gleichen schwarz-roten Trikots über, nur einer bleibt nackt und wird so zum Faszinosum für die Gruppe, deren Mitglieder einander offenbar völlig fremd sind. Sich geschmeidig, mal reptilien-, mal katzengleich über den Boden windend umkreisen ihn die anderen Wesen, beschnuppern, betasten, kosten ihn womöglich sogar. In einer eindringlichen, wie in Zeitlupe dargestellten Szene besteigt eine der Performerinnen ihn und setzt sich ihn reitend, den Mund zu einem lautlosen Schrei aufgerissen, an die Spitze einer unheimlichen Prozession, eines grausigen Trosses. Permanent oszilliert die Gruppe zwischen Nähe und Abstoßung, innen und außen, Kampf und Kooperation. Immer wieder separiert sich eines der Wesen, um dann erneut in den Schutz der Gemeinschaft zu finden, immer wieder brechen sich Aggressionen Bahn, um kurz darauf abgelöst zu werden von Sequenzen, in denen die Performer*innen einander kopieren, sich Verhaltensweisen abschauen oder von einer Stimme aus dem Off lernen, einzelne Laute zu artikulieren. Neben kulturellen Verhaltensweisen ist aber auch die Technik eine Option: Bisweilen verwandeln sich die Performer*innen in faszinierende mechanische Puppen, und das Pas de deux einer nackten Tänzerin und eines Staubsaugerroboters gehört – zumal in unruhigen ChatGPT-Zeiten – sicher zum Witzigsten, Unschuldigsten und Anrührendsten, das man auf Tanzbühnen gesehen hat. Unschuldig aber ist der Abend ganz sicher nicht: Er zeigt, was Menschsein bedeuten kann, im schlimmsten wie im besten Fall. Und dass nicht ausgemacht ist, dass es so etwas wie ein „natürliches“ Menschsein überhaupt gibt. So gesehen ist van Dinthers Diptychon nicht nur sehr existenziell, sondern auch ziemlich existenzialistisch.

Andrea Heinz ist 1985 in Bad Reichenhall geboren. Studium Literaturwissenschaft, Philosophie, Kunstgeschichte und Schwedisch in Passau und Wien. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Wien und freie Autorin für diverse Print- und Online-Medien.

 
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