TQW Magazin
Mika Maruyama im Gespräch mit Eisa Jocson zu Manila Zoo

Spektakel im Gehege

 

Spektakel im Gehege

Mit Manila Zoo, dem dritten Teil der HAPPYLAND-Serie, setzt Eisa Jocson die Erkundung von Walt Disneys Imperium des Glücks fort. Die Österreichische Erstaufführung war für den 23. April geplant und musste aufgrund der Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie verschoben werden. Mika Maruyama traf sie online zu einem Gespräch über die Genese der Performance.

 

Mika Maruyama: Wie gehst du mit der politischen Dimension des philippinischen Körpers und der Produktion von Glücklichkeit in Manila Zoo, dem dritten Teil der Serie HAPPYLAND, um?

Eisa Jocson: HAPPYLAND ist im Kontext philippinischer Arbeitskraft verortet, in der Darbietung von Glücklichkeit und der Inszenierung von Fantasie in Disneys Glücklichkeitsimperium. Hochqualifizierte philippinische Entertainer*innen werden als anonyme Hintergrundkünstler*innen engagiert, um Räume in beliebigen Szenografien auszufüllen; als Zebras in „Der König der Löwen“, als Affen in „Tarzan“ oder als Fiesta-Darsteller*innen bei der Parade. Eine Kultur ständiger Krisen hat Filipinos*Filipinas zu Weltmeister*innen im Verwandeln ihres Äußeren herangezogen. Der Ausgangspunkt des dritten Teils von HAPPYLAND, Manila Zoo, ist die Arbeit am Spektakel, das von philippinischen Körpern produziert wird, die in Disney-Parks beschäftigt sind. Dann richtet die Performance den Fokus auf Menschen, die sich pandemiebedingt im Lockdown befinden. Das Stück wird in der neuen Normalität des Virtuellen übermittelt und zeigt verschiedene Gehegevarianten, die Menschen für sich und andere Arten entworfen haben. Sowohl Disney-Parks als auch Zoos sind kulturelle und räumliche Monumente dessen, wie wir die Körper anderer Tiere aus ihrem angestammten Lebensraum gerissen haben und sie seither marginalisieren und kontrollieren. Unsere städtischen Lebensbedingungen ähneln Tiergehegen in Zoos. Im Lockdown bekommen wir einen Eindruck vom Leben in Gefangenschaft.

Obwohl Manila Zoo im virtuellen Rahmen stattfindet, wird unsere Performance live aus den Zimmern der einzelnen Tänzer*innen in ein physisches Theater übertragen. Dadurch ist der Zeitunterschied zwischen Manila und Europa zu einem wichtigen arbeitspolitischen Faktor geworden. Die früheste Beginnzeit, die wir für europäische Veranstaltungsorte aushandeln konnten, ist 18 Uhr Ortszeit, das ist Mitternacht in Manila. Das bedeutet, dass bei unserer Show die gleichen Arbeitszeiten und -bedingungen herrschen wie in philippinischen Callcentern, und drei der Darsteller*innen waren sogar einmal als Callcenter-Mitarbeiter*innen tätig. Daraus hat sich unter uns eine Diskussion darüber ergeben, wie philippinische Arbeitskräfte dazu gezwungen werden, sich dem natürlichen Tagesrhythmus anderer Menschen anzupassen, während unser eigener unberücksichtigt bleibt, als wären wir einfach nur Automaten. In Manila Zoo treiben wir die Darbringung von Dienstleistung, Spektakel und stereotypem Verhalten auf die Spitze, um uns von Systemen der Eingrenzung zu befreien, sie zu überfluten und zu zertrümmern, angefangen bei unseren Körpern, in unseren Zimmern und in den virtuellen Rahmen.

Wiederholungshäufigkeit war ein wesentlicher Aspekt in den bisherigen Arbeiten von HAPPYLAND, und in Manila Zoo verwendest du auch sich wiederholende Tierbewegungen und menschliche Fitnessübungen als Stilmittel. Wie setzt du das Wiederholen von Bewegungen zum Aufzeigen unterschiedlicher Körperpolitiken ein?

Wiederholung ist ein wesentlicher Bestandteil der Erziehung und Disziplinierung des Körpers / von Körpern. Wie, wo und warum sich ein Körper bewegt, wird von seinem Umfeld eingeschränkt und bedingt. Filipino*Filipina zu sein ist für meine Arbeit von zentraler Bedeutung, außerdem geht es dabei um den dienstleistenden Körper und um affektive Arbeit. Der Einfluss des westlichen Imperialismus und Neoimperialismus hat über viele Jahre hinweg philippinische Arbeitskräfte geformt, die bereit für den Einsatz auf dem globalen Markt sind. Die Notwendigkeit dieser Systeme, Körper zu kategorisieren und zu kontrollieren, durchdringt alles – von Grenzen über Arbeit bis hin zu anderen Tierarten. Schon vor der Pandemie war das Leben und „Funktionieren“ eines Großteils der städtischen Bevölkerung entfremdenden disziplinarischen Zwängen unterworfen. Die Pandemie hat unsere Isolation in den einzelnen Zellen unserer Häuser verstärkt, es ergeht uns nun ähnlich wie Tieren im Zoo. Auf engstem Raum werden sich wiederholende Bewegungen und Fitnessübungen sowohl für Menschen als auch für Tiere überlebenswichtig, wie z. B. auf dem Laufband und im Hamsterrad. Tiere in Gefangenschaft entwickeln Zoochose bzw. zeigen stereotypes Verhalten, wobei die Bewegungen, die sie machen, als unveränderliche, sich wiederholende Verhaltensmuster ohne erkennbares Ziel oder erkennbare Funktion beschrieben werden. Wie Tiere in Gefangenschaft leiden wir Menschen unter Stress und Depressionen und zeigen in Isolation ähnlich ungewöhnliche Verhaltensweisen.

In Manila Zoo sind menschliche Fitnessübungen und stereotypes Tierverhalten mit Vokabularien der Dienstleistung und des Spektakels verflochten, die den menschlichen Körper in einen Zustand des Wahnsinns und der Monstrosität versetzen, in etwas, das sich dem Verstand entzieht.

Manila Zoo wurde aufgrund der Pandemie immer wieder umgearbeitet, und du hast mit virtuellen Formen in verschiedenen Kontexten experimentiert. Wie gehst du mit der zwangsläufigen Verlagerung in die Onlinewelt um?

Ich finde, dass die Kontroll- und Entfremdungsmechanismen, die den Kern von Manila Zoo bilden, während der Pandemie merklich zugenommen haben und alle (die privilegiert genug sind) dazu gezwungen haben, sich in die Onlinewelt zu begeben. Es war daher ein logischer Schritt, Manila Zoo entsprechend anzupassen und an diesem neuen Ort der virtuellen Gehege zu erarbeiten. Es ist herausfordernd, aber gleichzeitig auch spannend, unter neuen Bedingungen zu beobachten, zu reflektieren und kreativ tätig zu sein. Außerdem sind wir Filipinos*Filipinas anpassungsfähig – egal was passiert.

Wir haben das Livestreamen unserer Performance in einen Ausstellungsraum erstmals von Mai bis September 2020 ausprobiert, und zwar im Rahmen des Langzeitperformance-Rechercheprojekts Zoo (für Manila Zoo), das vom Tai Kwun Contemporary Art Museum in Hongkong in Auftrag gegeben wurde. Auf einem Flachbildschirm im Ausstellungsraum performte dabei während der gesamten Öffnungszeit des Museums immer ein*e Künstler*in per Livestream aus Manila. Sobald die Zuschauer*innen im Museum begriffen hatten, dass der Stream live und bidirektional war, interagierten sie mit dem*der Performer*in auf dem Bildschirm auf eine Weise, die wir nicht erwartet hatten. Dann haben wir daran gearbeitet, unsere Performance für Work-in-Progress-Showings von Manila Zoo unter Verwendung einer größeren Leinwand live in Theaterräume in Taipeh und Yokohama zu übertragen. Dadurch hat das Stück eine filmische, kinohafte Komponente erhalten. Was wir an physischer Präsenz verloren haben, haben wir an Dimension gewonnen.

Das Stück findet zum Teil online statt, wobei die Performer*innen und das Videotechnikteam remote arbeiten, die Zuschauer*innen können jedoch nur darauf zugreifen, wenn sie physisch im Museum oder im Theater anwesend sind. Ich glaube an die Energie einer kollektiven Zuschauer*innenschaft an solchen Orten. Im Internet gibt es zu viel Ablenkung.

In deiner Praxis stellst du immer wieder die Politik des Blicks und des Spektakels in den Vordergrund. Welche Rolle spielt für dich das Publikum in diesem Stück?

In Manila Zoo wird die Prämisse Zuschauer*innen / Spektakel in einem Spannungsfeld zwischen den Dynamiken von Videokonferenz-Plattformen und Theatern geschaffen und inszeniert. Der Bildschirm wird dabei zur neuesten Form eines Geheges: Sowohl die Darstellenden als auch die Zuschauenden werden von ihm umrahmt und auf ihm betrachtet. Diese virtuelle Situation ist für Liveperformer*innen schwierig. Unsere Liveperformance wird in Code umgewandelt, und wir erscheinen auf einer ebenen Fläche als projizierte Pixel. Jede*r von uns tritt in seinem*ihrem Zimmer auf und erscheint gleichzeitig in einem einheitlichen virtuellen Raum. Die Wahrnehmung ist verzerrt; das Publikum existiert nur in der Vorstellung, bis es in einer virtuellen Zelle neben den Zellen unserer Performer*innen auftaucht. Das Stück ist räumlich in der physischen Realität des Zimmers jedes*jeder Darstellenden choreografiert, aber durch die Übertragung mit der Kamera entsteht eine visuelle Choreografie. Der Kreis schließt sich, wenn das Publikum in Manila Zoo einbezogen und zu einem Teil des Stücks wird.

Während der Erarbeitungsphase hat es auch einmal eine Liveperformance auf der Bühne gegeben. Diese Idee hast du allerdings in der endgültigen Version verworfen. Wieso hast du dich entschieden, dich nur auf die Livestream-Performance im Theater zu konzentrieren?

Mitte 2020 war ich so naiv zu glauben, dass die Pandemie vor 2021 vorbei sein würde, und wir spielten mit dem Gedanken, ein hybrides Stück zu machen. Es war geplant, dass einige der philippinischen Performer*innen virtuell auftreten und andere live auf der Bühne. Bei den Vorbereitungen dazu haben wir während der Entstehungsphase in Frankfurt und Yokohama verschiedene Strategien mit einem*einer Künstler*in vor Ort ausprobiert, bevor wir uns für die endgültige Livestream-Form in einem Theater entschieden haben. Es gab z. B. die Idee, einen ortsansässigen „Avatar“ zu engagieren und ihm das Verkörpern philippinischer Arbeitskräfte auf der Bühne zu beizubringen. Aber wir merkten, dass wir im virtuellen Raum gegenstandslos gemacht wurden, sobald ein Live-Avatar auf der Bühne war. Die virtuelle Performance kann nicht auf ihrer politischen Aussagekraft beharren, wenn sie die Liveperformance-Arbeit an einen lokalen Avatar auslagert. Eine andere Idee war, dass der*die lokale Liveperformer*in die Rolle eines*einer menschlichen Expert*in übernimmt und durch das Programm unserer virtuellen Performance führt. Damit war das Problem der Übersetzung in Yokohama gelöst, aber das Stück wurde so seiner mehrdeutigen Dimensionen beraubt. Mir ist bewusst, dass Programmverantwortliche in Theatern Stücken ohne Livepräsenz auf der Bühne skeptisch gegenüberstehen. Aber nach mehr als einem Jahr verschiedener Abstufungen der Isolation in der Pandemie ist es nicht einfach, zur alten Normalität zurückzukehren. Unsere Haltung gegenüber anderen anwesenden Körpern hat sich verändert und wird weiterhin reguliert. Physische Anwesenheit löst einerseits Angst, andererseits Verlangen aus; Körper als potenzielle Virusträger stehen unserem Bedürfnis nach physischem menschlichem Kontakt gegenüber. Lockerungen der Lockdown-Beschränkungen in einem Land gelten nicht automatisch für andere. Manila befindet sich seit Beginn der Pandemie durchgehend im Lockdown. Indem wir unsere Performance live streamen, können wir die aktuelle Realität und das eingeschränkte Leben in Manila aufzeigen. Das ist Manila Zoo. Für uns ist es mehr als eine Show, es ist ein gemeinsamer Ort der Befreiung, der Zuflucht, der Reflexion, der Fürsorge, des schöpferischen Tuns, der Freundschaft und des radikalen Weitermachens geworden. Es war und ist eine Konstante in einer Zeit der Instabilität. Das Stück basiert auf unseren täglichen Erfahrungen während des Lockdowns, dem Umgang mit persönlichen und kollektiven Schwierigkeiten unter einer inkompetenten, korrupten, brutalen und opportunistischen Regierung. Wir haben einen Raum in der virtuellen Welt und in unseren Körpern geschaffen, um chimärenhaft, monströs … unergründlich zu werden. Paradoxerweise ist Manila Zoo zu einem Zufluchtsort geworden, zu einem Ort, an dem wir unsere Wut und unsere Trauer reflektieren und in schöpferische Kraft verwandeln können.

 

Mika Maruyama, geboren in Japan, lebt und arbeitet in Wien und Tokio als Autorin, Kuratorin und Forscherin. Sie schreibt Rezensionen und Artikel für Künstler*innenbücher und Kunstzeitschriften, u. a. Flash Art, Camera Austria, Bijutsu Techo und artscape. Derzeit arbeitet sie an ihrer Dissertation an der Akademie der bildenden Künste Wien.

 

 
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