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Rakete 2023

Kurator Lewon Heublein über das TQW Nachwuchsfestival

 

Kurator Lewon Heublein über das TQW Nachwuchsfestival

Eve Kosofsky Sedgwick schrieb einmal, dass „die grundsätzliche Rücksichtslosigkeit des Begehrens eine Quelle der Kreativität ist, die neuen Optimismus und neue Erzählungen von Möglichkeiten hervorbringt“. Es ist also kein Zufall, dass das Begehren (EN: desire) oft die treibende Kraft für viele junge künstlerische Praktiken jeglicher Art – aber vor allem im zeitgenössischen Tanz – ist. Folgt man Paz Rojo, könnte es eine gute Idee sein, „einen Mangel (EN: lack) an Zukunft zu praktizieren, der sich als Gelegenheit erweisen kann, den Körper nicht in eine vorgegebene Richtung zu lenken“. Der Mangel, man könnte ihn auch als „Glitch“ bezeichnen, scheint mir ein solider Ausgangspunkt zu sein, um Dinge auszuprobieren „mit der Möglichkeit, das Noch-nicht-Produzierte zu verkörpern“: Man tanzt, weil man tanzen will. Indem man die Normen eines funktionierenden Körpers hinter sich lässt, sich aus der Euphorie heraus bewegt, wird der Tanz per se zum Motor für eine Reise in unbekanntes und aufregendes Terrain.

Ausgehend von der Manifestation des Mangels navigiert das Nachwuchsfestival Rakete durch diese Zeiten, in denen jeder Trend und jede Utopie zu oft versucht, verständlich zu sein, oder nostalgisch ausfällt. Rakete verschreibt sich stattdessen einer Ästhetik, die – mal laut, mal zurückhaltend – Spaß daran hat, nicht immer lesbar sein zu müssen. Manchmal geht es einfach darum, ein Gefühl zu hinterlassen, das das Publikum selbst erkunden muss.

Das Begehren und seine Widersprüche, ohne dabei den Schmerz, der bei der Erschaffung dieser Räume entsteht, auszulassen, ziehen sich wie ein roter Faden durch die Arbeiten der eingeladenen Künstler*innen. Mit ihrer Begeisterung für die verschiedenen Facetten von Sound, Pop- und Subkultur, Kitsch und Camp, Intimität und Transformation teilen sie den Mut, ihre Bühnen in „Begehrensmaschinen“ zu verwandeln.

Während Luca Bonamore sich vom Cruising inspirieren lässt, erforschen Magdalena Mitterhofer und Shade Théret den Begriff der Wut mit all seinen körperlichen, aber auch sprachlichen Dimensionen und folgen gemeinsam mit Pier Paolo Pasolini und Anne Sexton einer Abwärtsspirale in Richtung Hölle. Am Eröffnungsabend finden außerdem eine Intervention von Anna Rimmel und ein Konzert von Lau Lukkarila statt.

Am zweiten Wochenende – kurz nach einem Online-Vortrag von McKenzie Wark in den TQW Studios und einer von adO/Aptive Reading Group moderierten Lesegruppe zu Warks neuem Buch Raving – tanzt Catol Teixeira an der Schnittstelle von Poesie und queerem Denken, Dekolonialität und Feminismus. Gefolgt von Lara Dâmaso und ihrem wunderschönen dissonanten Gesang, der eine emotionale akustische Landschaft voller Intimität und Trauer im AIL in der Alten Postsparkasse schafft. Nana Dahlin, die derzeit an der Akademie der bildenden Künste Wien studiert, widmet sich ebenfalls dem Klang, in Form von Melodien, und die sie mit Poesie und Gesten des Versteckens paart.

Sound ist auch einer der Schwerpunkte der dritten Woche, in der Magdalena Forster gemeinsam mit Milena Georgieva aka Yuzu einen Raum bespielen wird, der einem besonderen Organ gewidmet ist: der Leber. Suutoo – eingeladen zusammen mit Hyperreality – erforscht in den audiovisuellen Performances die Poetik als eine Praxis, aus der radikal neue Mythen entstehen können.

Am letzten Wochenende wird maria mercedes aka Camilla Schielin und Julia Müllner eine neue Performance über den Sonnenuntergang und alles, was damit zusammenhängt – die Romantik, aber auch die Lust auf Abenteuer –, auf der MQ Libelle aufführen. Und weit weg von Disney-Fantasien taucht Snorre Elvin in die fließende Welt der Meerjungfrau, einer Diva und queeren Ikone, ein. Die Schönheit des Scheiterns und der radikalen Hingabe wird am Ende der Festivalausgabe bei einer Karaoke-Party, gehostet von Luca Büchler, zelebriert. Das Motto: There is no guilty pleasure. There is only pleasure.

Lewon Heublein (Kurator Rakete)

 
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