TQW Magazin
Sean Pfeiffer über padded von Lisa Hinterreithner

Raum für Zeit

 

Raum für Zeit

Mehr noch als die vielfarbigen, vielförmigen Matten und Decken und Polster ist es das Abstellen meiner Schuhe neben anderen auf der Bank beim Eingang, das das Studio in den Ruheraum eines Kindergartens verwandelt. Wie kindlich-schlaftrunken richten die drei Performerinnen sich dann auch zwischen den Stoffen auf, finden in einigem Abstand voneinander „zu sich“. Noch nicht zur Bewegung, nicht sofort; erst, scheint es, zur Lage – der Dinge, der Körper mit den Dingen, oder hier: unter den Dingen. Die Polster und Decken werden nicht zur Seite geschoben, dienen nicht als Startblöcke, von denen aus man sich ins „eigentliche“ Stück abstößt. Stattdessen kosten Lisa Hinterreithner, Rotraud Kern und Jasmin Scheitl diese eigentümlich geschichtete Unschärfe des „Wach, doch noch nicht ganz wach“ aus, erforschen sie. Setzen sich zärtlich wie spielerisch zu den Materialien ins Verhältnis, in Verhältnisse. Gehen liegend, kriechend, Purzelbäume in Zeitlupe andeutend, dann wieder ganz unter Polstern verborgen, Impulsen nach und finden Gesten, die auf den ersten Blick für nichts als sich selbst einstehen: Was, wenn ich mir den Stoffkörper – kreisrund, tischgroß, mit einem Loch in der Mitte – als Hut aufsetze? Wie viel wiegt er? Kann ich noch aufrecht sitzen? Wenn er schwer ist, muss ich dem Gewicht ruckartig nachgeben oder kann ich allmählich, können wir – Material und ich – uns gemeinsam absenken? Dies alles so entschleunigt, dass die drei Performerinnen die wenigen Meter, die sie voneinander trennen, erst zum Ende des Stücks hin zurückgelegt haben. (Ohne Weiteres ist denkbar, dass sie sie in einer anderen Vorstellung schneller und in wieder einer anderen gar nicht zurücklegen.) Einander berührt man dann nicht mit gesteigertem, sondern mit gleichbleibendem Interesse; begegnet den menschlichen Gegenübern als – verglichen mit den Stoffkörpern – in gleichem Maße idiosynkratischen Gefügen und Refugien.

Bei aller Unvoreingenommenheit, die hier Programm ist, sieht das Publikum eben auch das: ein Programm. padded ist ein Raum für Zeit; vielleicht auch eine Zeit für Raum. Und weil es sich bei beiden um limitierte Ressourcen handelt, gilt es, eine in der anderen zu finden, den Fakten – TQW Studio, drei Abende à drei Vorstellungen à 45 Min. – entgegenzuwirken. Dazu entwickeln Hinterreithner, Kern und Scheitl Strategien der geregelten Geborgenheit: halten sich z. B. ständig nah am Boden auf, vermeiden unvermittelte Bewegungen, geben zwar hin und wieder Töne von sich, übertönen aber nie den Klangteppich (von Lisa Kortschak und Elise Mory) aus den sichtbar im Raum verteilten Bluetooth-Boxen. (Ein Urwald? Ein Gletscher? Ein Magen? Das Innere einer Hosentasche? Ein versehentlicher Anruf, dem man, statt ihn wegzudrücken, hochkonzentriert lauscht.) Es dauert auch, bis man die Farb- und Materialauswahl in all ihrer Sorgfalt zu erfassen beginnt, die Eigenarten der von Brigitta Schöllbauer und Michaela Altweger eigens für die Performance konstruierten Stoffgehäuse. padded widmet sich dem Zustand so sehr wie dem Bild des Zustands. Man denke an die halb authentische Schläfrigkeit des Kindes, das sich am Ende der langen Autofahrt von seinen Eltern ins Bett tragen lässt. Gerade dieses Element der Darstellung, Berechnung („Wie fest dürfen die Arme um den elterlichen Hals geschlungen werden, bevor die Behauptung, man schaffe die hundert Meter von Autotür zu Haustür nicht allein, an Glaubwürdigkeit einbüßt?“), führt den Körper, der performt, mitunter tiefer in die angestrebte Echtheit des Gefühls.

Was aber ist mit den anderen, den nicht performenden Körpern des Publikums? Anders als z. B. Hinterreithners This is not a garden (2022), wie padded ein Ort der Langsamkeit und der Begegnung in der Langsamkeit, an dem die Zuschauenden eingeladen waren, sich selbst durch Interaktion (hier: mit pflanzlichen Objekten sowie miteinander) zu beteiligen, Teil und Erweiterung des Raumes zu sein, spricht padded keine solche Einladung aus, impliziert auch keine. Wir betreten das Studio auf Socken, nehmen statt in Stuhlreihen auf Kissen an der Wand Platz, doch versenken nicht die Köpfe in ihnen, sondern sehen den Performerinnen dabei zu, wie sie die eigenen versenken, hinabtauchen, sich bergen, abwenden – und bleiben selbst zugewandt. padded führt keinen Zustand der Geborgenheit herbei, zumindest nicht für mich. Es führt mir geborgene Körper vor, lustvoll wie kontrolliert; macht einen Vorschlag von Geborgenheit und erzeugt – formuliert – so ein Verlangen, das es nicht erfüllt, sich nicht anmaßt, erfüllen zu können. Das Verlangen aber nehme ich gern an und mit und auf und balanciere es nach Hause.

 

Sean Pfeiffer, geboren 2000 in Frankfurt a. M., lebt in Wien. Schreibt Lyrik, Prosa und Theaterstücke sowie über zeitgenössischen Tanz und Performance; Letzteres seit 2022 vor allem für ImPulsTanz – Vienna International Dance Festival. Seit 2021 Studium am Institut für Sprachkunst der Universität für angewandte Kunst Wien.

 

 
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