TQW Magazin
Franz Anton Cramer

Reden über Schreiben – Schreiben über Schreiben

 

Reden über Schreiben – Schreiben über Schreiben

Ich halte mich für einen erfahrenen Autor. Doch zählt das Schreiben über das Schreiben zu den heikelsten Sujets der Autor_ innentätigkeit. Über die Einladung zu einem Labor Reden über Schreiben war ich daher schon deshalb froh, weil es für fünf Tage die Möglichkeit bot, das Schreiben selbst zu vermeiden und in tastenden Austausch zu treten über die Bedingungen, Aufgaben, Verantwortungen und Möglichkeiten des Schreibens über Tanz, Performance, Choreografie und Aufführung. Dazu braucht es eine Vielzahl von Stimmen und Zugängen, Positionen und Lesarten.

Das TQW Magazin ist auch deswegen lanciert worden, weil das Schreiben über Tanz makroökonomisch zunehmend marginalisiert wird, weil die klassischen Medienträger erodieren und weil neue Formate und Interessen laufend hinzukommen und befördert werden müssen. Wenn Schreiben über Tanz aber viel mehr ist als Rezensieren, wenn es nicht mehr primär darum geht, „well-made criticism“ abzuliefern, worum geht es dann? Hier tauchen Fragen auf, nach den Politiken des Schreibens und der Art, wie wir als Autor_innen Kriterien, Sehgewohnheiten, Vorurteile, Unverständnis und auch Macht einsetzen. Von welchen Positionen aus können wir schreiben? Lassen sie sich verändern? Durchschauen wir überhaupt, wie wir schreiben? Ebendiese Fragen sind es, die der autorschaftlichen Routine das Leben schwer machen.

Die Beiträge zum TQW Magazin aus der ersten Saison dokumentieren vor allem die unterschiedlichen Ausgangspositionen der Autor_innen und deren Blick auf die Haltung von Künstler_innen. Eigenes inhaltliches Interesse an den im Werk thematisierten Fragestellungen, Vertrautheit mit den Arbeitsweisen der Tanzschaffenden oder Neugier auf Ungesehenes informieren die Art der Auseinandersetzung, nicht so sehr die Gepflogenheiten der Textdramaturgie. Und die konzeptionellen Assoziationen zu gesellschaftlichen Umbrüchen, politischen Forderungen, formalen Experimenten beziehen sich dann ebenso sehr auf das Engagement von Tanzschaffenden wie auf das von Zusehenden. Vielleicht liegt das an der spezifischen zeitgenössischen Dynamik des Werkbegriffs. Im klassischen Sinne gilt: Die Entstehung eines Werks, gleich ob künstlerisch oder kritisch, erfordert Genauigkeit und Klarheit. Um diese zu erreichen – und zu erkennen –, bedarf es bestimmter Merkmale. Es geht mithin um jenen Punkt der Begegnung, der Kontaktnahme, an dem die unterschiedlichen Systeme des Denkens, des Empfindens, der Wahrnehmung und des Redens sichtbar werden. Denn das Werk allein bedeutet letztlich gar nichts; es braucht den Austausch, den Dialog.

Aber kann so ein Dialog zwischen Zusehenden und Gesehenen überhaupt „auf Augenhöhe“ stattfinden? Versetzt nicht der kritische Blick immer schon in eine erhöhte Position, von der herab ich meine Wert- und Geschmacksurteile fälle? Wir verbinden mit der Kategorie Geschmack vor allem Willkür und Normativität. Das galt aber nicht immer. Friedrich Schillers charmante Anrufung der „stillen Arbeit des Geschmacks“ zielte vor allem auf Emanzipation und letztlich Subversion in einer utilitaristischen bürgerlichen Gesellschaft, in der das Individuum kaum zu sich selbst kommen kann. Die „stille Arbeit des Geschmacks“ erhebt das Individuum und letztlich die Menschheit und eröffnet beiden eine lichtere Zukunft. Um das „politische Problem in der Erfahrung zu lösen, [muss man] durch das ästhetische den Weg nehmen, weil es die Schönheit ist, durch welche man zu der Freiheit wandert“, glaubte Schiller. Doch um diesen schonen Pfad zur Freiheit zu finden, braucht es Geschmack als Strategie der Unterscheidung und der Erkenntnis. So konnten Kunst und Geschmack zum Aktionsraum der Distinktionsfähigkeit und damit der Selbstermächtigung bestimmt werden, auch im Gesellschaftlichen. (Schiller verfasste seine „Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen“ wenige Jahre nach der Französischen Revolution.) Diese idealistische Sicht scheint uns heute recht staubig, zumal die Emanzipation durch Kritik seit je meist Ersatz für die wirkliche, die politische Emanzipation geblieben ist.

Dass Tanz und Performance von Strategien der Selbstermächtigung getränkt sind, dürfte unstrittig sein. Doch wie reflektieren wir diese Prozesse, diese „stille Arbeit des Geschmacks“ im ‚Schreiben über‘? Emil Hrvatin alias Janez Janša hat diese Art der immanenten Kritik einmal als „arrogance of small differences“ beschrieben. Sie hat weniger mit emanzipatorischer Situation zu tun als mit Vorsprung an Wissen, Erfahrung und Aufführungsbesuchen. Doch das ist eine heikle Ressource. Sie beruht auf jener spezifischen Form der Anwesenheit, die jede_n Einzelne_n affirmiert und gleichzeitig reduziert. Unsere Aufführungserfahrung ist nie allgemein. Und doch schreiben wir für die Allgemeinheit, als stünden wir an ihrem Platz. Das ist vielleicht die Macht der Kritik, welche als Korrektiv nach einem Ethos des Schreibens verlangt. Denn die Wirklichkeit der Bühne braucht keine Norm und auch keine Urteile, auch wenn sie beides verträgt. Mit Sicherheit aber braucht sie Rückhall. Und den können, den müssen wir geben im Schreiben über Tanz.

 

Quelle:

Friedrich Schiller, Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen,    Stuttgart 1965

 

Im Juni hat Franz Anton Cramer das Labor Reden über Schreiben im TQW geleitet, wo er mit Jette Büchsenschütz, Christoph Chwatal, Theresa Luise Gindlstrasser, Christian Keller, Anna Kromer, Gianna Virginia Prein, Sara Schausberger und Michael Franz Woels unter anderem das TQW Magazin besprochen, Politiken des Schreibens hinterfragt und über Modelle zukünftigen Schreibens nachgedacht hat.

 

Franz Anton Cramer  ist Tanzwissenschafter, Philologe und Publizist. Als Lehrbeauftragter ist er an künstlerischen und wissenschaftlichen Einrichtungen tätig, zuletzt am HZT Berlin und an der Universität Salzburg. Bis März 2016 war er Wissenschaftlicher Mitarbeiter der DFG-Forschungsstelle Verzeichnungen an der Universität der Künste Berlin und von 2007 bis 2013 Fellow am College international de philosophie Paris. Gemeinsam mit Barbara Büscher ist er seit 2009 Herausgeber des E-Journals MAP – Media Archive Performance (perfomap.de).

 

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