TQW Magazin
Andrea Amort über Come Out von Olivier Dubois & BODHI PROJECT

Resistance! What a world . . .

 

Resistance! What a world . . .

Das Tanzstück Come out nach einer Vorlage von Steve Reich, choreografiert von Olivier Dubois für die BODHI PROJECT dance company von Susan Quinn, wird angesichts der Wienpremiere im Tanzquartier zur gar nicht abstrakten Folie für Assoziationen zur dramatischen geopolitischen Lage.

Eine nahezu quadratische Fläche auf hellem Boden in der Halle G im Tanzquartier. Darauf 21 Tänzer*innen in Ganzkörpertrikots mit Reißverschluss am Rücken, schuhlos, in ein und derselben nach vorn gebeugten, aber angespannt-bereiten Haltung, leicht schräg eingenommen. Präzise positioniert wie Figuren auf einem Spielfeld. Sekundenkurz tauchen Bilder aus Maurice Béjarts nachhaltiger Interpretation von Le Sacre du printemps mit seinem Ballet du XXe siècle aus dem Jahr 1959 auf. Gar nicht so weit entfernt von Olivier Dubois’ ursprünglich für das Ballet de Lorraine entworfenem Tanzstück zu Steve Reichs Komposition Come out (1966). Diese dauert eigentlich nur 13 Minuten und ist voll von Wiederholung, Phasenverschiebung und Reduktion, heizt aber in der von Dubois und François Caffenne auf rund 50 Minuten montierten, schier endlosen Wiederholungsschleife den geformten Handlungsbogen an.

„Eine oder mehrere Stimmen: Come out to show them, come out to show them, come out to show them . . .“ Reich hat auf einen damals aktuellen Vorfall von amerikanischer rassistischer Polizeiwillkür reagiert und nach Erhalt von auf Tonband aufgenommenen Zeugenaussagen auf Wunsch eines Aktivisten eine musikalische, politische Collage erstellt. Aus dem zehnstündigen Material wird das zitierte Satzende für Reich zentral.

Auf der Bühne richtet sich eine Tänzerin in der Mitte auf und setzt zu einer aus dem Oberkörper wie herausgehauenen schlagenden Bewegung an, der die Arme folgen. Nach und nach folgen weitere Akteur*innen. Dies wird die zentrale Geste der sich nach und nach entfaltenden und verändernden Inszenierung bleiben. Mit Variation.

Scheinbar abstrakt und anonym mutet das Geschehen anfänglich an. Die Wiederholungen aber, mit dem Impetus der akustischen Verdichtung und Verkürzung, führen die Zuschauenden gedanklich viel rascher, als sich beschreiben lässt, in medial um den Erdball transportierte Realitäten und Gefühlswelten.

Nein, dieses Mal ist es nicht vorrangig der andauernde Angriffskrieg Putins auf die Ukraine. Es ist der Überfall der im Nahen Osten mit schier unglaublichen Geldsummen finanzierten, als terroristisch eingestuften Organisation Hamas auf Israel vor wenigen Tagen. Der israelisch-palästinensische Konflikt geht mit einem neuen Krieg weiter. Je mehr Berichte über die an mindestens 1300 Menschen (Stand: 14.10.2023) begangenen Gräueltaten in Israel, die einem Pogrom gleichkommen, bekannt werden, desto widerlicher erscheint die Bestie Mensch, die faschistischen Machtideologien folgt. „Wir sind alle Israel“, sagte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock, die nach Israel reiste, um Haltung und Beistand zu zeigen, sinngemäß. In Deutschland soll die Hamas verboten werden. Deutschland und Österreich haben eine besondere Verantwortung Israel gegenüber, heißt es in den Medien. Ja, natürlich. Und es braucht die immer wieder angesprochene Zweistaatenlösung mit Palästina. Denn im „Open-Air-Gefängnis“, wie die ehemalige österreichische Außenministerin Ursula Plassnik die Lebensumstände der Zivilbevölkerung im Gazastreifen bezeichnet, droht durch die angekündigte Bodenoffensive Israels die nächste Katastrophe.

Die Gedanken ziehen weiter, und auf der Bühne verschiebt sich das Geschehen. Individuen stechen heraus, verändern die Grundbewegung, um sie immer wieder einzunehmen und noch kräftiger werden zu lassen. Dann endlich ein Ausfallschritt, der rechte Arm kommt vor, so viel Kraft, so viel rhythmisierte Kraft. Alles Weitere ist Interpretation und Ansichtssache: Kämpft hier jemand für oder gegen jemanden? Die Tänzer*innen werden ein Knäuel, ein Knäuel aus Körpern, ein scheinbares Durcheinander. Plötzlich zu zweit, die eine hebt den anderen . . .

Dubois nennt seine starke Choreografie eine Allegorie unserer Kämpfe. Ja, so kann man den Abend im Tanzquartier auch nennen. Viel, viel Applaus für die entschlossenen Tänzer*innen der SEAD Academy in Salzburg.

Das unweit gelegene Bundeskanzleramt hat die israelische Flagge gehisst. Außenminister Alexander Schallenberg spricht auf Ö1 erneut über das Szenario einer Zweistaatenlösung, die derzeit illusorisch erscheint, aber notwendig sein wird. Der nächste Beitrag im Mittagsjournal gilt den Unmengen an Fake News und Hasstiraden zum israelisch-palästinensischen Konflikt, die u. a. auf X (vormals Twitter) angeblich gelöscht werden . . .

 

Andrea Amort begleitet seit vielen Jahren die österreichische Tanzszene als Kritikerin, Dramaturgin und Kuratorin. Zuletzt: Alles tanzt. Kosmos Wiener Tanzmoderne (Ausstellung, Publikation, 2019) und umfangreiches Performanceprogramm im Theatermuseum Wien. Aktuelles Forschungsprojekt: Neubetrachtung der internationalen Bildungsstätte Hellerau-Laxenburg (1925–1939).

 

 
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