Choreografie als Bewegtbild
Ein BMW 278 fährt in den Hof 8 des Museumsquartiers, hippe französische Musik dröhnt aus den geöffneten Fenstern. Der Fahrer, Filmemacher César Vayssié, und seine Mitstreiter_innen (am ersten Abend Alix Eynaudi, gefolgt von François Chaignaud am nächsten Tag) parken auf dem Vorplatz des mumok.
César steigt aus und zeigt auf das Auto, womit er die Aufmerksamkeit des Publikums auf das schwarze Gefährt lenkt. Er setzt somit jedenfalls den Fokus auf die professionellen Tänzer_innen, ob das nun die lässig aus dem Auto steigende Alix ist oder François, der sich selbst aus dem Sitz schält und sich durch das Dachfenster hindurch in einen Kopfstand begibt. Mit der Selbstsicherheit eines Gebrauchtwagenhändlers oder möglicherweise der Einfühlsamkeit eines Familienmitglieds weist er auf sie hin, stellt er sie aus. Gelegentlich setzt er sich selbst hin und wird so zum Zuseher, der die ausdrucksstarken Körper seiner Gäste beobachtet. Hin und wieder imitiert er deren komplexes Bewegungsvokabular, als ob er mit seinem laienhaften Körper ein Maß für ihre Virtuosität setzen könnte. Wie beim Blick in den ideal ausgerichteten Spiegel scheint er sich selbst immer so zu positionieren, dass unser Blick von ihm zu den weiteren Performer_innen geleitet wird. Doch während dieses improvisierten Duetts scheinen die Protagonist_innen allmählich voneinander zu lernen, so als würde das jedem/r Tänzer_in eigene Talent sich bei jeder Berührung auf den/die andere_n abfärben. Ähnlich fehlbesetzten Stunt-Doubles. César saugt Alix’ Feinheit und François’ Forschheit auf. Aber auch diese beiden beginnen, mit Ebenen und Perspektivierungen zu spielen.
Der Soundtrack dieser ewig aufeinanderfolgenden Bewegtbilder begleitet die Performance in Form einer bewusst kuratierten Mischung aus Theme-Songs, punktierter Stille, klassischen Ohrwürmern und politischen Ansprachen. Audrey Hepburn trifft auf Kendrick Lamar, Johann Strauss auf Saul Williams. Unerwartete Verknüpfungen überhöhen diese Auslage: Jean-Luc Godard thematisiert die Macht der Bilder, während César François hochhebt und über seinem Kopf hält (ähnlich wie in jener berühmt gewordenen Szene in „Dirty Dancing“). Audre Lordes Stimme begleitet Alix und César, während sie sich einander verspielt annähern. Er beißt ihr sanft in die Wade. Sie setzt sich auf ihn. Er lässt einen ächzenden Seufzer von sich hören. Während dieser ganzen Zeit erklingt „Uses of the Erotic“ im Hintergrund und begleitet jede Bewegung wie ein unsichtbarer Strom von Untertitelungen.
Indem dieser cineastische Blick auf Choreografie beibehalten wird, gestaltet er den performativen Raum und unsere Erfahrung als Zuschauer_innen: Nahaufnahmen wandeln sich zu Panoramaaufnahmen, sobald sich die Performer_ innen von intimen Umarmungen lösen und aus dem Kader rennen. Césars Versuche, François’ akrobatisches Geschick zu imitieren, verwandeln ihr Duett in eine Slapstickkomödie. Alix wird zu einem zweidimensionalen Cartooncharakter, wenn sie sich hieroglyphenhaft an die grauen Betonwände zurücklehnt, und als César auf den Schultern von François getragen wird, während dieser auf schenkelhohen Stilettostiefeln mit Pfennigabsätzen riskant sein Gleichgewicht sucht, wird das Hochheben zum Cliffhanger.
In diesem spezifischen Raumaufbau, in dem die improvisationsbasierte Öffnung und das zufällige Potenzial des öffentlichen Raums aufeinandertreffen, wird das Alltägliche zum Spektakulären: Die Tänzer_ innen scharren den Staub des Kiesbetts auf und lassen ihn in Rauchwolken stehen, und ein günstiger Sonnenstrahl lässt gekonnt die limettengrüne Jacke von François schillern, während er lustvoll im Hintergrund umherrobbt.
Sommerstürme ersetzen Windmaschinen; dramatisch werfen die Winde Fahrräder um und heben Alix’ Hemd an. Zufällig steigt ein Helikopter in den Himmel, und die Zuseher_innen verwandeln sich wie durch Magie in einen Haufen Kompars_innen am Filmset des nächsten Apokalypse-Blockbusters.
Beide Abende folgen einer ähnlichen Struktur, ganz so als ob COPROUDUCTION ein sich stetig weiterentwickelndes Remake wäre, in welchem die Rolle des Gasts dauernd neu erfunden wird. In diesem Sinne könnte César Vayssiés Performanceprojekt als eine Serie von Filmbiografien verstanden werden, oder eher noch als eine leicht konnotierte Sammlung choreografischer Porträts.
Claire Lefèvre ist eine französische Choreografin und Performerin, die in Wien lebt und arbeitet. Sie unterrichtet Tänzer_ innen und Tanzproduzent_innen im Konzeptschreiben und schreibt für das Springback Magazine. www.clairelefevre.com
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